Im Vorfeld ihres 30-jährigen Bandjubiläums im Jahr 2019 haben die Fantastischen Vier ihr inzwischen zehntes Studioalbum „Captain Fantastic" eingespielt. Smudo alias Michael Bernd Schmidt spricht im Interview über seinen 50. Geburtstag, die Arbeit als Coach bei der Talentshow „The Voice of Germany" und über das Scheitern.
Smudo, verstärkt um Samy Deluxe, Damion Davis und Curse haben sich die Fantastischen Vier in Klausur begeben. Hat es sofort gefunkt zwischen den Youngstern und Ihnen?
Mit Samy hatten wir schon vorher etwas gemacht. Er war der Eisbrecher, dass wir noch mehr mit Textern arbeiten. Eigentlich war das unser letztes Tabu, die Texte wollten wir immer selber schreiben. Aber Captain Fantastic ist unser neuer Spirit. Dahinter verbirgt sich keine Person, sondern eine Geisteshaltung. Sie besagt: Nicht so viel den Zensor einschalten, sondern einfach machen! Wir sind ja nicht mehr die Jüngsten und all die Erfahrungen, die man so gemacht hat, stehen einem manchmal im Weg. Jede Songidee, die an die Tür klopft, wird von uns sofort abgelehnt, weil wir glauben, so was schon mal geschrieben zu haben. Deshalb ist es ist toll, mit anderen Leuten wie in einem Workshop zusammenzuarbeiten. Vor allem Damion Davis ist ein Motivator. Dem kannst du das Stichwort „Schiffe versenken" geben und er schreibt dir dazu 32 Reime. Wir haben uns mit Leuten wie Flo Mega und Clueso in verschiedenen Studios getroffen und den ganzen Tag Musik gemacht, bis wir Kopfschmerzen hatten.
Ging es im Studio eher streng oder locker zu? Darf man den Soundtüftler And.Ypsilon bei der Arbeit ansprechen?
Wenn Andy sich erst einmal an einem Sound festgebissen hat, darf man ihn nicht ansprechen. Im Studio gibt es im Prinzip zwei Phasen. Es beginnt immer mit einem Brainstorming und lockerer Sound-Suche. Aber es gibt auch die ernste Maloche. Wenn der Pilotsong steht, gehen wir ins Studio und nehmen ihn richtig auf. Dann wird nicht mehr viel kreativ geholzt.
Gibt es bei einer fast 30 Jahre alten Band eingespielte Mechanismen des Zusammenarbeitens wie man es von einer langen Ehe kennt?
Ja, schon. Man weiß aber auch, was einem auf den Keks geht. Jeder hat da so seine Eigenheiten. Keiner von uns ist mit seinem Partner so lange verheiratet wie mit den Fantas.
Captain Fantastic ist ein guter Geist. Wie kam diese unsichtbare Superkraft zu Ihnen?
Sie ist im Vorfeld entstanden, als wir uns entschlossen hatten, ein neues Album zu machen. Einerseits ist es auch oft, wie eine noch zu erledigende Hausaufgabe, auf die man im Grunde keinen Bock hat, weil vieles davon bekannt ist und langweilt. Andererseits kann ich auch nicht nichts machen und stattdessen den ganzen Tag Spaghetti-Eis essen, sondern es ist gerade wichtig, dranzubleiben und vieles neu zu machen. Immerhin sind wir die ersten deutschen Rapper, die ein komplettes Album in ihrer Muttersprache gemacht haben. Dieser Pioniergeist soll weiterziehen. So ist in der Findungsphase Captain Fantastic entstanden. An ihn kann man sich in dunklen Momenten wenden, wenn die Schreibblockade zuschlägt.
Hat Captain Fantastic Ihnen geraten, nicht so brav und betulich zu werden wie die deutsche Ausgabe der Sesamstraße?
