Das Hickhack bei der Regierungsbildung beschert der EU einen neuen Härtetest
Der Glanz von Frankreichs Präsident Emmanuel Macron strahlt mittlerweile nicht mehr ganz so hell wie nach seinem triumphalen Wahlsieg vor gut einem Jahr. In der Innenpolitik ebbt die Kritik an Reformen wie der Lockerung des Kündigungsschutzes nicht ab. In der Außenpolitik stoßen seine Ideen zu einer tieferen Integration der Eurozone auf Widerstand. Doch ein Verdienst bleibt: Macron hat der ausgelaugten EU frischen Wind verpasst. In einer Zeit der neuen Weltunordnung, die durch die Eruptionen des amerikanischen Chaos-Präsidenten Donald Trump fast täglich neu befeuert wird, hat der Franzose einen wichtigen Impuls gesetzt: Europa muss mehr Stärke entwickeln und zu einer eigenständigen Kraft heranwachsen.
Dieser Vorstoß wird durch die neuesten Entwicklungen in Italien konterkariert. Zwar wird es zunächst nicht zu einer Wünsch-dir-was-Koalition aus der Anti-Establishment-Bewegung Fünf Sterne und der rechtsaußen angesiedelten Lega kommen. Am späten Sonntagabend warf der designierte Ministerpräsident Giuseppe Conte das Handtuch. Damit dürfte es Neuwahlen im Herbst geben, um die 67. Regierung in rund 70 Jahren zu bilden. Doch die Wahrscheinlichkeit, dass die beiden europaskeptischen Parteien eine vielleicht noch größere Mehrheit erhalten, ist hoch.
Das Gespenst der überbordenden Verschuldung, das die Nerven der EU in der Griechenlandkrise über Gebühr strapaziert hatte, ist jedenfalls zurück. Italien steht bereits heute mit 2,3 Billionen Euro in der Kreide. Das entspricht 132 Prozent seiner Wirtschaftsleistung – nach dem Maastricht-Vertrag sind gerade einmal 60 Prozent erlaubt. Mit der Spendierhosen-Politik von Fünf Sterne und Lega würden die Außenstände weiter anstiegen: Das versprochene Grundeinkommen in Höhe von 780 Euro sowie die Wiedereinführung von Frühverrentungen würden die staatlichen Ausgaben in die Höhe treiben. Spitzensteuersätze von 15 beziehungsweise 20 Prozent („Flat Tax") ließen die öffentlichen Einnahmen schrumpfen.
Der italienische Wirtschaftswissenschaftler Carlo Cottarelli bezifferte die Mehrkosten hierfür auf einen Betrag von bis zu 126 Milliarden Euro pro Jahr. Jörg Krämer, Chefvolkswirt der Commerzbank, warnte: Sollte ein derartiges Programm durchgedrückt werden, stiege das Haushaltsdefizit auf sieben Prozent der Wirtschaftsleistung. Der Maastricht-Vertrag sieht eine Obergrenze von drei Prozent vor. Die neuen starken Männer in Rom scherte dies wenig. Lega-Chef Matteo Salvini polterte: „Wir sind nicht die Sklaven der Deutschen und Franzosen." Und der Fünf-Sterne-Vorsitzende Luigi di Maio sekundierte: „Ab jetzt kommen zuerst die Italiener und dann erst Verhandlungen übers Defizit und EU-Richtlinien."
Dahinter steckt eine fatale Mischung aus Freibier-Mentalität und populistischen Sündenbock-Reflexen. Schuld an der italienischen Misere hat demnach die Brüsseler Sparpolitik – und hier vor allem die Pfennigfuchser aus Berlin. Mit dieser verantwortungslosen Politik vergraulten Lega und Fünf Sterne die Märkte. Die Zinsen für italienische Staatsanleihen stiegen bereits seit Wochen. Investoren sind nur dann bereit, neues Geld zu leihen, wenn ihnen höhere Sätze garantiert werden.
Eine gefährliche Entwicklung, denn Italien ist die drittgrößte Volkswirtschaft in der EU. Sollte eine neue Populisten-Regierung ihren Kurs durchpeitschen, würde sie einen Schulden-Kollaps riskieren. Hinzu kommt, dass die Banken des Landes noch viele Milliarden Euro an faulen Krediten in ihren Büchern haben; bisher sprang ihnen der Staat im Notfall bei.
Doch wenn die öffentliche Hand nicht mehr liquide ist, richten sich die Blicke automatisch nach Brüssel. Die EU-Mittel würden indessen nicht reichen. Schon heute benötigt Italien jedes Jahr rund 200 Milliarden Euro an frischen Darlehen. Der europäische Rettungsschirm ESM hat aber nur 400 Milliarden Euro frei verfügbar. Zu wenig, um das Land langfristig zu stabilisieren.
Die Dauerkrise in Rom belastet die Gemeinschaft – es ist eine neue Lunte für die ohnehin zerbrechliche Finanz-Stabilität. Mitten im Endspurt der Brexit-Verhandlungen wird die EU zurückgeworfen in einen lähmenden Grundsatzstreit: Wie viele Schulden sollten erlaubt werden? Macrons Weckruf, der den müden Brüsseler Club reanimieren sollte, droht zu verhallen.