Mehr als zehn Jahre nach den öffentlichkeitswirksamen Auftritten von Regina Halmich befindet sich das Frauenboxen in Deutschland in einer schwierigen Lage. Dabei sind viele der Probleme hausgemacht. Mit mehr Mut zum Risiko soll es bald aber wieder bergauf gehen.
Fragen Sie doch einmal zehn Leute auf der Straße, welcher Name ihnen zum Thema Frauenboxen als Erstes einfällt. Vermutlich wird die Antwort in neun von zehn Fällen lauten: Regina Halmich. Die Karlsruherin ist für viele immer noch das Gesicht des deutschen Frauenboxens, auch wenn sie seit mehr als einem Jahrzehnt gar nicht mehr im Ring steht. Von 1995 bis 2007 war die mittlerweile 41-Jährige im Fliegengewicht ungeschlagene Weltmeisterin der WIBF gewesen. Zudem hatte sie 2001 und 2007 zwei vielbeachtete Schau-Kämpfe gegen Entertainer Stefan Raab bestritten, die Halmich vor jeweils über sieben Millionen Fernsehzuschauern beide für sich entscheiden konnte.
Das alles ist nun über zehn Jahre her, doch bis jetzt ist es noch keiner deutschen Boxerin gelungen, in ihre Fußstapfen zu treten. Darauf angesprochen, scheint es Regina Halmich fast schon leid zu tun, dass man immer noch fast nur über sie spricht. „Die aktuellen Boxerinnen können jedenfalls nichts dafür", beeilt sie sich gleich zu Beginn des Gesprächs klarzustellen. Vielmehr seien die Bedingungen für die heutige Generation einfach ungleich schwieriger. In ihrer Kolumne im „Boxsport-Magazin" schrieb Halmich kürzlich: „Es ist dieser ewige Teufelskreis aus Promotern, die nicht wirklich dahinterstehen und kein Geld für hochkarätige Kämpfe ausgeben, Gegnerinnen, die nichts kosten dürfen, und Veranstaltern, denen die Hände gebunden sind, weil sie keine großen Fernsehgelder erhalten, aber dennoch eine WM präsentieren wollen."
Regina Halmich hatte zu ihrer aktiven Zeit Glück gehabt. Ihr Boxstall Universum Boxpromotion, inzwischen längst insolvent, engagierte sich ernsthaft für das Frauenboxen und zog das ZDF als starken TV-Partner an Land. Damals war die WIBF (Women’s International Boxing Federation) noch der einzige Boxverband weltweit gewesen, der einen Weltmeistertitel im Profiboxen der Frauen vergab – alle anderen Verbände konzentrierten sich zu jener Zeit noch auf die Männer.
Das Niveau verwässerte
Erst nachdem Universum und die WIBF bewiesen hatten, dass sich auch mit dem vermeintlich schwachen Geschlecht gute Geschäfte machen ließen, zogen andere Verbände und Boxställe nach, was anfangs durchaus positiv gesehen wurde – langfristig dem Frauenboxen hierzulande aber schadete. Denn auf einmal gab es zu viele WM-Titel für zu wenige wirklich gute Kämpferinnen; das Niveau verwässerte, die Fernsehsender wendeten sich ab. Dasselbe Problem hat zwar momentan auch das Profiboxen der Männer. Bei den Frauen, die es im Boxsport traditionell schwieriger haben als ihre männlichen Kollegen, ist die Lage allerdings noch ein wenig komplizierter.
„Wir fangen eigentlich wieder bei Null an", sagt Regina Halmich, womit sie ausdrücklich nicht das Niveau der deutschen Boxerinnen meint. Das kann sich nämlich auch im internationalen Vergleich durchaus sehen lassen. Mittelgewichtlerin Christina Hammer ist die jüngste deutsche Weltmeisterin aller Zeiten, Nikki Adler trägt gleich mehrere Titel im Supermittelgewicht, und Susi Kentikian, die für dieses Jahr ihr Comeback angekündigt hat, ist mit bis 300 Schlägen pro Minute immer noch die schnellste Boxerin der Welt. Es hapert allerdings an der Vermarktung. All diese Boxerinnen kennt kaum jemand. Sie müssen bekannt gemacht werden, was ohne die großen Fernsehsender jedoch ungleich schwieriger wird. Vor allem, wenn man es so anstellt, wie es derzeit zumeist praktiziert wird.
