Die Dimensionen sind gigantisch: 620.000 Kubikmeter Abwasser, das ist ein halbes Olympiastadion voll – jeden Tag. So viel Schmutzwasser spülen die Berliner durch den Abfluss. Eines von sechs Berliner Klärwerken ist die Anlage in Ruhleben. Ziel: in 24 Stunden aus Abwasser Klarwasser machen.
Dicke Rohre pressen in unterirdische Becken, was jeder Haushalt täglich in den Kanal spült: vom Händewaschen über das Geschirrspülen bis zum Toilettengang. Auch der Eintopf, der drei Tage im Kühlschrank gestanden hat und der schließlich im Abfluss gelandet ist. Alles eine Brühe. 250.000 Kubikmeter pro Tag, nur im Klärwerk Ruhleben.
Entsprechend riecht es auch, wenn Arne Kuczmera einen zur ersten Reinigungsstufe führt. Kuczmera zeigt Besuchergruppen, wie ein Klärwerk funktioniert. Früher, sagt er, sei er selbst „Kanalarbeiter" gewesen, er kennt sich aus im Berliner Untergrund. Seit einigen Jahren ist er für Öffentlichkeitsarbeit zuständig.
Alles, was fest ist und schwimmt, wird bei der ersten Station mit langen Rechen automatisch aus dem Abwasser herausgekämmt – das ist die Vorreinigung. Acht Tonnen Grobschmutz kommen so täglich zusammen. Hauptsächlich Klopapier sieht man in den Sammelcontainern, aber auch Plastik, Verpackungen, Pflanzenreste, Tampons, Kondome, verklumptes Katzenstreu. Das alles landet irgendwann im Brennofen des Klärwerks.
Im „Rechenhaus" wird der Grobschmutz herausgekämmt
Noch mit zur ersten Reinigungsstufe gehört der „Sandfang": Das vom Grobschmutz befreite Wasser beruhigt sich, die Fließgeschwindigkeit sinkt gegen Null und alles, was schwerer als Wasser ist, sinkt in diesem Becken zu Boden und setzt sich ab – Glassplitter, kleine Steinchen, Essensreste.
Damit ist auch schon Schluss mit der mechanischen Reinigung. Bevor es in die zweite Reinigungsstufe geht, kämmt in einem Vorklärbecken noch ein Schieber Fette und ölhaltige Rückstände von der Wasseroberfläche ab. Was bleibt bis jetzt übrig? Arne Kuczmera taucht an einem langen Stiel ein Probiergefäß in die Brühe: eine schwarzbraune Flüssigkeit schwappt in dem Glas, geruchlos, ohne Reststoffe, undurchsichtig.
Weiter geht es zur zweiten Reinigungsstufe, der biologischen Reinigung. Kuczmera berichtet begeistert, wie Wimpern-, Räder- und Pantoffeltierchen und Hunderte andere Sorten Bakterien jetzt an die Arbeit gehen. „Man gewinnt sie aus dem Klärschlamm, der bei jeder biologischen Reinigung übrig bleibt", erklärt er. „Die Mikroorganismen fressen alles an organischen Schadstoffen und verstoffwechseln sie in ihre Einzelteile." In die drei Meter tiefen Becken wird über Düsen Sauerstoff eingeleitet, Ventilatoren bewegen das Wasser, die Temperatur ist gleichmäßig warm. „Da kommen die Tierchen so richtig auf Touren", sagt unser Klärwerkexperte. Luftblasen und viel Schaum auf dem Wasser zeigen an, was übrig bleibt: Biomasse und Gase. Aus dem Schaum wird später der Klärschlamm.
Da lieben es die Mikroorganismen in der dritten Reinigungsstufe offenbar ruhiger: Hier wird kein Sauerstoff dazugegeben, Bakterien filtern Phosphor und Nitrat aus dem Abwasser. Mit gutem Grund – blieben diese Stoffe drin, würde das Klarwasser, das am Schluss die Anlage verlässt, die Flüsse und Seen überdüngen. Nitrat lässt sich in Stickstoff umwandeln. Phosphor wird in unlöslichen Phosphatverbindungen gebunden. Beides setzt sich im Klärschlamm ab. Insgesamt hat das Klärwerk Ruhleben 16 solcher „Belebungsbecken", in denen die Mikroorganismen mal mit, mal ohne Sauerstoff ihre Arbeit tun.
Alles funktioniert ohne Chemie
Jetzt hält Kuczmera wieder seinen Stab mit dem Probegefäß ins Wasser. Hmm – immer noch ein dunkles Gemisch. Aber jetzt sieht man deutlich, wie sich oben ein Streifen klares Wasser absetzt. „Genauso passiert das in unseren Becken", erklärt er. „Das Klarwasser trennt sich von den Schwebstoffen." „Klarwasser", nennt er es bewusst, denn noch habe es keine Trinkwasserqualität. Bis jetzt wurden 97 Prozent aller ungelösten und biologisch abbaubaren Schmutzstoffe zurückgehalten. Und das ganz ohne Chemie: kein Chlor, keine anderen Desinfektionsmittel. Es bleibt flüssiger Schlamm, der sich in 54 Nachklärbecken absetzt und vom Klarwasser trennt. Er wird abgepumpt, mit Zentrifugen entwässert und getrocknet und in Wirbelschichtöfen bei einer Verbrennungstemperatur von 850 Grad verbrannt. Dabei geht es auch in Sachen Energie rund: Der heiße Dampf treibt Turbinengeneratoren an, die Strom erzeugen. „Wir verbrennen 150 Tonnen Klärschlamm pro Tag, inklusive der Rückstände aus der mechanischen Reinigung", berichtet Kuczmera. „Mit den Dampfturbinen produzieren wir 50 Prozent unseres Stroms selbst."
