Die Wahl von Emmanuel Macron hat frischen Wind ins deutsch-französische Verhältnis gebracht. Bei Verhandlungen für einen neuen „Élysée-Vertrag" fordern die Regionen mehr Rechte. Der Europabeauftragte Roland Theis sieht Chancen, für Grenzregionen mehr Kompetenzen durchzusetzen.
Herr Theis, der französische Staatspräsident hat konkrete Vorschläge für politische Reformen in der EU gemacht. Eine eindeutige deutsche Antwort steht derzeit noch aus. Wie ist Ihre Einschätzung zur politischen Lage im Verhältnis zu Frankreich und in Fragen der europäischen Integration?
In den deutsch-französischen Beziehungen gibt es in der Tat einen neuen Elan. Das ist aber auch dringend notwendig. Das europäische Projekt braucht einen starken deutsch-französischen Motor. Macrons Drängen auf grundlegende Reformen in zentralen Politikbereichen ist daher richtig. Denn das Zeitfenster, in dem solche Reformen möglich sind, wird sich spätestens zur Europawahl schließen. Ich teile daher die Ungeduld darüber, dass sich Deutschland nicht schnell genug bewegt. Das Ziel muss sein, dass Europa in den großen Fragen unserer Zeit handlungsfähig wird und seine Interessen gemeinsam in die Hände nimmt. Das gilt für den effektiven Schutz unserer Außengrenzen genauso wie für die Verteidigung unserer gemeinsamen wirtschaftlichen und politischen Interessen in der Welt. Wenn wir Vertrauen für das europäische Projekt zurückgewinnen wollen, müssen wir jetzt entschlossen handeln. Die Chance, dass es sowohl in Deutschland als auch in Frankreich starke proeuropäische Mehrheiten in den nationalen Parlamenten und einen grundlegenden Konsens zwischen den beiden Regierungen gibt, kommt vielleicht so schnell nicht wieder. Wenn wir diese Chance verstolpern, werden wir als dümmste Politiker-Generation der Nachkriegsgeschichte in die Geschichte eingehen.
Frankreich hat weitreichende innenpolitische Reformen angestoßen. Was heißt das für das Saarland?
Eines ist sicher: Frankreich hat jetzt schon eines zurückgewonnen – die Glaubwürdigkeit ihrer Regierung, neue Reformen entschlossen anzugehen. Die EU-Kommission rechnet damit, dass die französische Wirtschaft dieses Jahr um etwa zwei Prozent wachsen wird. Der Chef-Volkswirt der Beerenberg Bank, Holger Schmieding, geht mit seiner Prognose weiter: Wenn Frankreich grundlegende Reformen von Arbeitsmarkt, Budget und Steuern umsetzt, werden wir die 2020er Jahre als das Jahrzehnt Frankreichs erleben! Unser Ziel muss es sein, dass daraus ein deutsch-französisches und damit ein europäisches Jahrzehnt wird. Das Saarland hat alle Voraussetzungen, damit wir davon am stärksten profitieren können. Unser Nachbar Frankreich hat schon 2017 – auch als Folge der Brexit-Entscheidung ‒ Großbritannien als wichtigstes Exportland der saarländischen Wirtschaft abgelöst. Bei den Ausfuhren ins Nachbarland boomte es mit einem Plus von 14 Prozent auf 2,3 Milliarden Euro. Mit der Frankreichstrategie sind wir auf dem richtigen Weg, unsere Potenziale zu nutzen. Das Saarland soll für französische Unternehmen zum Tor nach Deutschland und für deutsche Unternehme zur Brücke nach Frankreich werden. Wer seine Waren und Dienstleistungen in das jeweils andere Land an den Kunden bringen möchte, muss hier auf beste Voraussetzungen stoßen – dafür sind allgemeine Standortfaktoren wie die Infrastruktur wichtig – aber eben auch die hohe Frankreich-Kompetenz in Wissenschaft, Sprache und Kultur, die im Saarland vorhanden ist und die wir weiter ausbauen wollen.
Ein neuer Elysée-Vertrag nimmt nach 55 Jahren derzeit Gestalt an. Wo sehen Sie aus saarländischer Perspektive die Prioritäten?
