„Parteien sammeln Irre und Verrückte", sagt Frauke Petry, ehemals Gesicht der AfD. Mit der neuen Blauen Partei will sie denen und den Postenjägern entgegenwirken: Ein Bürgerforum Blaue Wende soll als Diskussionsrunde von Leuten mit Knowhow vorgeschaltet sein. Ein neuer Anlauf mit alten Ideen?
Frau Petry, fast drei Jahre am Stück in den Schlagzeilen, und plötzlich wird es ganz still um Sie: Ist das als Politikerin nicht furchtbar?
Nein, ganz im Gegenteil. Erstens hat die hektische Betriebsamkeit der Politik etwas sehr unnatürliches, zweitens hatten viele der persönlich diffamierenden Schlagzeilen schlimme Auswirkungen auf meine Kinder, und drittens genieße ich tatsächlich gern die Ruhe, besonders im Garten. Es stimmt, über die Blaue Partei und Blaue Wende wird aktuell noch wenig berichtet, aber wir bauen Bürgerforum und Partei ja auch gerade auf. Nach den langen zähen Koalitionsverhandlungen sind viele Bürger medial ermüdet und wollen nur, dass Politik endlich liefert. Die meisten sind ja auch in Sachen Politik nicht solche Medien-Junkies, wie wir das sind.
Ihr Austritt wirkte etwas überstürzt – oder war er das gar nicht?
Spätestens nach der Ablehnung meines Zukunftsantrags für eine konstruktive Politik auf dem Kölner Parteitag im April 2017 habe ich mir viele Gedanken darüber gemacht, wohin die AfD politisch marschiert. Die sich radikalisierende Tonalität, die nationalsozialen anstatt der freiheitlichen Signale, die innerparteilich wachsende Postengier und ein Bundesvorstand, der lieber Höcke nachgab als gemeinsam mit mir die Partei auf Kurs zu halten, waren schmerzhafte Bausteine der Erkenntnis, dass die AfD zunehmend ihre Wurzeln von 2013 vergaß. Trotzdem habe ich bis zum 24. September dafür gekämpft, dass die Arroganz der anderen Parteien durch den Einzug der AfD in den Bundestag einen Dämpfer und die Bürger dort eine echte Opposition bekamen. Was viele Bürger nicht wissen, ist, dass ich nach meiner Wahl zur Kandidatin in Sachsen ab Ende Juli gar nicht mehr hätte zurücktreten können, außer durch Tod. Mit der Entscheidung, der AfD-Fraktion nicht anzugehören, habe ich die wachsende Entfremdung dann öffentlich gemacht.
Aber was sind denn die Fehler, die Sie Ihrer ehemaligen Partei vorwerfen?
Die seit spätestens Mitte 2017 offensichtliche Fehlentwicklung der AfD vollzieht sich auf mehreren Ebenen: getrieben von den Höcke-nahen Verbänden vollzog sich die Abwendung von konservativ-liberaler Politik, die Partei vertritt nun Mindestlohn, Hartz-IV-Erhöhung und regional sogar das SPD-Modell der Einheitskrankenversicherung. Niemand ist mehr bereit, sich den Radikalen wirksam in den Weg zu stellen, man schweigt zu rhetorischen Grenzüberschreitungen und überbietet sich sogar gegenseitig in verbalen Provokationen. Schlussendlich geht es spätestens seit dem Rosenkrieg um eine Parteistiftung vorrangig um Posten- und Mandatsverteilung, aber schon lange nicht mehr um realistische Machtoptionen in zukünftigen Koalitionen. Damit verhindert die AfD, ähnlich wie die Linkspartei am anderen Ende des Spektrums, bürgerliche Mehrheiten, anstatt sie zu befördern. Viel an dieser Entwicklung hat mit Personen zu tun, die die Partei als Versorgungsapparat sehen, ob für Mandate oder mandatsnahe Mitarbeiter. Damit hat die AfD im Zeitraffer die Entwicklung vollzogen, für die sie alle anderen Parteien stets kritisierte. Nicht mehr der Bürger mit seinen Anliegen ist wichtig, sondern die nächste parteiinterne Wahl. Genau das machen wir im Bürgerforum Blaue Wende anders.
Was ist das denn für ein neuer Weg, den Ihr Bürgerforum da gehen will?
