Das Savannengebiet im Nordosten Ugandas gilt als der unberührteste Nationalpark weltweit. Besucher erleben hier ein unglaubliches Gefühl von Weite, Schönheit und Ruhe.
Lautes Getrampel durchbricht die Stille. Sind es umherstreifende Büffel? Plötzlich ertönt ein dumpfes Röhren, das mit jeder Sekunde näherkommt. Es ist das Gebrüll von Löwen, das einem in der stockdunklen Lodge mitten in der Savanne fast das Blut gefrieren lässt. Außer dem schwachen Schein der Taschenlampe gibt es keine Beleuchtung. Es ist zwei Uhr nachts. Das Kopfkino beginnt. Was, wenn ein Löwe oder gar ein ganzes Rudel auf die Veranda springt? Die Hütte steht zwar auf Stelzen, aber der König der Tiere kann dreieinhalb Meter hoch springen. In den scheibenlosen Fenstern sind nur Fliegengitter angebracht – ein Leichtes für eine Löwenpranke, diese zu zerfetzen. Von wegen „The Lion sleeps tonight"! Wer dieses Lied geschrieben hat, dem war entgangen, dass Löwen vor allem nachts und im Morgengrauen jagen. In der unbekannteren Originalversion des Textes, der in den 20er-Jahren in Südafrika entstand, heißt es richtig: „Der Löwe röhrt heut Nacht!"
Die Hütte steht zur Sicherheit auf Stelzen
Fünf Stunden später taucht die aufgehende Sonne das Gras der Savanne in faszinierende Goldtöne. Der Safari-Jeep ist erst ein paar Minuten von der Lodge entfernt, als im hohen Gras am Wegesrand ein Löwe in aller Seelenruhe sein Frühstück verspeist. Mit blutverschmierter Schnauze nagt er an einem toten Büffel. Das Fahrzeug und die klickenden Kameras stören ihn nicht weiter. Ein zweiter Löwe liegt wenige Meter entfernt und rollt sich im Gras. Offensichtlich ist er schon vollgefressen. Der Kopf eines weiteren Artgenossen lugt aus dem Gras hervor. „Die drei sind Brüder, Nomaden, die auf der Suche nach Weibchen durch die Savanne streifen und gemeinsam jagen", erklärt der Ranger am Steuer des Jeeps. Der dritte Löwe nähert sich humpelnd der angefressenen Beute. „Wahrscheinlich wurde er im Kampf mit dem Büffel verletzt, und wenn ein Löwe von einem Büffel getreten wird, humpelt er ziemlich lange", sagt der Ranger.
Als der Löwe, der an seinem üppigen Frühstück nagt, seinen Bruder herannahen sieht, verschwindet er zusammen mit dem anderen. Im Bauch des toten Tieres klafft ein riesiges Loch. Die Innereien sind weg. Der Löwe zerrt mehrere Minuten an dem Kadaver, bis es ihm gelingt, ihn auf die andere Seite zu rollen. Immerhin wiegt ein Büffel fast 600 Kilo – ohne Innereien und mit nunmehr halbem Kopf etwas weniger. Geschafft! Die Beute liegt nun auf dem Rücken und Sekunden später auf der Seite. Es hat den Löwen so viel Kraft gekostet, den schweren Kadaver umzudrehen, dass er nun seinen Kopf auf die Hüfte des Tieres legt und sich erst einmal ausruht.
Der Ranger drängt zum Aufbruch, denn hier gibt es nicht mehr viel zu sehen. Vor dem Fahrzeug galoppiert eine Zebraherde über den rotsandigen Schotterweg und lässt dicke Staubwolken hinter sich. Die vierstündige Fahrt wird immer wieder unterbrochen, um Tiere mit der Kamera einzufangen: Kaffernbüffel mit mächtigen, geschwungenen Hörnern, Antilopen, Elefantenherden an Wasserlöchern, Warzenschweine mit ihrem Nachwuchs, Meerkatzen, die in Bäumen turnen, Giraffen, die das Fahrzeug neugierig beäugen, Löwinnen, die am Wegrand faulenzen und jede Menge exotische Vögel. Unterwegs taucht kein anderes Fahrzeug auf, kein weiterer Safari-Jeep mit Touristen.
Das überrascht nicht, gilt doch der 1.442 Quadratkilometer große Kidepo aufgrund seiner Abgeschiedenheit und teilweisen Unzugänglichkeit und nicht einmal 3.000 Besuchern im Jahr als der vom Tourismus unberührteste Nationalpark der Welt. Die wilde und ursprüngliche Landschaft des von mächtigen Gebirgsketten flankierten Naturschutzgebietes vermittelt einen Hauch von Abenteuer. Überragt wird das Bergpanorama von den Gipfeln Morungore (2.750 Meter) and Zulia (2.147 Meter). Zu den fast 80 im Park vorkommenden Säugetierarten gehören Antilopen, mehr als 10.000 Büffel, über 400 Elefanten, Geparden, Hyänen, Leoparden, etwa 100 Löwen in mehreren Rudeln, Paviane, Rothschildgiraffen, Warzenschweine und Wüstenfüchse. Die Vogelwelt wartet mit fast 500 dokumentierten Arten auf.
