Zum zweiten Mal gastiert „Familie Flöz" beim Festival Perspectives. Hajo Schüler, Mitbegründer der Theatertruppe, spricht über die Kunst – mit Masken und ohne Worte – spannende Geschichten zu erzählen.
Herr Schüler, „Familie Flöz", wie kommt man auf so einen Namen für eine Theatergruppe?
(lacht) Meistens steckt eine Geschichte dahinter. Das erste Stück, das wir gemacht haben, hieß „Familie Flöz kommt über Tage". Das war insofern passend, weil wir im Ruhrgebiet angefangen haben, gemeinsam zu arbeiten und dieses Stück vom Bergbau inspiriert war. Familie Flöz, dieser Name fiel uns ein, als wir im Bergbaumuseum unter Tage fuhren. Jahre später wurde es zum Namen der Gruppe.
Sie waren an der Folkwang-Hochschule in Essen, studierten Pantomime und auch Schauspiel und haben 1994 mit Michael Vogel, einem Kommilitonen, die Theatergruppe gegründet. War es von Anfang an Ihr Wunsch, in einer freien Theatergruppe zu arbeiten?
Jein. Ich war nach dem Studium am Schauspiel in Essen engagiert, Michael Vogel war Regisseur am Schauspiel in Bochum. Die anderen Kollegen waren auch an verschiedenen Stadttheatern beschäftigt. Was uns verbunden hat, war, dass wir nicht so richtig glücklich waren. Wir wussten von Anfang an, wenn wir etwas wagen wollen, dann müssen wir etwas machen, was über die Sprachgrenzen hinaus zugänglich ist. Das war eine der ersten Visionen: Wir müssen etwas machen, was ohne Sprache funktioniert und am besten auf der ganzen Welt verstanden wird.
Die Masken bauen Sie selbst. Das ist doch eine besondere Methode, sich auf diese Weise einer Figur, die auf der Bühne zum Leben erweckt wird, anzunähern, oder?
Ja, die Entscheidung, mit Masken zu arbeiten, hat sehr, sehr viele Konsequenzen. Der Darsteller verschwindet erst mal, wenn er eine Maske aufsetzt – ihm bleibt nichts als der Körper. Das ist das, was wir an der Folkwang-Hochschule gelernt haben, Geschichten mit dem Körper zu erzählen. Gleichzeitig gab es so etwas noch nicht, Stücke mit Vollmasken zu spielen und auf Sprache zu verzichten.
Darsteller mit Masken legen ihren Charakter fest. Ihre Stücke benötigen keine Worte. Wie können Sie diese vermeintlichen Nachteile nutzen?
Es gibt ja den Spruch, dass 97 Prozent unserer Kommunikation nicht verbal sind und nur drei Prozent im Wortgehalt liegen. Es gibt sehr viele Informationen, die nicht verbal sind, aber sehr konkrete Dinge erzählen – die Erfahrung machen wir immer wieder. Theater kommt ja vom Handeln. Da geht es darum, dass Leute etwas tun, und wie sie das tun, wird immer am Körper sehr stark ablesbar sein. Die Masken regen den Zuschauer immens in seiner Fantasie an, eben gerade, weil sie starr sind. Da, wo etwas starr ist, versuchen wir eine Bewegung zu sehen. Das heißt, wir suchen die Emotion in einer Maske sehr viel mehr und aktiver, als wir das in einem unverhüllten Gesicht tun.
Hat es nicht auch viel mit Konzentration zu tun?
Ja, das Auge hat beim Maskenspiel und beim nonverbalen Spiel nur einen Ort, den es fokussiert. Das sorgt für eine große Konzentration. Wir versuchen, den Blick des Zuschauers sehr genau zu choreografieren.
Wie kann man sich den Entstehungsprozess der Masken vorstellen?