Eine vierte Reinigungsstufe ist zusammen mit der TU Berlin in der Erprobung. Im Klärwerk Münchehofe laufen Pilotversuche mit Ozon und pulverförmiger Aktivkohle.
Damit sollen sowohl weitere Phosphor- als auch schwer abbaubare Arzneimittelrückstände und andere Spurenstoffe zu 99 Prozent entfernt werden können. Nachteil dabei: Das Verfahren braucht deutlich mehr Energie.
Aber was passiert mit dem Ruhlebener „Klarwasser"? Riesige Pumpen leiten es aus den Nachklärbecken noch einmal durch eine erweiterte Röhre. An den Wänden sind 250 UV-Strahler angebracht. Sie töten im vorbeirauschenden Wasser alle Keime ab, die noch darin enthalten sind. Dann sprudelt es in die Spree, in den Teltow-Kanal oder in einen der Berliner Seen.
Tatsächlich beginnt erst jetzt die Trinkwasseraufbereitung. Wie Regenwasser versickert auch das Wasser aus Seen und Flüssen im Boden. Nun kommt der Faktor Zeit ins Spiel. Tropfen für Tropfen wandert das Wasser durchs Erdreich, durch Sand-, durch Kalk-, durch Kiesschichten. Das kann Jahre dauern, die Natur hat es nicht eilig. Andererseits ist das Verfahren aber hocheffektiv: Belebte und unbelebte Bodenzonen entziehen dem Wasser Schadstoffe, es wird in einem natürlichen Verfahren filtriert und gereinigt.
Seit Jahrzehnten hat man in den Uferzonen der Gewässer in 50 bis 170 Meter Tiefe Brunnen gebohrt. Die Wasserpumpen erzeugen einen ständigen Sog, der das Wasser aus den Gesteinsschichten in die Brunnen zwingt. Mindestens 50 Tage sind die „schnellsten" Tropfen durch die Erde unterwegs, bis sie wieder an die Oberfläche gelangen und erneut in den Wasserkreislauf einfließen.
Berlin hat 800 Brunnen, aus denen Grundwasser abgepumpt und in eines der neun Wasserwerke geleitet wird, die es als Trinkwasser aufbereiten. Da Grundwasser kaum Sauerstoff enthält, wird es zunächst an der Luft versprüht.
Der Sauerstoff wird vom Wasser aufgenommen. Dadurch oxidieren vorhandene Eisen- und Manganverbindungen und fallen als Flocken aus. Noch mal eine Runde durch einen Sandfilter, der die Flocken zurückhält – aus dem Rohwasser ist jetzt Reinwasser geworden, Trinkwasser bester Qualität, wie es aus dem Wasserhahn kommt. Täglich kontrollieren die Wasserwerke die Qualität an jeder Stelle des Trinkwasserkreislaufs.
Und was kostet das Ganze? Die Berliner Wasserbetriebe rechnen es vor: Mit rund 0,5 Cent pro Liter ist Berliner Trinkwasser deutlich günstiger als Wasser aus der Flasche.
Der Preis ist allerdings mengenabhängig – je mehr man braucht, desto höher der Preis. Dazu kommt noch der Grundpreis, der für die Bereitstellung der Wasserversorgungsanlagen (Wasserwerke, Pumpwerke, Rohrleitungen) und das Abwasser zu entrichten ist. Und bei den meisten Haushalten kommt noch ein Tarif für das Niederschlagswasser dazu, das nach den Quadratmetern versiegelter Fläche am Haus berechnet wird.
Alles in allem – so die Auskunft des Wasserbetriebs-Pressesprechers Stephan Natz – kostet ein Kubikmeter rund vier Euro. Den wenigsten ist klar, dass ein Kubikmeter, also 1.000 Liter, reichen, um 15 bis 20 Mal zu duschen; man könnte auch 20 Mal die Waschmaschine laufen lassen oder 45.000 Eiswürfel erzeugen.
Ein Kubikmeter für 20 Mal duschen
Was dann übrig bleibt, das Schmutzwasser, wird zum größten Teil wieder im Klärwerk landen – zum Beispiel in Ruhleben bei Arne Kuczmera. Der hat noch einen interessanten Hinweis: „Leider werden nur zehn Prozent des Wassers weltweit überhaupt gereinigt", sagt er. „Das meiste fließt ungereinigt ins Meer, in die Seen und die Flüsse, und trägt zur Verbreitung von Seuchen und Krankheiten bei, und am Ende auch zum Wassermangel."
Ohnehin stehen insgesamt nur zwei Prozent des gesamten Wassers auf der Erde als Trinkwasser zur Verfügung, 98 Prozent sind Salzwasser und ungenießbar oder als Eis gebunden. Umso glücklicher, wer in einer Weltgegend wohnt, in der Rechen, Pantoffeltierchen, Erdschichten, Brunnen und Pumpen für bestes Trinkwasser aus der Leitung sorgen!