Bei Frank Sinatra ist es ähnlich wie bei Elvis Presley oder John Lennon. Es gibt so viele andere Dinge, die diese Ikonen ausmachen, dass die Musik manchmal in den Hintergrund zu treten droht. Aber anders als Elvis und Lennon war Sinatra ein langes und erfülltes künstlerisches Leben vergönnt, und die Dauer und Vielfältigkeit von Frank Sinatras Gesangskarriere spiegelt sich auch in seiner umfangreichen Diskografie wieder.
Erste Aufnahmen existieren von 1939, mit dem Orchester von Harry James. Anschließend wechselt Sinatra zu Tommy Dorsey, bei dem er bis 1942 unter Vertrag steht. In den Jahren 1943 bis 1952 nimmt er für Columbia Records auf. War bisher die 78er-Schellack-Platte das Medium, das Sinatra in die Haushalte brachte, so bringt die Einführung der Zwölf-Zoll-Langspielplatte Anfang der 50er-Jahre ungeahnte künstlerische Möglichkeiten. Die Form des Albums entwickelt sich, und Sinatra wird ihr erster wichtiger Wegbereiter. Er ist der erste, der in seiner Zeit bei Capitol Records von 1953 bis 1961 thematisch geprägte Song-Zyklen präsentiert und Konzeptalben auf den Markt bringt, lange bevor dies ab den späten 60er-Jahren in Mode kommt.
1961 gründet Frank Sinatra Reprise Records und erlangt vollständige künstlerische Freiheit – die er auch behält, nachdem er Reprise schon nach einigen Jahren an Warner Bros. verkauft. Bis Ende der 60er-Jahre liefert Sinatra noch gelungene Platten ab, anschließend verlagert sich sein Schwerpunkt mehr auf gut dotierte Live-Konzerte auf der ganzen Welt. Bis 1984 entstehen noch eine Handvoll durchwachsen aufgenommene Alben, und 1993/94 erscheinen als Schwanengesang zwei CDs mit Duett-Aufnahmen mit vielen Weltstars.
Machen wir uns also auf zu einem kleinen Bummel durch die musikalische Welt des Frank Sinatra. Geboren wird Francis Albert Sinatra am 12. Dezember 1915 in Hoboken in New Jersey. Musik interessiert ihn schon von früh an, und obwohl er keinerlei formale musikalische Ausbildung erfährt, ist er seit etwa 1935/36 als professioneller Sänger im – noch schlecht bezahlten – Geschäft. Die ersten kommerziellen Aufnahmen von Sinatra mit dem Orchester von Harry James aus dem Jahr 1939 zeigen einen Sänger, der manchmal zwar noch etwas unsicher klingt, aber auch schon zu Höherem berufen scheint. „Melancholy mood" und „All or nothing at all" sind erste kleine Meisterwerke.
Trennung von Dorsey im Streit
Sinatra beginnt seine Karriere am Ende der Big-Band-Ära und wird im Laufe der nächsten Jahre der erste musikalische Act, bei dem der Fokus auf dem Sänger und nicht wie bisher auf dem Orchester und ihrem Leader liegt. Legendär sind seine Auftritte im New Yorker Paramount Theater in den Jahren 1942 bis 1944, als Tausende Fans draußen die Straßen blockieren, während die schmachtenden Bobby Soxer – so nannte man damals die weiblichen Teenager – drinnen reihenweise in Ohnmacht fallen. Die meisten Studioaufnahmen dieser Zeit sind auf der CD-Box „The song is you" zu finden.
1942 beschließt der immer ehrgeizige Sinatra, von nun an auf eigenen musikalischen Füßen zu stehen, und trennt sich unter alles anderen als freundschaftlichen Umständen von Tommy Dorsey, inklusive gerichtlichem Nachspiel. Zudem überredet Sinatra Axel Stordahl, Dorseys Arrangeur, künftig für ihn zu arbeiten.
Unter anderem durch den Weltkrieg kommt Sinatras Plattenkarriere erst Ende 1944 wieder in Schwung, dann aber entstehen bis Ende des Jahrzehnts viele Hits, fast durchgängig von Stordahl arrangiert. „Saturday night (is the loneliest night of the week)" macht den Anfang, und im Laufe der Jahre entwickelt Sinatra seinen Gesangsstil weiter. Die Möglichkeiten des Mikrofons nutzt er vollständig aus, seine Markenzeichen werden sowohl Uptempo-Swing-Nummern als auch sanfteste Balladen. „All of me", „Ol’ man river" oder seine erste Aufnahme von Kurt Weills „September song" sind Klassiker der 40er-Jahre. Viele der Songs werden schon damals zu Alben zusammengestellt, ähnlich Fotoalben, mit vier 78er-Scheiben oder dem damals neuen Zehn-Zoll-Format. Wer’s heute ganz genau nachhören will, für den gibt es natürlich „The Columbia Years – The Complete Recordings 1943-1952". Zum Reinhören erfüllt aber auch fast jede „Best of" oder Singles-Zusammenstellung der Columbia-Jahre ihren Zweck, so vielfältig ist das Songmaterial.
