Falk Stirkat ist Notarzt. Über seine Erfahrungen hat er bereits mehrere Bücher geschrieben. Sein aktuelles Buch „Was uns umbringt" beschreibt 25 Notfälle und wie man damit umgehen soll. Im Interview erklärt er unter anderem, worauf es im Ernstfall ankommt.
Herr Stirkat, Sie waren anfangs in einer großen chirurgischen Klinik tätig. Warum sind Sie dann Vollzeitnotarzt geworden?
Ich wollte primär ein paar Jahre frei sein, tun, was mir Spaß macht, und nicht in die rigiden Strukturen einer Universitätsklinik eingebunden sein. Der Beruf des Notarztes schien mir hier genau die richtige Wahl zu sein. Ich konnte meine Dienste selbstständig planen, war in meinen Entscheidungen unabhängig und konnte zahlreiche Erfahrungen sammeln. Außerdem ist die Arbeit als Arzt vor Ort, also im Grunde dort, wo der Notfall passiert und Menschen in direkter Gefahr schweben, denen man dann helfen kann, eine sehr erfüllende.
Wie sieht ein üblicher Tag in Ihrem Leben als Notarzt aus?
Mittlerweile bin ich nicht mehr hauptberuflich als Notarzt tätig, sondern arbeite als Arzt im Medic Center in Nürnberg, einem großen Medizischen Versorgungszentrum (MVZ), wo ich meine Kenntnisse in der Notfall- aber auch in der diagnostischen Medizin täglich einbringen kann. Als ich noch hauptberuflich Notarzt war, habe ich versucht, den langen Tagen auf der Wache eine grundlegende Struktur zu geben. Da Sie ja nie wissen, wann der Melder einen Notfall vermeldet, was zehnmal täglich, aber auch gar nicht sein kann, müssen Sie irgendwie mit der Unsicherheit zurechtkommen. Dabei haben mir das Schreiben und der Entwurf anderer Meditainment-Ideen, wie beispielsweise der eines medizinischen Youtube-Channels, sehr geholfen.
Was sind die besonderen Herausforderungen bei der Tätigkeit als Notarzt?
Die schnelle, korrekte Beurteilung einer medizinischen Situation und das konsequente Handeln sehe ich als größte Herausforderung. Obwohl man sich, bedingt durch relativ wenige diagnostische Möglichkeiten, nie ganz sicher sein kann, gilt es zu handeln und die getroffenen Entscheidungen dann auch klar und deutlich durchzuziehen. Die Arbeit als Notarzt ist jeden Tag wieder eine enorme Herausforderung und verlangt von mir eine andauernde Fortbildung und Beschäftigung mit dem Thema.
In Ihrem neuen Buch „Was uns umbringt" schildern Sie 25 Notfälle und erläutern, wie Angehörige darauf reagieren sollten. Wegen welchen Symptomen und Krankheiten wird denn am häufigsten der Notdienst gerufen?
Die klassischen Beschwerden, die zu einer Alarmierung des Rettungsdienstes führen sind Brustschmerzen, Atemnot, Herz-Kreislauf-Stillstände und Krampfanfälle, um nur einige zu nennen. Aber selbstverständlich rücken wir auch bei Verkehrsunfällen und anderen mechanischen Schadenslagen aus.
Wie sollten sich der Patient und seine Angehörigen in diesen Fällen verhalten?
Ruhe bewahren ist das Wichtigste. Außerdem ist eine der wichtigsten Aufgaben des Ersthelfers die Verständigung des Rettungsdienstes und damit die Aktivierung der Rettungskette. Je nachdem welche Situation der Ersthelfer dann vorfindet, gilt es, verschiedene Dinge zu tun, die von der einfachen Beruhigung bis hin zur Herz-Lungen-Wiederbelebung reichen können.
Wie werden diese vom Arzt behandelt?
Auch die Maßnahmen des Notarztes richten sich natürlich nach dem vorliegenden Beschwerdebild. Dabei versuchen Notfallmediziner bewusst auf konkrete Diagnosen zu verzichten und orientieren sich an den sogenannten Leitsymptomen. Denn es ist, bis auf wenige Ausnahmen, natürlich sehr schwierig mit den wenigen diagnostischen Möglichkeiten, die uns nun einmal zur Verfügung stehen eine sichere Diagnose zu stellen. Deshalb geht es im Grunde genommen um die Behandlung von lebensgefährlichen Zuständen und die darauffolgende Weichenstellung zur weiteren diagnostischen Aufarbeitung im Krankenhaus.
Welche waren Ihr schlimmsten Notfällen?
Meine aufregendsten Fälle habe ich in meinen Büchern „Ich kam, sah und intubierte" und „Ich kam, sah und reanimierte" zusammengefasst. Es sind über die Jahre sehr viele geworden, über die es sich lohnen würde, zu berichten. Schlimm sind sicher immer Kindernotfälle, insbesondere wenn es zum Tod eines Kindes kommt. Außerdem dramatisch war ein Unfall, bei dem ich keine andere Wahl hatte, als den Betroffenen mitten in der Notaufnahme zu operieren, weil, bedingt durch starken Nebel, nur eine junge Assistenzärztin im Hause war und der Oberarzt lange brauchte um reinzukommen. Solche Dinge gehen einem dann schon nahe, weil man sich hier in Bereichen bewegt, auf die man nicht vorbereitet wird.
