Merkel lotet neue Gemeinsamkeiten mit Russland und China aus
Wer hätte das gedacht? Inmitten des weltpolitischen Trump-Donnerwetters ist Bundeskanzlerin Angela Merkel auf der Suche nach neuen Partnern, zumindest in Teilbereichen. Beim Treffen mit Russlands Präsident Wladimir Putin im Schwarzmeer-Badeort Sotschi am vergangenen Freitag gab es immerhin Anknüpfungspunkte. Vor allem bei der Rettung des internationalen Atomabkommens mit dem Iran ziehen Merkel und Putin an einem Strang.
Beide wollen, dass das Mullah-Regime weiterhin strikt die Bedingungen des Vertrags erfüllt und keine Kernwaffen entwickelt. Sie teilen die gleiche Schlussfolgerung: Der einseitige US-Ausstieg aus dem Vertrag und die Verhängung von Sanktionen gegen den Iran ist kontraproduktiv. Wird Teheran isoliert und wirtschaftlich das Wasser abgegraben, stärkt dies die schiitischen Hardliner. Nehmen diese das Atomprogramm wieder auf, erhöht dies die Gefahr eines massiven Rüstungswettlaufs im Nahen Osten.
Die zweite Annäherung gab es in Sotschi beim deutsch-russischen Gaspipeline-Projekt Nordstream 2. Die amerikanische Regierung torpediert das Vorhaben aus geostrategischen Interessen: Europa werde dadurch zu sehr von russischem Gas abhängig und damit politisch erpressbar. Der taktisch wendige Putin gab sich großzügig und sagte unter gewissen Bedingungen die Fortsetzung des Gas-Transits durch die Ukraine zu.
US-Präsident Donald Trump hat etwas geschafft, was keinem seiner Vorgänger gelungen ist: Er hat die transatlantischen Beziehungen von Grund auf erschüttert. Die traditionelle Gemeinschaft des Westens auf der Basis von demokratischen Werten, Freihandel oder der Einhaltung von internationalen Verträgen existiert nicht mehr.
Trump ist ein Zerstörer, der sich mit einem obsessiven Drang daran macht, die großen Projekte seines Vorgängers Barack Obama kaputtzuhauen. Das trifft insbesondere auf das Begräbnis dritter Klasse für den Nuklear-Deal mit Teheran zu. Dass dabei europäischen Firmen mit Irangeschäft offen US-Strafmaßnamen angedroht werden, zeugt von einer nie dagewesenen Konfrontationslust. Auch Trumps Protektionismus-Keule gegen den liberalen Welthandel ist eine radikale Abkehr von der bisherigen Außenpolitik Amerikas.
Der hohe Krawall-Faktor in Washington treibt Merkel Richtung Osten: Erst trifft sie Putin in Sotschi, an diesem Freitag besucht sie den chinesischen Staatschef Xi Jinping in Peking. Auch dort geht es darum, Gemeinsamkeiten in der Iran-Frage und beim Erhalt der multilateralen Wirtschaftsordnung auszuloten.
Doch vor Illusionen muss gewarnt werden. Eine tiefergehende strategische Partnerschaft mit Russland oder China ist nicht in Sicht. Zu weit liegen etwa die Meinungen im Syrien-Konflikt auseinander. Das lässt sich an der simplen Tatsache ablesen, dass Putin Machthaber Baschar al-Assad einen Tag vor Merkel empfangen und in den höchsten Tönen gelobt hat. Moskau will den Status quo erhalten und verhindern, dass Syrien als Staat zusammenbricht. Dabei wird immer auf die Interventionen des Westens im Irak oder in Libyen verwiesen. Die Bundesregierung baut hingegen auf einen demokratischen Übergang – ohne Assad.
Auch beim Ukraine-Thema bleiben die Unterschiede groß. In Moskau denkt man nicht im Traum daran, die annektierte Krim zurückzugeben. Wie das Minsker Abkommen umgesetzt werden soll, ist heftig umstritten. Ob der Kreml in der Ostukraine einen robusten Einsatz von UN-Truppen akzeptiert, die das Gebiet bis zur russischen Grenze überwachen, darf bezweifelt werden.
Die Welt ist extrem kompliziert geworden. Trump driftet in einen „America-First"-Egoismus ab und setzt die EU zusätzlich unter Druck. Will diese nicht zwischen Washington, Moskau und Peking zerrieben werden, muss sie zu einer neuen Einheit finden. Dies umso mehr, als in Italien mit einer euro-kritischen Populisten-Koalition eine Art Brexit-Schock droht. Die Gemeinschaft kann nur Geschlossenheit und Stärke gewinnen, wenn sie sich auf zwei Grundpfeiler einigt: In einer feindlichen Umwelt muss mehr Geld in die Verteidigung fließen. Zweitens sollte sie sich auf das Notwendige konzentrieren – die Aufnahme der Westbalkan-Staaten in die EU gehört auf absehbare Zeit nicht dazu. Darüber hinaus gibt es Raum für punktuelle Partnerschaften. Merkel hat in Sotschi vorgemacht, wie es geht.