Anfang der 50er-Jahre gehen die Erfolge zurück, und Sinatras Karriere kommt fast zum Erliegen. Schon in den Vierzigern tritt er auch als Schauspieler in Erscheinung, und so ist es 1953 eine Filmrolle, die seiner Karriere den alles entscheidenden Schub gibt. Mit der Rolle des Angelo Maggio in „Verdammt in alle Ewigkeit" gelingt Sinatra das Comeback des Jahrzehnts. Auch mit seiner musikalischen Karriere geht es nun wieder steil bergauf. Er unterschreibt einen neuen Vertrag bei Capitol Records, und nun beginnt das Jahrzehnt der großen Konzeptalben.
Gleich seine erste Zwölf-Zoll-Langspielplatte „In the wee small hours" von 1955, erstmalig arrangiert von Nelson Riddle, wird ein kommerzieller Erfolg und gilt bis heute als eine der besten Platten der 50er-Jahre. Sinatras Stimme ist markanter, aber auch sanfter geworden. „What is this thing called love" sei als Beispiel genannt – und die Zusammenarbeit mit Riddle trägt sofort Früchte. Es ist ein wunderbar melancholisches Album, zu hören eben am besten in den „Blauen Stunden".
All-Time-Favorite „Ring-A-Ding-Ding"
Auch die nächste Platte „Songs For Swingin’ Lovers" ist ein Meisterstück – wie der Titel vermuten lässt allerdings ganz anderer Machart. Sinatra und Nelson Riddle schaffen es, unterschiedlichste Stile zu vereinbaren. Vielen gilt ihre Zusammenarbeit als ein Höhepunkt von Sinatras musikalischem Schaffen. Der Sänger selbst hält die düstere „Frank Sinatra sings for only the lonely" von 1958 für seine gelungenste Platte. Neben Nelson Riddle arbeitet Sinatra auch ausgiebig mit Gordon Jenkins und Billy May zusammen. In den 60er-Jahren arrangiert auch Axel Stordahl wieder ein Album für ihn, ebenso der junge Quincy Jones – und immer wieder Riddle. Ab Ende der 60er-Jahre führt Don Costa dann das Orchester – sowohl im Studio als auch bis 1975 bei den unzähligen Live-Auftritten. Sinatras Stil wird im Laufe der Jahre ‚runder‘ und immer ausgereifter, seine Stimme wächst zu ihrer wahren Größe. Zeitlebens ein Perfektionist, gibt sich Sinatra allergrößte Mühe, seine musikalische Palette zu vervollkommnen. „Where are you" und „Come fly with me" sind zwei weitere Beispiele gelungener Zusammenstellungen der späten 50er-Jahre. Zum Anhören ebenfalls unbedingt empfohlen ist „The complete capitol singles collection". Diese ergeben eine hervorragende Ergänzung zu den Langspielplatten. Viele seiner Singles haben eine Leichtigkeit, die den Alben manchmal verloren geht.
Im Jahr 1961 gründet Frank Sinatra wie bereits erwähnt „Reprise Records", um nunmehr die vollständige künstlerische und kommerzielle Kontrolle über seine Musik zu haben. Wieder gelingt ihm mit der ersten Platte für das neue Label ein All-Time-Favorite. „Ring-A-Ding-Ding" – arrangiert von Johnny Mandel – ist eine Platte ohne Balladen. Es swingt ohne Ende, und Sinatra klingt vollständig gelöst und wie befreit. Viel entspannter als bei „A foggy day" kann man eigentlich nicht singen.
Weitere Highlights der nächsten Jahre sind „Sinatra and strings" (1962, Costa), „The Concert Sinatra" (1963, Riddle) und „September of my years" (1965, Jenkins). In all diesen Jahren tritt Sinatra regelmäßig in Las Vegas auf, und das 1966er-Doppel-Livealbum „Sinatra at the sands" ist ein sehr hörenswerter Mitschnitt eines solchen Casino-Konzerts. Ebenfalls von 1966 ist „Strangers in the night", das mit dem Titelsong einen von Sinatras größten Chart-Erfolgen enthält. Das Album ist eine erste Hinwendung zu zeitgenössischen Sounds der Mit-Sechziger, später nimmt Frank Sinatra auch Songs von den Beatles in sein Repertoire auf.
Letzte Platten durchwachsen
Ab den späten 60er-Jahren geht der Erfolg mit Schallplatten zurück, Sinatra ist in dieser Zeit natürlich nicht mehr hip genug. Die Platten selbst sind durchwachsen, oft ist die Auswahl der Songs fragwürdig, oder die Arrangements klingen nicht überzeugend. Natürlich gibt es hier und da auch einen Song, der hängen bleibt, aber abgesehen vom grandiosen 81er-Album „She shot me down" (Costa, Jenkins, Riddle) bleiben aus den späten Jahren ausschließlich „My way" und „(Theme from) New York, New York" in Erinnerung. Die beiden „Duets"-Platten der 90er – die Duette werden im Studio zusammengemischt – sind ein kommerzieller Erfolg, aber sicher kein musikalischer. Aber nach 50 Jahren im Geschäft sei auch das zum Ausklang einer einzigartigen Karriere erlaubt.
Frank Sinatra hat mit seinem Gesang eine Vorstellung geprägt, wie Songs zu klingen haben, das zeigen seine vielen Nachahmer. Aber Sinatra, The Voice, bleibt unerreicht.