Wollen Sie damit sagen, dass Ihnen das Album unbrav vorkommt? Das geht in Ordnung. Es ist einfach passiert!
Wenn Sie neue Musik schreiben, versuchen Sie dann, das Alte so weit wie möglich von sich wegzuschieben?
Wenn wir länger keine Musik mehr gemacht haben, speziell live, merken wir, dass sich vieles wiederholt und wir uns anfühlen wie unsere eigene Coverband. Natürlich haben wir klassische Songs, die wir immer wieder spielen, aber es ist schon ein komisches Gefühl, drei Jahre ohne neue Songs aufzutreten. Dann entsteht spätestens der Wunsch, ein neues Album zu machen.
Sind Sie vier Egos mit starkem Kontrolldrang?
Nein, wir sind eher vier Typen, die nicht so genau wissen, was sie wollen. Es ist Teil des Albummachens, zu viert eine Vision zu entwickeln. Diesmal haben wir diese in Form des Mottos „Captain Fantastic" gefunden. Manchmal sind unsere Albumtitel aber auch programmatisch wie bei der Jubiläumsplatte „Rekord".
Der Song „Endzeitstimmung" beschreibt das, was viele Menschen bei der derzeitigen Weltenlage empfinden. Sie auch?
Oh ja! Es ist eigentlich nicht unsere Art, politische Songs zu machen. Mit der Nummer haben wir aber scheinbar vielen Fanta-Fans aus der Seele gesprochen. Es ist kein pamphletartiger Song, sondern er drückt ein einfaches Gefühl aus: Die Wut über diesen Populismus, diese einfachen Parolen und diese apokalyptische Stimmung mit ihren Verschwörungstheorien. Ständig ist es fünf vor zwölf, seit Jahrzehnten schon. Das hält ja keiner aus! Dieses Gefühl wollten wir unbedingt mal vertonen.
Wird Kunst wichtiger in politisch turbulenten Zeiten?
Kunst im Allgemeinen ist ein sozialer Kitt, der Menschen mit gemeinsamen Werten, Weltanschauungen, Meinungen, Herkunft, und so weiter eint, wie das viele kulturelle Codes machen. In diesem Sinne hat Musik eine Aufgabe. Ich glaube aber nicht, dass ein Lied die Welt verändern kann. Es drückt eher aus, wie in einer gewissen Gruppe die Stimmung ist. Nicoles „Ein bisschen Frieden" hat nicht die Abrüstung gebracht, aber das Lied spiegelt ein Gefühl wider, das viele Menschen damals hatten, und der Erfolg signalisierte, dass weite Bevölkerungsteile diese Sehnsucht nach Frieden teilen. Insofern hatte das Lied eine Signalfunktion und verbindende Wirkung. Es hatte auf jeden Fall eine gewisse Aussagekraft. Deshalb finde ich es zum Beispiel auch wichtig, gegen Nazimusik vorzugehen. Sie befördert feindseliges, trennendes Denken.
Wie verwandelt man Gefühle wie Wut oder Schmerz in gute Kunst?
Ich finde es ein bisschen zu primitiv, wenn man sagt: „Haut sie platt!" Wir machen lieber humorvolle Musik zu traurigen Themen, das nennen wir „Fantalismus". Zum Beispiel zum Thema Internet im Song „Tunnel": Man kann sich heute regelrecht dumm googeln. Es gibt Leute, die glauben wirklich den größten Mist, zum Beispiel, dass die Erde eine Scheibe ist oder dass Flugzeuge Gift versprühen. Dabei dachte ich immer, das Internet macht uns alle schlau!
Sind Menschen wirklich „Affen mit Waffen"? Glauben Sie letzten Endes an die Vernunft des Menschen?
Ich glaube letzten Endes an das Gute. So viel Optimist bin ich dann doch, auch wenn es mir nicht immer leicht fällt. „Affen mit Waffen" ist ein apokalyptisches Lied, aber es spielt auch hier ein bisschen Humor mit rein.