Der Élysée-Vertrag von 1963 war ein bahnbrechender Meilenstein in den deutsch-französischen Beziehungen und hat das Zusammenleben und Europa nachhaltig positiv beeinflusst. Das muss die Messlatte für einen neuen Elysée-Vertrag sein! Wir müssen daher darauf drängen, dass unsere zentralen Interessen in den Vertrag gelangen. Das ist zum einen die Verbesserung der Infrastrukturen entlang der Grenze. Gemeinsam mit unseren Freunden aus Grand Est werbe ich für eine deutsch-französische Investitionsoffensive mit dem Ziel, den geografischen „Makel" einer Grenzregion ein für alle Mal zu beseitigen. Darüber hinaus fordern wir ein eigenes Kapitel zur grenzüberschreitenden Zusammenarbeit im neuen Elysée-Vertrag. Die deutsch-französische Partnerschaft ist nicht eindimensional zwischen Paris und Berlin zu denken. Sie nimmt dort konkrete Form und Realität an, wo die Menschen als Nachbarn in den Grenzregionen zusammenleben. Eine stärkere Rolle der Regionen und Bundesländer ist daher zwingend notwendig, damit der deutsch-französische Motor alle PS auf die Straße bekommt. Eine weitere Priorität für uns muss die Mehrsprachigkeit sein. Dabei wünsche ich mir ein klares Bekenntnis und ehrgeizige Ziele auch auf nationaler Ebene zum Erwerb der jeweiligen Nachbarsprache. Das Saarland steht als Modellregion und Vorbild bereit!
Die Rolle der Grenzregionen werden in der gemeinsamen Resolution von Assemblée Nationale und Bundestag besonders hervorgehoben. Welche Möglichkeiten könnte denn der neue Élysée-Vertrag konkret für diese schaffen?
Ich will dabei insbesondere dafür kämpfen, dass wir mehr Eigenverantwortung und Flexibilität für die konkrete Zusammenarbeit in den Grenzregionen erhalten. Daher wollen wir eigenständige Kompetenzen für grenzüberschreitende Kooperationsräume wie etwa den Eurodistrict Saar-Moselle, im Rahmen dessen bislang bestehende Hürden der Zusammenarbeit aufgelöst werden können. Immer noch stoßen deutsch-französische Projekte in der Zusammenarbeit der beiden Verwaltungen häufig an rechtliche Hürden, die in der Inkompatibilität der beiden Rechtsordnungen ihren Ursprung haben. Unsere Idee ist daher, die bisherige Zusammenarbeit der deutschen mit der französischen Verwaltung durch eine echte deutsch-französische Co-Administration zu ersetzen. Solche Modelle können entlang der deutsch-französischen Grenze überall entstehen.
Für das Saarland und Moselle eröffnet das aufgrund unserer bereits heute guten Verbindung die Chance, die deutsch-französische Modell-Region schlechthin werden zu können. Ziel muss es sein, die Euro-Districte mit eigenen Kompetenzen, einem gemeinsamen Rechtsrahmen und gemeinsamen Budgets auszustatten. Nur so werden wir der Lebenswirklichkeit der Menschen, deren Alltag schon lange keine Grenzen mehr kennt, tatsächlich gerecht.
Wofür könnte dann der Eurodistrict zukünftig zuständig sein?
Der Eurodistrict Saar-Moselle könnte künftig etwa Träger von Kindertageseinrichtungen oder von ÖPNV-Angeboten werden, und – das wäre einzigartig und neu ‒ in einem dann vereinbarten deutsch-französischen Rechtsrahmen diese Aufgaben gemeinsam wahrnehmen. Dies wäre ein echter Paradigmenwechsel in der deutsch-französischen Zusammenarbeit. Weg von der mühsamen Zusammenarbeit zweier Verwaltungen hin zu einer echten Co-Administration entlang der Grenze in den Fragen, in denen es wirklich Sinn macht. Damit könnten wir auf einen Schlag eine ganze Menge an rechtlichen Hürden erledigen!
Und was hat das Saarland von Elysée 2.0?
Überall dort, wo Deutschland und Frankreich sich gemeinsam großen Zukunftsfragen widmen, müssen wir als Standort die Hand heben und für uns werben. Das gilt – wie bereits geschehen – für das Deutsch-Französische Zentrum für Künstliche Intelligenz. Wir bemühen uns aber auch darum, Standort für ein deutsch-französisches Fortbildungszentrum für polizeiliche Führungskräfte in Fragen der Cyber-Kriminalität zu werden. Das könnte der Nukleus einer europäischen Polizei-Akademie sein, deren Ansiedlung hier in der Nähe des gemeinsamen Zentrums für Polizei- und Zollzusammenarbeit in Luxemburg absolut Sinn machen kann.
Große Chancen für uns gibt es auch in anderen Politikbereichen. Die Forderung Macrons nach Europa-Universitäten beispielsweise können wir mit dem weiteren Ausbau der Universität der Großregion bei uns eins zu eins umsetzen. Das schafft Studienchancen für junge Saarländer und gibt dem Hochschulstandort Großregion eine Strahlkraft und Attraktivität weit über die nationalen Grenzen hinaus!