Ich mache die Masken nicht von Anfang an, die entstehen während der Proben. Wir beginnen immer, ohne Masken zu arbeiten – mit Texten, Situationen, Figuren, mit allen möglichen Mitteln. Wir sprechen, wir singen, wir tanzen, wir improvisieren. Dadurch entstehen Skizzen einer Geschichte. Das ist die Inspiration für mich: das, was der Schauspieler auf der Probe gemacht hat, in einer Maske umzusetzen und weiterzuentwickeln. Dann mache ich eine erste Maske für die Figur. Wenn die auf die Probe kommt, dann passiert etwas, was sozusagen niemand vorher geplant hat, eine Verbindung von Schauspieler und Maske. Und es entsteht etwas Drittes: eine Figur. Die Maske bekommt ein Eigenleben und wird auch zum Autor an dem Stück.
Die Masken und auch die Stückentwicklung beruhen also auf Improvisation.
Die Stückentwicklung ist zunächst ein chaotischer Prozess, der sich mehr und mehr ordnet. Oft fangen wir mit einer Grundidee an. In der zweiten Phase suchen wir eine Dramaturgie. In der dritten Phase versuchen wir, auf Masken zu übersetzen. Am Ende ist alles sehr detailliert ausgearbeitet. Jede kleine Bewegung ist am Ende entschieden und gestaltet.
Über 30 Menschen aus zehn Nationen bilden heute, fast 25 Jahre nach der Gründung, „Familie Flöz". Sie gastieren weltweit. Haben Sie sich bei der Gründung vorstellen können, so erfolgreich zu werden?
Nein, nein. Wir hatten sehr viel Glück und haben es geschafft, unseren Optimismus zu bewahren (lacht). Am Anfang war das nicht so einfach.
Auf welche Schwierigkeiten sind Sie in den ersten Jahren gestoßen?
Theater mit Masken hat keinen Menschen interessiert. „Das ist wunderschön, was ihr macht, aber wie soll ich das jemandem erklären?", hat es geheißen. Am Anfang war es ganz schwierig, Leute überhaupt in die Vorstellung zu bekommen, ebenso Veranstalter zu überzeugen. Wir haben an uns geglaubt, selber Hallen im Ruhrgebiet gemietet und drei Monate am Stück gespielt – irgendwann hat sich‘s rumgesprochen. Dann gab es wichtige Momente, wie das Edinburgh-Festival und das Festival in Avignon mit internationalem Publikum. Aber dass es mal so groß und erfolgreich wird, das hätten wir am Anfang auch nicht gedacht.
In Paris waren Kritik und Publikum begeistert. Hat man in Frankreich einen besonderen Nerv für Ihre Theaterkunst?
Ja, in jedem Fall. In Frankreich gibt es eine große Tradition an komödiantischem, aber auch visuell vielfältigerem Theater. In Deutschland ist das Theater sehr mit Literatur verbunden, das ist in anderen Ländern durchaus anders.
Der Titel des Stücks „Teatro Delusio" lässt etwas erahnen. Woher kam die Inspiration?
Die Idee für dieses Stück hatten wir auf Tournee in Italien. Wir hatten einen Tag frei und haben uns das Theater
angeschaut, in dem wir am folgenden Tag spielen sollten. Auf der Bühne waren Bühnenarbeiter. Wir saßen unerkannt im Saal, nur auf der Bühne wurde gearbeitet. Wir fanden das so spannend, Menschen zu sehen, die man dort normalerweise nicht sieht, und die sich unbeobachtet fühlten. Da kam uns die Idee für eine Hommage an das Theater.
Ein Geheimnis sollte ein Geheimnis bleiben, aber: Ihrer Theaterkunst wohnt schon eine bestimmte Magie inne. Können Sie die beschreiben?
Ich glaube, dass die Magie im Zuschauer selber entsteht. Für uns ist der Zuschauer das Herz des Theaters. Wir versuchen, in den Köpfen der Zuschauer etwas zum Leben zu erwecken.