Lange Zeit war die Region unsicher. Mit Kalaschnikows bewaffnete Gruppen des halbnomadischen Hirtenvolkes Karamojong lieferten sich über Jahrzehnte hinweg untereinander Gefechte, weil ein Stamm dem anderen in nächtlichen Aktionen immer wieder Viehherden stahl. Erst 2011 gelang es der ugandischen Armee, die Kämpfer zu entwaffnen. Heute sind Überlandfahrten zum Park durch das Karamoja-Gebiet problemlos möglich und Besucher werden in den weit verstreuten Dörfern der Karamojong herzlich begrüßt. Die politische Lage unter Präsident Museveni, der seit 1986 in Uganda regiert, ist stabil. Vom benachbarten kriegsgeschüttelten Sudan ist hier nichts zu spüren.
Derzeit einzige Lodge im Park ist die „Apoka Safari Lodge", die auf einem Felsen liegt, eine grandiose Sicht über die Savanne bietet und der jegliche Abgrenzung zur Wildnis fehlt. Tiere können jederzeit ungehindert auf das Gelände, denn hier gibt es für sie eine Wasserstelle. Der Kidepo-Nationalpark umfasst zwei Täler, das Narus- und das Kidepo-Tal, in dem der Fluss während der Trockenzeit austrocknet. Die Tiere finden dann das lebenswichtige Wasser auf dem Gelände der Lodge. Gäste dürfen sich deshalb bei Dunkelheit nur mit Sicherheitspersonal außerhalb ihrer Unterkünfte bewegen. Um einen Wachmann zu informieren, genügt ein Blinken mit dem Außenlicht oder der Taschenlampe.
Das südafrikanische Ehepaar Corrie und Bianca Brits leitet die Lodge seit April 2016. „Wir wollten unbedingt außerhalb von Südafrika arbeiten", erzählt der 35-jährige Corrie. „Zunächst zogen wir Botswana in Betracht, was wegen der Arbeitsgenehmigung aber fast ein Ding der Unmöglichkeit war. Dann wurde uns Uganda angeboten." Corrie und seine Frau zögerten als sie hörten, dass die Lodge nur wenige Kilometer von der Grenze zum Südsudan entfernt liegt, sagten aber schließlich zu, was sie bis heute nicht bereut haben. „Die Lodge ist einfach herrlich. Wir haben uns in den Kidepo Nationalpark verliebt. Ich war an vielen Orten in Afrika, habe den Kruger Nationalpark, die Serengeti und Masai Mara gesehen. Der Unterschied zwischen hier und dort ist, dass es dort überfüllt ist, in den Parks tummeln sich zu viele Touristen. Während eines Game Drive schaut man auf 20 andere Fahrzeuge ringsum.
Zurzeit ist die politische Lage stabil
Im Kidepo trifft man weit und breit auf keine anderen Safari-Jeeps." Die Einsamkeit macht den beiden nichts aus. „Wir sind keine Stadtmenschen. Wir haben eine Zeit lang in Johannesburg in einem Hotel gearbeitet, aber die Stadt war zu laut und geschäftig für uns", sagt Corrie. Als die Lodge 2007 eröffnet wurde, gab es kaum Gäste. „Viele trauten sich nicht, mit dem Auto zu kommen, weil sie durch das damals noch gefährliche Karamoja-Gebiet fahren mussten. Das hat sich zum Glück geändert." Die Apoko-Lodge, die die Karamojong-Dörfer mit einem Treuhandfonds unterstützt, besteht aus zehn Hütten mit fast 40 Quadratmeter großen, im Kolonialstil eingerichteten Zimmern, geräumigen Badezimmern mit Dusche, einer in einen Felsen eingebauten Badewanne vor der Tür und einer Veranda mit Blick auf die Savanne. Um den Tourismus voranzutreiben, sollen weitere Lodges entstehen.
Einige Kilometer weiter wird die terrassenförmig in einen gigantischen Felsen hineinbetonierte „Katurum Lodge" gerade aufwendig renoviert. Idi Amin ließ sie einst für Staatsgäste bauen. Als der Diktator 1979 gestürzt wurde, verfiel die nie eröffnete Lodge zu einer Ruine. Der Blick von den fast fertigen Zimmern hinunter auf die weite Savanne mit ihren Tierherden ist überwältigend. Der Kidepo-Nationalpark, sagt man, war Idi Amins liebste Spielwiese, sein eigenes kleines Paradies.