Wir wollen explizit Externe ohne Parteibuch, aber dafür mit Know-how in die Politik holen. Parteien verlieren nach einer gewissen Zeit immer den Wähler aus dem Blick und sind damit beschäftigt, die eigenen Postenanwärter zu befriedigen. Es ist gerade eben nicht das Parteiprogramm, das den Ausschlag für politische Entscheidungen gibt. Bundeskanzlerin Merkel ist dafür das beste Beispiel: Ihre Entscheidung, die Grenzen zu öffnen, ist an weiten Teilen der Partei vorbei getroffen worden, hierin begründet sich ja ein wesentlicher Anteil des Protestwähleranteils der AfD. Aber auch in der FDP bestimmt mehr oder weniger Christian Lindner, wohin die Reise geht. Das ist jetzt nichts Dramatisches, wenn die Leute wissen, dass sie einen Politiker mit seinem politischen Kompass und einem hoffentlich guten Team wählen. Es zeigt nur, dass die Abhängigkeit von Parteien dazu führt, dass Bürgerinteressen letztlich eine untergeordnete Rolle spielen. Dies schaffen wir jedoch dann, wenn möglichst viele Abgeordnete unabhängiger von Parteien werden, und genau das haben wir vor. Außerdem sind Volksabstimmungen zu wichtigen Themen ein probates Mittel, um Abgeordnete gut darüber nachdenken zu lassen, wie sie im Parlament abstimmen.
Aber genau das war doch auch der Ansatz der AfD, ich denke da nur an Bernd Lucke und Hans-Olaf Henkel, das erste Führungsduo der AfD. Lucke geht ja mehr oder weniger auf Ihr Konto, oder?
Das sehe ich naturgemäß etwas anders, denn Lucke und Henkel hatten die Notwendigkeit einer breiten Themenpalette leider nicht verstanden. Die Frage ist doch: Warum hat die AfD den politischen Ansatz von 2013 so schnell verloren? In der Partei gab es nach den Wahlerfolgen in den Ländern ab 2014 dank der Parteienfinanzierung plötzlich Geld zu verdienen, weitere Mandate und Referentenposten winkten. Diese Posten wollten aber die Parteimitglieder unter sich aufteilen. Sie waren nicht bereit, diese mit Externen zu teilen. In der sächsischen Landtagsfraktion haben wir fast nur Parteilose eingestellt, keine Gefolgsleute, aber man folgte unserem Beispiel in den anderen Landesverbänden kaum. Dies war das Ende unseres alternativen Ansatzes. Leider! Und darum trauen sich das weder die AfD noch die anderen Parteien.
Aber die CDU hat das doch im Wahlkampf 2005 mit Steuerrechts-Professor Paul Kirchhof getan, sie haben sich einen Externen ohne Parteibuch geholt…
…und sie haben ja auch erlebt, wie Kirchhof in diesem Wahlkampf völlig untergegangen ist, weil er aus der CDU letztlich sabotiert wurde. Das ist nicht überraschend, die damalige CDU-Chefin Merkel hat ja ihre Parteifreunde aus deren Sicht übergangen und externe über interne Kompetenz gestellt. Kirchhoff ist dann untergegangen und seine guten Ideen mit ihm. Das ist aber genau das Problem: Parteien sind Innovationsverhinderer. Wir brauchen aber so dringend fähige Köpfe und Problemlöser mit neuen Ideen in der Politik. Sie einzubinden, sie über das Bürgerforum Blaue Wende ohne die Notwendigkeit einer Parteimitgliedschaft kandidieren zu lassen, ist unser Ansatz.
Aber das heißt, Sie sprechen den Parteien generell ab, dass sie aufgrund von Klüngel und Seilschaften eine vernünftige Politik machen können. Wie wollen Sie das denn durchbrechen? Sie sind doch selbst eine Partei?
Das ist richtig, aber wir haben ein zweistufiges System entwickelt: Zum Bürgerforum Blaue Wende kann jeder kommen, mit oder ohne Parteibuch ist völlig irrelevant. In diesem Bürgerforum sammeln wir Ideen, diskutieren und formulieren schließlich daraus ein politisches Ziel. Das Bürgerforum Blaue Wende kann auch Kandidaten benennen, die allerdings von der Partei aufgestellt werden. Das Wahlgesetz schreibt dies leider so vor, viel besser wären später freie Bürgerlisten, ähnlich wie bei Kommunalwahlen. Auch die AfD wollte 2013 Bürgerlisten stärken, hat dies zugunsten der Partei jedoch sehr schnell vergessen. Daneben spielt die Blaue Partei eine untergeordnete Rolle.
Warum das denn?
