3.500 Liter Wasser, um einen einzigen Sweater herzustellen: Die Textilproduktion verbraucht und verschmutzt Wasser, das der Bevölkerung fehlt – gerade in den ohnehin armen Ländern Südostasiens. Die Projekte „Drip by Drip" und „Blue Ben" wollen das von hier aus ändern.
Glamouröse Bilder von den Laufstegen der Welt und Hochglanz-Fashionwerbung auf der einen Seite; desaströse Arbeitsbedingungen in der Branche auf der anderen: 2015 brachte Regisseur Andrew Morgan den Dokumentarfilm „The true cost" („Der Preis der Mode") auf die Leinwand. Er ist eine schonungslose Dokumentation über die immer kürzeren Zyklen in der Modebranche, über den Hunger nach ständig Neuem. Und über die fatalen Folgen für diejenigen, die in der Produktionskette ganz unten stehen – die Arbeiterinnen und Arbeiter in den Fabriken in Indien, Bangladesch und anderen meist asiatischen Ländern. Es geht außerdem um die Auswirkungen auf die Umwelt in Regionen, die wirtschaftlich stark von der Textilproduktion abhängen: Diese reichen vom Einsatz von Pestiziden in unmittelbarer Umgebung der Dörfer über die Verschmutzung von Bächen und Flüssen durch ungefilterte Abwässer aus Gerbereien und Färbereien bis zum Absinken des Grundwasserspiegels durch den allzu intensiven Anbau von Baumwolle.
3.000 Liter Wasser weniger pro Sweater
All das schilderte Regisseur Morgan in Bildern, die an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig ließen, aber auch zumindest bei einigen den Wunsch auslösten, an diesen Zuständen etwas zu ändern. So ging es auch Ali Azim. Letztlich, so sagt er, habe dieser Film ihn dazu angeregt, das Projekt „Blue Ben" zu gründen.
Azim, dunkle kurze Haare, große runde Brille, sitzt an diesem Abend ganz entspannt auf einem Sofa in einem Hotel in Berlin-Schöneberg. Gleich soll er sein Projekt mehreren Dutzend Designern und Modeinteressierten vorstellen. Große Aufregung? Bei Azim Fehlanzeige: Er bezeichnet sich als „Entrepreneur", war bereits mit einer Agentur für interkulturelle Kommunikation selbstständig und später mit einer mobilen Minikantine. Nun aber will er ein Projekt zum Laufen bringen, das den Wasserverbrauch bei der Herstellung von Textilien extrem reduzieren soll.
Für Ali ist das quasi ein Schritt zurück an den Anfang seiner beruflichen Laufbahn. Als Student nämlich habe er bei der Modekette „Zara" gejobbt, erzählt er. Über sein Engagement im Betriebsrat habe er immer mehr über die Herstellung der Textilien erfahren. Hintergrundwissen, das ihm und seinem Projekt „Blue Ben" jetzt zugutekommt.
Die Idee des Projekts hört sich zunächst simpel an: Ein Material für einen Sweater sollte entwickelt werden, dessen Herstellung möglichst wenig Wasser verbraucht. Was überhaupt nicht einfach ist, sagt Azim schmunzelnd. Denn er möchte heimische Pflanzenfasern verwenden – in Europa gäbe es halt nur Leinen, Hanf oder die aus Buchen- oder Fichtenzellstoff gewonnene Viskose. Gegen Stoffe aus Tencel habe man sich relativ schnell entschieden, sagt Ali, da ein Anteil an Eukalyptusfasern darin enthalten sei. Und um diese zu gewinnen, ist verhältnismäßig viel Wasser nötig.
„Blue Ben" will daher einen Sweater aus einem Hanf-Viskose-Gemisch herstellen. Eine geeignete Produktionsstätte in Portugal ist schon gefunden: Seit 1998 produziert die Firma Tintex bei Porto für nachhaltige Modelabel, hat aber auch eigene Kollektionen entwickelt – unter anderem aus recyceltem Polyester, aus Bio-Baumwolle oder Merinowolle. Dank neuester Produktionstechnik experimentiert Tintex auch mit ungewöhnlichen Materialien wie beispielsweise Korkresten aus der industriellen Produktion.
„Blue Ben" will nun bei Tintex nachhaltig und unter fairen Bedingungen einen Stoff weben lassen, dessen Produktion nur etwa ein Zehntel des Wassers verbraucht, das in der konventionellen Baumwollproduktion benötigt würde. Statt der rund 3.500 Liter Wasser wie bei der Herstellung eines „normalen" Baumwollsweaters sollen es bei dem von „Blue Ben" nur 360 Liter sein.
„3.000 Liter Wasser könnten so gespart werden, nur bei der Herstellung eines einzigen Sweaters", begeistert sich Ali Azim. Um gleich über den zweiten Teil des Konzepts zu sprechen, bei dem der Verein „Drip by Drip" („Tropfen für Tropfen") auf den Plan tritt. Logisch, dass Ali in dieser Initiative mit von der Partie ist, als Teil des neunköpfigen Gründerteams. Das ist bunt zusammengewürfelt: Die wenigsten kommen aus der Modebranche, einige dagegen aus dem Bereich Wassermanagement oder der Entwicklungszusammenarbeit.
Zehn Prozent des Erlöses von jedem „Blue-Ben"-Sweater sollen in eines der ärmsten Länder der Erde fließen: nach Bangladesch, wo ein großer Anteil der Bevölkerung wirtschaftlich von der Textilindustrie abhängt. Gerade dort stellt aber auch die Versorgung mit sauberem Wasser ein riesiges Problem dar. Davon haben sich Ali Azim und einige seiner Mitstreiter vor Ort überzeugt. Nicht zuletzt deswegen, weil Textilfabriken, Färbereien und Gerbereien Chemikalien ungefiltert in Bäche und Flüsse leiten.
Das Crowdfunding brachte 25.000 Euro
An dieser Stelle möchte „Drip by Drip" in Zusammenarbeit mit der einheimischen Nichtregierungsorganisation BRAC Abhilfe leisten. Das „Bangladesh Rural Advancement Committee", das Komitee zur ländlichen Entwicklung in Bangladesch, wurde 1972 gegründet und ist eine der größten nichtstaatlichen Entwicklungsorganisationen weltweit. Einer der BRAC-Arbeitsschwerpunkte liegt auf verschiedenen Wasseraufbereitungsprojekten. Ali Azim hat Mitarbeiter der Organisation vor Ort getroffen und sich verschiedene Projekte angesehen. Es gibt einfache, solarbetriebene Filteranlagen, um Dorfbewohnern sauberes Trinkwasser zugänglich zu machen. Andere Filter sollen die Sedimente aus Flusswasser herauslösen. Daneben stehen Projekte, bei denen das eigentlich traditionelle Auffangen von Regenwasser mit nur etwas moderneren Methoden eine Versorgung mit sauberem Wasser sichert. Einfache und, wie Ali betont, ziemlich erfolgreiche Maßnahmen. Die sollen zukünftig über „Blue Ben" mitfinanziert werden.
Für Ali Aziz ist es eine Vision: Wasser sparen bei der Textilherstellung in Europa, damit Wasserspenden in Südostasien zumindest im übertragenen Sinn möglich werden. Eine Crowdfunding-Aktion hat vor wenigen Tagen das erforderliche Startkapital von 25.000 Euro zusammengebracht – die Produktion des Sweaters in Portugal kann also anlaufen.