Sind Sie in Frieden mit sich selbst?
Ich denke, ja.
Haben Sie noch einen großen Traum?
Ich habe keinen konkreten Traum. Aber es ist nicht so, dass ich vor lauter Zufriedenheit nicht mehr wüsste, was ich machen soll. Das ist aber Privatsache. Und mit den Fantas wollen wir das 30-jährige Jubiläum noch angreifen und uns dazu etwas einfallen lassen.
Verplempern Sie Ihre Zeit manchmal auch mit weniger anspruchsvollen Dingen?
Natürlich! Mit Nichtstun. Wenn es geht – was selten genug passiert – mit Ausschlafen. Müßiggang ist herrlich und in meiner aktuellen Lebenssituation der pure Luxus!
Welchen Tribut fordert die Kunst? Ist ein bahnbrechendes Werk ohne Weiteres zu haben?
Ich bin, glaube ich, schon zu lange im Unterhaltungskunstbetrieb tätig, um dem allgemein eine große Ehrfurcht abzugewinnen. Was ist ein bahnbrechendes Werk? Hier und da finde ich Lieder auch wirklich toll oder genial oder bewundere die Schaffenskraft der Kollegen, aber das hat viel mit meinen persönlichen Gefühlen zu tun. Das tatsächliche Machen ist gar nicht so schwer, also das Handwerkliche. Musik ist für mich dann toll, wenn sie locker und leicht wirkt. Dass da viel Arbeit hintersteckt, ist eine andere Sache. Oder wenn eine Produktion so viel Tiefe hat, dass man sie sich auch in zehn, 15 Jahren noch anhören kann.
Woran erkennt man solch eine Produktion?
Das weiß der Künstler in der Gegenwart wohl auch nicht immer. Oft ist es auch dem Zufall geschuldet. Wenn ein Künstler viel veröffentlicht, ist vielleicht auch ein Klassiker dabei. Als Campino für „Tage wie diese" einen Texter-Preis bekommen hat, sagte er, der Song sei eigentlich eine Gesamtarbeit, an der auch diejenigen beteiligt gewesen seien, die für die Stimmung im Studio gesorgt haben. Wenn er wüsste, wie man solch einen Klassiker hinbekommt, würde er es öfter machen. Weise Worte. Sie haben den Hit seinerzeit nicht kommen sehen.
Haben Sie bei dieser Produktion etwas Neues dazugelernt?
Ja. Gerade bei einem Lied wie „Watchman" über Uhren – der sich aber natürlich auch um das Leben dreht. Das hätte ich normalerweise bereits im Vorfeld zensiert. Aber wir haben uns gesagt: „Scheiß drauf, lassen wir uns dazu etwas einfallen!"
Sie sind kürzlich 50 geworden. Empfinden Sie diese Zahl als Wendepunkt in Ihrem Leben?
50 zu werden ist nicht so schön. Die Woche vor meinem Geburtstag kam ich mir wahnsinnig alt vor. Aber jetzt ist es total normal, 50 zu sein. Im Moment.
Gab dieser runde Geburtstag Anlass, mit alten Lastern zu brechen?
Nein. Es ist ja nicht so, dass ich mit 49 noch mit Kinderticket Achterbahn gefahren wäre und mit 50 am Nachmittag nur noch Käsesahnetorte mit koffeinfreiem Kaffee zu mir nähme. Das ist ein langer Prozess. Es gibt immer wieder Dinge, die nichts mehr für mich sind. Zum Beispiel, bis um zwei Uhr morgens in einer Disko oder einem Club herumzustehen. Oder manche DJ-Jobs. Die brauche ich einfach nicht mehr. Das hat sicher auch etwas mit dem Alter zu tun.
Auf Live-Auftritte mit den Fantastischen Vier möchten Sie hingegen nicht verzichten. Heutzutage werden Konzerte über den Bildschirm eines in die Höhe gereckten Smartphones im Videomodus verfolgt. Haben Sie sich mittlerweile daran gewöhnt?