Kurz erklärt: Parteien sammeln gerade in den ersten Jahren so viele Irre und Verrückte. Fragen Sie mal die anderen Parteien, zum Beispiel die CSU, warum sie keine bundesweite Ausdehnung wagt, obwohl sie sehr gute Chancen hätte. Deshalb ist das Bürgerforum auch als Firewall, als Schutzschild für die Partei, gedacht, damit die Partei nicht in kurzer Zeit von Postenjägern dominiert wird. Denn wenn eine Partei schnell wächst und Erfolg hat, bekommt sie Geld vom Staat, und dann stellt sich die Frage der Posten – und schon geht der Kreislauf wieder von vorne los.
Aber sind die Blauen denn überhaupt menschlich? Klar ist doch, wenn Geld kommt und Posten locken, dann wird darum gekämpft – da geht Ihr Konzept doch ein bisschen am Menschen vorbei?
Ja, unbedingt, denn wir wissen, dass wir die Menschen nicht ändern können. Wenn Geld und Macht locken, geht es nur noch darum, sich irgendwie durchzusetzen, unabhängig von der tatsächlichen Qualifikation. Stattdessen arbeiten wir in einer Struktur, die sich nicht ohne weiteres verselbständigen kann, jedenfalls können wir diese negative Entwicklung stark verlangsamen. Im Gegensatz zu anderen Parteien kommunizieren wir das Partei-Dilemma offen und ehrlich, das unterscheidet uns. Nicht die Fähigsten regieren unser Land, sondern die Parteikader mit dem besten Sitzfleisch.
Wobei die Idee mit den parteilosen Kandidaten nicht so ungewöhnlich ist: Auf kommunaler Ebene gibt es ja viele parteilose Bürgermeister. Viele davon sind allerdings auch ehrenamtliche Posten.
Genau, die Kommunen zeigen, wie es geht! Nicht umsonst wählen Bürger kommunal gern Parteilose ins Amt. Und sie wählen auch gern Bürgerinitiativen oder Vereine, weil es eben keine Parteien sind. Da sind es eben dann die Bürger, die ihren parteilosen Bürgermeister wieder aufstellen müssen, bei uns ist es das Bürgerforum.
Wo stehen Sie denn eigentlich politisch? Bürgerforum klingt nach rundem Tisch und DDR-Wende vor fast 30 Jahren. Bürgerdemokratie ist ein Schlachtruf aus der Bundesrepublik der 70er. Damals eher von den Linksliberalen…
Ich hätte mich früher selber nie als Konservative bezeichnet, sondern eher als Liberale, aber beide politischen Lager eint weit mehr, als sie trennt. Zwar stehen die Konservativen für einen starken Staat, und die Liberalen wollen so wenig Staat wie möglich, aber beide Lager haben begriffen: Ein Staat funktioniert tatsächlich nur, wenn Regeln und Grenzen eingehalten werden. Ähnliches gilt für vom Staat möglichst unabhängige Familien oder die Frage nach einem starken Mittelstand ohne staatliche Dauersubventionen. Die Blaue Partei sieht sich als Bindeglied zwischen den beiden Lagern.
Schmerzt es Sie oder ärgern Sie sich, dass Sie nun mit Ihren Ideen, die ja schon bei der Parteigründung der AfD vor fünf Jahren gegenwärtig waren, wieder von vorne anfangen müssen?
Natürlich schmerzt es zu sehen, welch große Chance die AfD vertan hat. Wäre es mir – wie vielen Ex-Kollegen – primär um eine längerfristige Versorgung gegangen, wäre ich in der AfD geblieben. Doch mir geht es heute wie 2013 um die praktische Änderung von Politik. Die Chance darauf, mit der Blauen Partei eine bürgerliche Wende zu schaffen, ist den Aufwand wert.
Wie sind Sie denn damals persönlich damit klargekommen, plötzlich nicht mehr im Rampenlicht zu stehen und politisch gescheitert zu sein? Haben Sie mehr Sport gemacht oder wie haben Sie sich abgelenkt?
Wenn ich in unserem Garten Unkraut jäte oder Bäume schneide, tun wir das gemeinsam mit den Kindern. Wenn wir Stockbrot am Lagerfeuer machen, fühle ich mich pudelwohl, damit hätte ich monatelang genug zu tun und würde wenig anderes vermissen. Öffentlichkeit ist für mich politisches Mittel zum Zweck, und ich bin sie von klein auf gewöhnt. Ich stand das erste Mal mit fünf Jahren bei einem Klavierauftritt auf der Bühne, kenne also Bühnen und inzwischen Kameras. Den typischen Adrenalinschub hatte ich auf der Bühne kaum, das Rampenlicht empfinde ich nicht als beglückend. Wenn ich jedoch nach einem Abend guter Dialoge und Diskussionen den Eindruck habe, dass ich überzeugen und vielleicht neue Unterstützer gewinnen konnte, dann gibt mir das Kraft.