Weniger „echte" Profis und eine neue „Transition Tour" sollen die Tenniswelt auf den Kopf stellen. Doch die ITF-Reform könnte für Veranstalter und Nachwuchsspieler zum Fiasko werden.
Zwischen „gut gemeint" und „ganz nah an der Basis" liegen manchmal tiefe Gräben. Nicht nur in der Politik, wo Volksvertretern und Verwaltungsbeamten häufig die Vorstellungskraft fehlt, wie es im Gemenge multipler Anforderungen und finanzieller Einforderungen zugeht. Eine vergleichbar fantasielose Distanz ist dieser Tage bei der Internationalen Tennisföderation (ITF) zu beobachten, die nicht nur Ausrichterin von vier glanzvollen Grand-Slam-Turnieren und vom traditionellen Nationenevent Davis Cup ist, sondern auch Türöffnerin zur Profi-Tourszene.
Neben der ITF gibt es noch die Weltverbände ATP bei den Herren und WTA bei den Damen. Dort gibt es die Punkte, für die Tennistalente leben und trainieren, die sie unsterblich machen, die ihren Rang im glorreichen Kosmos der gelben Kugel symbolisieren und festzurren sollen. Gehen Punkte in der komplizierten Profitour-Arithmetik flöten, kündigen sich Dramen an. Werden erst gar keine oder nur wenige Weltranglisten-Punkte erworben, geht es um die Existenz.
Bislang bahnte sich der hoffnungsfrohe Nachwuchs über ITF-Future-Turniere den Weg in eine berufliche Zukunft als Tennisprofi, räumte dort die ersten Weltranglisten-Punkte für sein Selbstdarstellungskonto ab. Nicht anders als Roger Federer oder Rafael Nadal, die seit Jahrzehnten um Spitzenränge in den Top Ten der Tenniswelt kämpfen.
Sehr schnell kann extra viele Punkte holen, wer ganz oben in der World Tour mitmischt. Er bekommt sogar manches Match in den ersten Runden geschenkt, muss sich nicht in der Qualifikation verausgaben. Wer erst von einer goldenen Tenniszukunft träumt, braucht jeden einzelnen, sparsam vergebenen Punkt dringend, um sich einen Namen zu machen, um für Sponsoren interessant zu sein, um Teil des Profisystems zu werden.
Schnellstarts gelingen nur wenigen Ausnahmespielern. Über zahlreiche Erfolge auf der ITF-Future-Tour stieg beispielsweise der österreichische Top-Ten-Spieler Dominic Thiem im Spätsommer 2013 mit 20 Jahren in die Top 200 der Weltrangliste ein. Der Hamburger Alexander „Sascha" Zverev gewann 2014 mit 17 Jahren als Nummer 665 der ATP-Wertung sein erstes Profiturnier und stieg dank der 125 beim Challenger in Braunschweig erzielten Weltranglistenpunkte auf Rang 285 hoch. Mit 20 Jahren wurde er erstmals zur Nummer drei des Tennis-Universums.
Schnellstarts gelingen nur wenigen Spielern
Wer in den Top 100 angekommen ist, hat den existenziellen Spagat geschafft und kann entspannter weiter hochrutschen. Wer weiter unten, aber immerhin in den Top 250 steht, kommt mit Sparsamkeit einigermaßen klar, muss aber spielen, spielen, spielen, bis er in die Turniere und Hauptfelder der ATP World Tour kommt, bei denen ordentlich Punkte und Preise abzuholen sind.
Durch eine ITF-Turnier- und Wertungs-Reform, die dem Vernehmen nach ohne nähere Einbindung von Basis und Verbänden, wie dem Deutschen Tennisbund (DTB), geplant wurde, rückt der Gipfelsturm für Tennistalente künftig in noch weitere Fernen. Denn die ITF-Future-Turniere, von Landesverbänden und Privaten veranstaltete Sprungbretter ins Profidasein und mit Zukunftsstars gespickte Attraktionen für viele Fans gerade auch in kleineren Ausrichtungsorten, werden bald Vergangenheit sein. Die 15.000-US-Dollar-Turniere sollen ab 2019 wegfallen, die 25.000-US-Dollar-Turniere ab 2020. Ihnen folgen Wettkampfevents der neuen „Transition Tour" als Teile der ITF-Turnier-Reform. Der entscheidende Unterschied zwischen Gegenwart und Zukunft im Welttennis: Punkte fürs ATP-Ranking werden ab Januar 2019 bei ITF-Turnieren für den Profi-Nachwuchs Vergangenheit sein.
Auf Transition-Ebene gibt es, anders als bei den bisherigen Future-Turnieren, keine ersten Weltranglistenpunkte als Einstiegskarten in den Zwischenraum der ATP-Challenger-Turniere und in den ATP-Tour-Zirkus der Spitzenprofis aus 250ern-, über 500er-, bis zu den 1.000er-Masters-Turnieren zu gewinnen. Stattdessen winkt quasi nur der Antrag auf Weltranglistenpunkte bei den ATP-Challengern. Denn 2019 führt der ITF eine zweite, eine Entry-Rangliste ein, die die Chancen auf sichere Qualifikationsplätze bei Herren-Challengern oder gleichwertigen Turnieren der Damen, mit mindestens 60.000 Euro Preisgeld, erhöht.