Gab es auch schon ungeklärte Notfälle?
Es gibt immer wieder ungeklärte Notfälle. Plötzliche Luftnot, bei der man sich sicher ist, dass sie von einer Lungenembolie verursacht wurde, die dann nie gefunden wird, oder ein Lkw-Fahrer mit plötzlichem Herztod, für den man den Grund nicht findet. Die heutige Diagnostik ist sehr gut, aber es gibt immer wieder Patienten, an denen wir uns die Zähne ausbeißen und deren Beschwerden uns ein Rätsel sind.
Wie geht man bei psychischen Notfällen vor?
Auch bei solchen Notfällen gilt: Ruhe bewahren, Eigenschutz geht vor und die 112 verständigen. Sollte die Möglichkeit bestehen den Betroffenen zu beruhigen, dann sollte man das auf jeden Fall tun. Ganz wichtig ist aber, sich nicht selbst in Gefahr zu bringen.
Wie kann man bei einem Einsatz ein Koma von einem psychogenen Koma unterscheiden?
Das wusste ich auch lange nicht. Ein psychogenes Koma ist sehr schwer von einem „richtigen" zu unterscheiden. Die Betroffenen wirken oft tief bewusstlos und reagieren weder auf Schmerz noch auf andere Reize. Interessanterweise kann man aber relativ gut feststellen, ob ein psychogenes Koma vorliegt, indem man den Arm des Patienten nimmt und ihn direkt über seinem Gesicht fallen lässt. Im Falle eines psychogenen Komas wird die Hand nie auf das Gesicht fallen, sondern immer irgendwie daran vorbei. Wichtig ist natürlich, dass das Gesicht dabei geschützt wird. Liegt nämlich ein richtiges Koma vor, dann kann dieser Test zu schweren Verletzungen führen. Von selbst versteht sich natürlich auch, dass die letztendliche Diagnose dem Arzt und niemandem sonst vorbehalten ist.
Wie oft werden Sie von Leuten gerufen, die eigentlich gar kein Notfall sind? Welche Symptome haben diese?
Oft. In letzter Zeit wird das Problem der unnützen Alarmierung des Rettungsdienstes immer eminenter. Gerade Menschen in abgelegenen Regionen, in denen es kaum mehr Haus- oder Fachärzte gibt, haben nur noch den Rettungsdienst. Zugang zum medizinischen System erhalten sie ausschließlich im Krankenhaus. Die Verschiebung der eigentlich ambulanten Versorgung in die Hospitäler sehe ich als eine der größten Herausforderungen des Gesundheitswesens in den nächsten Jahren.
Sie sprechen in Ihrem Buch mehrfach die mangelnden Kenntnisse von Ersthelfern an. Bei vielen von uns liegt der Erste-Hilfe-Kurs lange Zeit zurück. Wie frischt man seine Kenntnisse am besten auf?
Besuchen Sie einen Erste-Hilfe-Kurs. Diese werden von den Ortsverbänden der Rettungsorganisationen flächendeckend angeboten. Ich persönlich plädiere für die Einführung eines Schulfaches Erste Hilfe. Wir bringen unseren Kindern in der Schule so viel – entschuldigen Sie die Wortwahl – Schwachsinn bei. Da sollten zwei Stunden Erste Hilfe im Jahr doch drin sein, oder?
Wie können ungelernte Ersthelfer im Notfall helfen?
Das Schlimmste ist, nichts zu tun. Ansonsten darf man auf keinen Fall vergessen, die 112 zu wählen und so den Rettungsdienst zu verständigen. Auch eine Herz-Lungen-Wiederbelebung sollte jeder beherrschen.
Können Ersthelfer juristisch gesehen etwas falsch machen?
Nun bin ich natürlich kein Anwalt. Prinzipiell ist es aber strafbar, nichts zu tun und einfach keine Hilfe zu leisten. Jeder muss das tun, was in seiner Macht steht. Das bedeutet, natürlich, dass ein Arzt viel professioneller helfen muss als ein Laie. Aber auch der darf nicht einfach die Hände in den Schoß legen und gar nichts machen. Wir beanspruchen ja auch für uns selbst, dass im Notfall geholfen wird.
Aktuell liest man häufig in der Presse, dass Rettungssanitäter und Notärzte bepöbelt oder gar körperlich angegriffen werden. Und dass es Probleme mit Gaffern am Unfallort gibt.
Haben Sie solche Situationen schon selbst erlebt?
Ja, leider. Auch ich muss beobachten, dass der Respekt uns gegenüber sinkt. Das ist sehr schade, denn die, die laut pöbeln und uns behindern, sind oft die, die am lautesten schreien, wenn sie selbst zum Opfer werden.