In Wissenschaftskreisen wird sein Name in einem Atemzug mit Albert Einstein genannt. Der breiten Öffentlichkeit wurde der vor 100 Jahren geborene letzte Universalphysiker und Nobelpreisträger Richard Feynman vor allem dadurch bekannt, dass er nach der Challenger-Katastrophe 1986 hart mit der Nasa ins Gericht ging.
Die wissenschaftliche Karriere war Richard Phillips Feynman fürwahr in die Wiege gelegt. Schon während der Schwangerschaft seiner Mutter Lucille hatte sein Vater Melville die für ihn wesentliche Berufsentscheidung bereits getroffen: „Wenn es ein Junge wird, dann wird er ein Wissenschaftler." Das war zwar eigentlich sein eigener Lebenstraum gewesen, aber als Kind jüdischer Einwanderer aus Litauen hatte Melville niemals über die finanziellen Möglichkeiten verfügt, um ein Studium der Naturwissenschaften aufnehmen zu können. Nun setzte er alles daran, seinem geliebten Sohn Richard, der am 11. Mai 1918 in Far Rockaway im New Yorker Bezirk Queens zur Welt kam, diese Chance zu ermöglichen.
Er führte den Filius früh in die Geheimnisse der Natur und des menschlichen Geistes ein, indem er Richard schon im Kindesalter aus der „Encyclopaedia Britannica" vorlas. Auch unabhängiges Denken und Furchtlosigkeit vor möglichen Autoritäten waren Bestandteil der häuslichen Lektionen, die auch schon mal ins Feld der Physik abdrifteten, als Melville seinem Sohn beispielsweise das Phänomen der Trägheit verständlich zu machen versuchte.
Richard liebte diesen Privatunterricht, wie er später rückblickend erklärte: „Das war die Art, wie mein Vater mich unterrichtete. Mit solchen Beispielen und Gesprächen, ohne jeden Druck, einfach nur wunderbar interessante Diskussionen." Auch Richards neun Jahre jüngere Schwester Joan sollte davon profitieren und später zu einer renommierten Astrophysikerin werden.
Mutter Lucille hingegen konnte mit dem Wissenshunger ihrer Kinder wenig anfangen. Als ihr Sohn 1979 vom renommierten US-Wissenschaftsmagazin „Omni" zum intelligentesten Menschen der Welt gekürt wurde, war ihr das nur einen schelmischen Kommentar wert: „Wenn das der schlauste Mann der Welt sein soll, dann helfe uns Gott." Beim IQ-Test an der Highschool hatte Richard respektable, aber nicht überragende 123 Punkte erreicht. Und doch sollte er auch bei einer im Jahr 2000 durchgeführten Umfrage unter den 100 führenden Kollegen seines Fachs ganz an die Spitze der Physiker des 20. Jahrhunderts gestellt werden. Direkt hinter Einstein, Bohr und Heisenberg. Und da die Physik so etwas wie die Leitwissenschaft des 20. Jahrhunderts war und keine anderen Entdeckungen wie Quanten, Quarks und Kernspaltung das moderne Weltbild mehr verändert haben, sprach eigentlich wenig dagegen, einen der herausragenden Vertreter dieses Wissenschaftszweiges als klügsten Menschen des Planeten zu deklarieren.
Als klügster Mensch des Planeten geehrt
Im Alter von gerade einmal elf Jahren richtete sich Richard ein kleines Labor im elterlichen Haus ein, das er gelegentlich auch zur Zubereitung von Pommes Frites nutzte. Da er elektrische Schaltungen und Radios liebte, konnte er sein Taschengeld durch Reparaturen von Rundfunkempfängern aufbessern. Zwei Jahre später ging’s auf die Far Rockaway Highschool, wo er sich zwischen 1931 und 1935 als hochbegabtes Kind unterfordert und gelangweilt fühlte. Ihn interessierten nur Mathematik und Naturwissenschaften, während alles Geisteswissenschaftliche für ihn nur leeres Geschwätz ohne wesentliche Substanz war. Er stieg schnell zum Star der Mathe-Leistungsgruppe seiner Schule auf und gewann in seinem letzten Schuljahr die „New York University Math Championships". Im Fach Physik profitierte er von einem ehrgeizigen Lehrer, der ihn weit oberhalb des schulischen Levels mit interessanten Konzepten wie dem „Prinzip der kleinsten Wirkung" bekannt machte.
Mit 17 Jahren schrieb er sich 1935 am Massachusetts Institute of Technology (MIT) bei Boston für das Fach Mathematik ein, wechselte jedoch wenig später über die Elektrotechnik zur Physik. Er begeisterte sich vor allem für die von Paul Dirac vorangetriebene Quantenmechanik, die damals auf dem Erkenntnisstand war, auf welche Weise sich Elektronen in Atomhüllen bewegten. Später sollte Feynman über Dirac sagen: „He was my hero!" Seine 1939 vorgelegte Bachelorarbeit mit dem Titel „Kräfte und Spannungen in Molekülen", gerade mal 30 Seiten stark, wurde gleich ein wissenschaftlicher Paukenschlag und im Fachmagazin „Physical Review" publiziert. Die Ergebnisse sind auch heute noch relevant und unter dem Begriff „Hellmann-Feynman-Theorem" bekannt. Feynman und sein Kollege Hans Hellmann hatten eine Methode gefunden, die Kräfte zwischen den Atomen in einem chemischen Molekül zu berechnen.