Klingt erstmal gut, bedeutet aber, anstelle von ATP-Weltranglistenpunkten, die sich irgendwann beispielsweise zur Position Nummer drei, wie beim aktuell besten Deutschen, Alexander Zverev, summieren könnten, gibt es Wildcards für ATP-Challengers und für ITF-Transition-Turniere. Damit nicht genug: Im Einzel und entsprechend im Doppel sollen ab kommendem Jahr nur noch etwa 750 Spieler bei den Damen wie bei den Herren tatsächlich in den ATP- und WTA-Ranglisten geführt werden. Ein radikaler Rauswurf aus dem Ranking durch Punktegeiz: Am 1. April 2018 waren es bei den Herren noch 1.020 Einzelprofis.
Radikaler Rauswurf aus dem Ranking
Schwer nachvollziehbar ist, wie diese Verknappung den 14.000 Spielerinnen und Spielern weltweit, die Jahr für Jahr an professionellen Turnieren teilnehmen, so eine Untersuchung der ITF, helfen soll. Nur ganz wenige können von ihrem Sport beziehungsweise von Sponsoren leben. Zwangsläufig reist die Mehrheit nicht ständig von Turnier zu Turnier um die Welt, und bezahlt Flüge, Hotels und gar noch Trainer und Fitnessteam aus Preisgeld- und Werbetestimonial-Kassen. In den Augen von ITF und ATP üben diese Überlebenskünstler zwischen Parallel-Jobs, harten Trainings- und Wettkampfeinheiten und familiärer Unterstützung ihren Sport nicht professionell aus, spielen insbesondere zu wenige Turniere. Freiwillig?
Die Abhilfe-Reform: Bereits ab dem Jahreswechsel werden ATP-Punkte nur noch bei Grand-Slam-Turnieren (der ITF) und bei Veranstaltungen der ATP World Tour und der ATP Challenger Tour vergeben. In der Silvesternacht zu 2019 werden zudem alle bei den ITF Futures erzielten Punkte aus der Wertung fallen und ins Nirwana verschossen, die nicht bei Turnieren über der 25.000-Dollar-Grenze erreicht wurden. Die 25.000er-ITF-Future-Wettkämpfe sollen 2020 wegfallen.
Auch den 18 deutschen ITF-Future-Turnieren, die gerade erst mühsam von 10.000 auf 15.000 US-Dollar Wertigkeit aufgestockt hatten, droht das abrupte Aus. Den nachrückenden Spieler-Talenten schwant die Nichtbeachtung durch kommerzielle Förderer. Wie sollen Sponsoren, ohne werbewirksame Weltranglistenpunkte, bei der ITF „Transition Tour" in der direkten Future-Nachfolge gehalten werden? Oder wie sogar zu viel höheren Zahlungen animiert werden, um die Aufstockung zu Challenger-Turnieren zu schaffen, die dann zwar wieder Punkte bringen, aber mit mindestens 60.000-US-Dollar dotiert sein und künftig sogar volle Hospitality für die Unterbringung und Versorgung der Spieler garantieren müssen? Der deutsche Tennisbund will den Veranstaltern vor allem in Einzelgesprächen helfen, mit den Umbrüchen und vielen Detail-Unklarheiten klarzukommen.
Kein Turnier unterhalb der ATP World Tour – ob „Transition Tour" oder Challenger beziehungsweise entsprechendes Damen-Turnier – darf ab 2019 länger als sieben Tage dauern. Damit sollen die Veranstalter geringere Hospitality-Kosten tragen und vor allem den Junioren beim Einpassieren in den Profi-Bereich niedrigere Hotel- und Reisekosten als bislang bei den ITF-Future-Turnieren entstehen.
„Weg für die Spieler länger und teurer"
In der Deutschen Tennis-Zeitung, dem medialen Organ des DTB, zweifelt Sportdirektor Klaus Eberhard eine damit einhergehende Förderung und Unterstützung des Tennisnachwuchses an: „Die Idee der ITF, dass die Spieler zukünftig viel geringere Kosten haben werden, sehe ich nicht. Vielmehr glaube ich, dass der Weg für die Spieler länger und teurer wird, da die Spieler erst auf den Challengern Weltranglistenpunkte erhalten." Eberhards „Unterbau"-Anliegen angesichts des Wegfalls von Weltranglistenpunkten bei Future- beziehungsweise Transition-Turnieren: „Es muss für die Spieler die Möglichkeit geben, dass sie in das geschlossene System des Profitennis hineinkommen können."
Volker Jäcke, Sprecher der ITF-Herren-Turniere, weiß um die Probleme speziell der privaten Veranstalter, die keineswegs mühelos 40.000 bis 50.000 Euro mehr aufbringen können, um ihr bisheriges Future-Turnier auf Challenger-Ebene aufzuwerten. Schon gar nicht ohne das „Qualitätssiegel Weltranglistenturnier". Jäcke: „Ich glaube nicht, dass alle Turnierveranstalter ihr Event fortsetzen werden. 2019 werden wir kaum noch 17 bis 18 ITF-Herrenturniere in Deutschland haben."
Eines der ersten ITF-Turniere, das zum Challenger werden könnte, ist das Future-Turnier des DTB in Hamburg. Sofern die Terminlage mehr als die bisherigen acht Challengers hergibt. Denn die Wildcard-Inhaber allein füllen noch kein Challenger. Und wie viele Transition-Turniere es überhaupt geben wird, bei denen Qualifikationsplätze für Challengers erspielt werden können, ist unklar. Fazit: Guter Wille ist da. Doch die Gräben sind noch gewaltig.