Das ist immer noch ein bisschen komisch. Früher gingen die Hände hoch, heute sind es die Bildschirme. Wenn ich selber auf ein Konzert gehe, filme ich nicht mit. Aber von der Bühne aus gesehen ist es auf jeden Fall ein großer optischer Unterschied. Aber was soll man denn sonst machen, wenn man keine Konzerte mehr macht? Ich las mal in einem Interview von Fettes Brot, dass sie sich auch schon mal getrennt hätten und nach dem Abschlussgespräch auf dem Heimweg tauchte die Frage auf: „Was mach ich denn jetzt? Was kann ich denn sonst machen?" Wir sind jetzt seit 30 Jahren ganz gut und erfolgreich dabei. Es ist nicht so, dass ich nicht beschäftigt wäre, aber die Fantas sind mein Kernding. Die anderen Aktivitäten haben sich daraus ergeben.
Warum sind Sie bei „The Voice Of Germany" noch dabei?
Es macht Spaß. Und es hat positive Effekte auf die Band. Wir bleiben im Gespräch, auch bei jungen Leuten. Gerade in einer Zeit, in der die Medien völlig diversifiziert sind, reicht es nicht, einmal auf MTV und Viva zu laufen, dass ganz Deutschland weiß, die Fantas haben ein neues Album.
Hat sich Ihre Einstellung zu Talentshows durch „The Voice" geändert?
Nein, ich fand die immer schon scheiße. „The Voice" ist etwas anderes. Wir haben ein paar Jahre gebraucht, um zu merken, dass die Idee nur funktioniert, wenn wir diesen Doppelstuhl haben. Ich finde, außer „The Voice" kann man sich nichts anderes angucken. Eine Show sollte sich nicht um das Begaffen von Schicksalen oder kuriosen Figuren drehen. Bei „The Voice" steht die ganze Zeit der Respekt vor den Menschen im Vordergrund. Ich will nicht ausschließen, dass nicht auch der eine oder andere unglückliche Beitrag dabei rausspringt. Aber das ständige Credo ist: Es soll niemals jemand aus der Sendung gehen mit dem Gefühl, etwas gemacht zu haben, mit dem er nicht einverstanden war.
Haben Sie eine Erklärung dafür, warum nicht allen Finalisten später der Durchbruch gelingt?
Die machen ja keine eigene Musik und singen in der Sendung bereits bekannte Lieder nach. Sie stehen nicht für eine spezielle Attitüde oder Haltung. Der Weg eines Musikers oder einer Band ist ein ganz anderer als der eines Gesangstalents in einer Castingshow. Das bildet sich auch in Plattenverkäufen ab. Es ist ein verrückter Zufall, wenn es dann doch mal passiert. Seit Jahrzehnten wissen das in Castingshows eigentlich alle, aber es ist immer wieder ein Thema in der Presse.
Bei all den ambitionierten Projekten, die Sie angehen: Wie oft scheitern Sie?
Mit der Frage kann ich nichts anfangen. Ich habe zum Beispiel Schauspielerei immer wieder versucht, da hat es nie so richtig geknallt. Bin ich deshalb gescheitert? Eigentlich nicht. Ich bin nicht erfolgreich gewesen, aber es hat mir Spaß gemacht und die Arbeit hat mir etwas gebracht. Ich habe gestern zehn Zeilen geschrieben, davon sind acht gescheitert! Es kommt immer darauf an, die richtigen Sachen wegzuschmeißen, sodass am Ende eine Platte übrig bleibt, die einen guten Groove hat.
Welches ist die wichtigste Eigenschaft eines Künstlers?
Das kann ich nicht verallgemeinern, weil es bei jedem anders ist. Manchmal würde man sagen, dass er möglichst einzigartig oder möglichst flexibel sein sollte.