Die Maxime scheint momentan zu sein: Hauptsache, eine Deutsche gewinnt. Allzu oft würden schwächere Gegnerinnen ausgesucht, damit am Ende in jedem Fall die Lokalmatadorin die Oberhand behält und sich auch weiterhin Weltmeisterin nennen kann. Regina Halmich zeigt im „Boxsport-Magazin" wenig Verständnis für diese Praxis: „Wenn eine Boxerin wie ein ,Gürteltier‘ in den Ring steigt – mit vier, fünf sogenannten WM-Gürteln behangen – und dann zum Beispiel gegen eine übergewichtige Dominikanerin antritt, deren Fett so dermaßen über die Hose quillt, dass man sich schämt, und das Ganze dann noch als WM verkauft wird, sag ich nur: gute Nacht. Dass die karibische Hausfrau dann noch von einem Deutschen gemanagt wird, ist mit Sicherheit kein Zufall. Von ihrem Kampfrekord einmal ganz zu schweigen." Halmich weiter: „Hört auf, das Publikum für dumm zu verkaufen. Eine Boxerin mit zwei Siegen und zehn Niederlagen kann nicht um eine WM boxen. So einfach ist das!"
Der Grund für dieses Vorgehen liegt auf der Hand. Weil die Kampfbörsen heutzutage oft nur noch gering ausfallen und auch die TV-Einnahmen fehlen, ist das Geld nicht mit dem Kampf selbst zu verdienen, sondern in erster Linie mit dessen Ausgang – und da lässt sich ein Weltmeistertitel natürlich besser vermarkten als eine Niederlage. Zumindest denken das viele. Boxerin Nina Meinke hält das jedoch für einen Irrglauben. „Die Zuschauer wollen gute Gegner sehen und keine Kämpfe mit vorhersehbarem Ausgang", sagt die Berlinerin. Deshalb müsse man sich mit den Besten messen, auch auf die Gefahr hin, dass man ein solches Duell womöglich verliert. Doch viele scheuen sich. Sie haben Angst, dass sie für die Promoter nicht mehr interessant sind, wenn sie erst einmal zwei oder drei Kämpfe verloren haben. „In Deutschland wird leider viel zu sehr auf die Bilanz geschaut", meint Meinke – und weniger darauf, wie sich eine Boxerin bei ihren Kämpfen angestellt hat.
„Schon beim Wiegen waren 2.000 Leute"
Nina Meinke ist jedoch der beste Beweis, dass man mit einer Niederlage gegen eine starke Gegnerin unter Umständen mehr Aufmerksamkeit erzeugen kann als mit einem Sieg gegen eine zweitklassige Opponentin. Im April 2017 war die 25-Jährige im Wembley-Stadion in London gegen die Irin Katie Taylor angetreten. Der Kampf in London fand im Vorprogramm der Schwergewichts-WM zwischen Wladimir Klitschko (Ukraine) und Anthony Joshua (Großbritannien) statt, 45.000 Zuschauer waren dabei – nie zuvor hatten zwei Frauen vor einer solchen Kulisse geboxt. „Es war der Wahnsinn. Schon beim Wiegen waren 2.000 Leute da", erzählt Nina Meinke. Als klare Außenseiterin war sie in das Duell mit der Olympiasiegerin von 2012 und mehrfachen Amateur-Weltmeisterin gegangen, in dem sie zwar letztlich chancenlos war, aber sieben Runden lang eine couragierte Leistung zeigte, die ihr viel Respekt einbrachte. Selbst große Medien wie die „Bild" oder „Spiegel Online" berichteten über den Kampf. Trotz der Niederlage war aus Nina Meinke quasi über Nacht eine der großen Hoffnungsträgerinnen im deutschen Frauenboxen geworden.
Für Regina Halmich ist das der richtige Weg. „Liebe Profiboxerinnen aus Deutschland, wenn Ihr eine richtige Weltmeisterschaft boxen wollt, müsst Ihr gegen solche Superstars ran", kommentierte sie im „Boxsport-Magazin". Halmich begrüßt deshalb auch die Entscheidung von Christina Hammer, in die USA zu gehen und dort – einen erfolgreichen Kampf im Juni gegen Tori Nelson (USA) vorausgesetzt – vielleicht noch in diesem Jahr gegen Claressa Shields (USA) anzutreten. Das mögliche Duell zwischen den Mittelgewichts-Weltmeisterinnen der IBF und WBC sowie WBO und WBC wirft bereits seine Schatten voraus und wird schon jetzt als einer der größten Frauenboxkämpfe in jüngerer Zeit bezeichnet.
Auch Nina Meinke wird bald wieder in den Ring steigen. Am 18. Mai trifft sie in Potsdam in einem rein deutschen Duell auf die amtierende Weltmeisterin der WIBF und der GBU im Federgewicht, Elina Tissen. „Wir dürfen uns in Deutschland nicht immer aus dem Weg gehen und müssen auch einmal etwas riskieren", sagt Meinke. Unterstützung bekommt sie dabei auch von Regina Halmich: „Diese nationalen Duelle sind es doch, was die Leute sehen wollen." Über solche Kämpfe würde geredet werden. Und nur so könnten sich neue Stars entwickeln, die dann hoffentlich bald ähnlich bekannt sein werden, wie sie es einst gewesen war.