Eigentlich wollte Feynman auch seine Doktorarbeit am MIT machen, doch wurde er zu einem Wechsel zur Princeton University gezwungen, wo er 1942 mit der Formulierung einer neuen Version der Quantentheorie promovieren sollte. Schon in seinem jungen Forscherleben hatte sich Feynman offenbar einen solch herausragenden Ruf erworben, dass er zwischen 1943 und 1946 für das geheime „Manhattan-Projekt" zur Entwicklung der amerikanischen Atombombe rekrutiert wurde. Er war der Abteilung für theoretische Physik zugewiesen, deren Aufgabe die Berechnung von Größe und Reichweite der Bombe war. Überschattet wurde seine Arbeit in Los Alamos vom Tod seiner ersten Frau Arline, die im Juni 1945 an Tuberkulose starb. Dem Leiter des Forschungsprojekts Robert Oppenheimer war das Genie seines Mitarbeiters Feynman schon 1943 klar geworden: „Er ist der brillanteste Physiker hier, und jeder weiß das."
1946 erhielt er einen Lehrauftrag an der Cornell University im Staat New York, wo er bis 1951 blieb und wo er bereits begann, sich maßgeblich an einer Formulierung der Quantenelektrodynamik (QED) zu beteiligen. 1965, lange nach dem Wechsel als Professor für Theoretische Physik im Jahr 1951 ans California Institute of Technology (Caltech) in Pasadena, wurde er dafür mit dem Nobelpreis für Physik ausgezeichnet. Im Rahmen der QED entwickelte Feynman seine legendären „Feynman-Diagramme" – schematische Diagramme, die es Physikern seitdem ermöglichen, ohne komplizierte mathematische Formeln quantenphysikalische Interaktionen zwischen Strahlung und Materie berechnen zu können.
Daneben erzielte Feynman auch große Erfolge mit seinen Beiträgen zur Suprafluidität, sprich der Erklärung des Verhaltens supraflüssigen Heliums bei tiefsten Temperaturen, zur schwachen Wechselwirkung zwischen Elementarteilchen oder zum inneren Aufbau der Neutronen und Protonen aus Quarks. Auch als Begründer der Nanotechnologie wird er nach einem entsprechenden Uni-Vortrag anno 1959 gehandelt.
„Sterben ist so langweilig"
Da Feynman quasi auf jedem Gebiet der Physik geforscht hat, kann man ihn als wohl letzten Universalphysiker bezeichnen. Sein wahres Genie bestand nicht darin, grundsätzlich neue theoretische Entdeckungen zu machen, sondern bereits Erforschtes so umzuformulieren und dadurch verständlicher zu machen, dass damit in der Wissenschaft viel besser gearbeitet werden konnte. Dadurch wurde Feynman für seine Studenten zu einem überragenden Lehrer und zum wahrscheinlich besten Physik-Popularisierer des 20. Jahrhunderts.
In seinem Privatleben konnte sich Feynman für das Bongospiel und die Biologie begeistern. Auch Computer interessierten ihn. Codes zu knacken machte ihm einen Riesenspaß, in Los Alamos waren ihm die Safes sämtlicher Kollegen ausgeliefert. Er liebte die Ladys, war nicht nur dreimal verheiratet, sondern pflegte regelmäßig Strip-Lokale aufzusuchen – angeblich, um sich dort im Aktzeichnen zu üben. Mit seiner dritten Frau Gweneth hatte er einen Sohn und eine Adoptivtochter. Bei einer Reise durch Mexiko konnte er ohne jegliche Hieroglyphen-Kenntnisse astronomische Daten der Venus aus Maya-Schriften dekodieren. Er probierte Marihuana und stieg in einen verschlossenen Wassertank, um das Halluzinieren zu verstehen. Vom Nobelpreisgeld erwarb er ein kleines Haus am Meer.
Für Aufsehen in der breiten Öffentlichkeit sorgte Richard Feynman 1986. Als Mitglied der Untersuchungskommission des Challenger-Unglücks weigerte er sich, mögliche Schlampereien seitens der Nasa zu verschleiern. Stattdessen demonstrierte er im Fernsehen mithilfe eines in ein Glas Eiswasser getauchten Dichtungsrings, dass wahrscheinlich durch Temperaturschwankungen mürbe gewordene Dichtungsringe für die Katastrophe verantwortlich waren.
Bis zwei Wochen vor seinem Tod am 15. Februar 1988 in Los Angeles hatte Feynman noch Physik gelehrt. Ob die ihn schon jahrelang peinigende Krebserkrankung auf sein Mitwirken bei der Entwicklung der Atombombe in Los Alamos zurückzuführen war, wurde niemals thematisiert. Einiges spricht allerdings dafür, schließlich war er dafür zuständig, die Tests in der Wüste New Mexikos aus einem Flugzeug heraus genau zu beobachten und danach den verglasten Wüstensand an der Detonationsstelle in Augenschein zu nehmen. Feynmans letzte Worte passen perfekt ins Bild eines humorvollen, jeglichem Schabernack zugeneigten Menschen: „Mir würde es gar nicht gefallen, zweimal zu sterben. Es ist so langweilig."