Vor 400 Jahren begann mit dem Dreißigjährigen Krieg die längste kriegerische Auseinandersetzung auf deutschem Boden. Ein Museum im Nordwesten Brandenburgs thematisiert nicht nur die Ereignisse auf dem Schlachtfeld, sondern vor allem das Leid der Bevölkerung in den Kriegsjahrzehnten.
Natürlich zeigt das Museum auch Waffen. Säbel, Piken und Hellebarden sind im Museum des Dreißigjährigen Krieges in Wittstock/Dosse ebenso ausgestellt wie Musketen und Kanonenkugeln, von denen die schwersten bis zu 70 Pfund auf die Waage bringen. „Das geht ja auch gar nicht anders, wenn man sich mit dem Thema Krieg auseinandersetzen will", sagt Museumsleiterin Antje Zeiger. In der Alten Bischofsburg geht es allerdings nicht nur um die Militärgeschichte, sondern vor allem um die Lebensbedingungen der Bevölkerung im 17. Jahrhundert und wie sie sich durch die Kriegswirren veränderten. Im Mittelpunkt steht immer der Mensch. Das Museum im Brandenburger Kreis Ostprignitz-Ruppin ist das einzige hierzulande, das sich in dieser Form mit dem Dreißigjährigen Krieg auseinandersetzt. Kein Wunder also, dass es in diesem Jahr – in der sich der Kriegsbeginn zum 400. Mal jährt – überregionale Aufmerksamkeit genießt.
Bereits vor einigen Jahren wurde die gesamte Ausstellung in Vorbereitung des Jubiläumsjahrs neu konzipiert. Filme und Karten, auf denen der Kriegsverlauf interaktiv nachvollziehbar wird, gehören dazu und machen die Epoche noch besser begreifbar.
Das Museum ist im Torturm der Alten Bischofsburg untergebracht, die im 13. Jahrhundert als Stützpunkt der Bischöfe von Havelberg gebaut wurde. Bis zum Ende des Dreißigjährigen Krieges war sie uneinnehmbar, verfiel aber später. Dank eines europäischen Förderprojekts konnte die Burganlage Ende der 90er-Jahre aufwendig restauriert werden und ist heute Sitz zweier Museen – neben dem des Dreißigjährigen Krieges auch des Ostprignitz-Museums, in dem es um die Geschichte der Region geht. In dem Fachwerkhaus gleich nebenan sind Sonderausstellungen untergebracht. Museumsleiterin Zeiger erzählt, dass die meisten über den längsten Krieg auf deutschem Boden gar nicht viel wüssten. „Es ist aber auch nicht ganz einfach zu verstehen", räumt sie ein. „Zum Teil wird es sehr unübersichtlich, weil es so viele Kriegsparteien gibt und dann auch noch in ständig wechselnden Bündnissen."
70 Pfund schwere Kanonenkugeln
Als Auslöser des Krieges gilt der Prager Fenstersturz am 23. Mai 1618. „Es begann als Aufstand böhmischer Stände gegen die Krone", erklärt Zeiger. Schon 1620 hätte der Krieg wieder vorbei sein können. Doch dann schalteten sich auch die anderen europäischen Mächte ein: Es ging um die Vorherrschaft. Die Religion spielte zwar ebenfalls eine Rolle, doch der Konflikt zwischen Katholiken und Protestanten war nicht primär. Mehrfach bot sich in den folgenden 30 Jahren die Gelegenheit zum Frieden, doch immer wieder flammten Kämpfe auf. „Das Interesse der einzelnen Parteien war auf Krieg ausgerichtet", sagt Zeiger.
Was es für die Menschen bedeutete, dass drei Jahrzehnte lang immer wieder marodierende Horden durch das Land zogen, schildert ein Eintrag aus einem Kirchenbuch der Region. Dort heißt es: „Man hat kein Dorf nennen können, da es nicht gebrannt, wo nicht ganz, doch fast halb, und was noch nicht abgebrannt, das ist niedergerissen und doch verbrannt worden. Der Vorrat an Gerste ist alles vom Felde von den Soldaten weggerafft und ausgedreschet worden, so dass der Landmann nichts davon gekriegt. Die Obstbäume sind ganz abgehauen worden, welches die armen Leute sehr beklaget haben, sowohl auch die Weiden. Die Kirche ist auch verwüstet worden, da hat man 5 oder 6 Feuerstellen innen gehabt, ist kein Stuhl fest dringeblieben, kein Fenster."
Die Region, durch die die Truppen zogen, war immer für deren Versorgung verantwortlich, so erklärt es Zeiger. „Und wenn der bereits ausgeblutete Landstrich dazu nicht mehr in der Lage war, dann entlud sich die Wut der Soldaten. Hunger macht böse." Besonders dramatisch war die Lage in den 1620er- und 1630er-Jahren, als wegen einer kleinen Eiszeit viele Ernten ausfielen und die Preise für Lebensmittel in die Höhe schossen. Hinzu kamen katastrophale hygienische Bedingungen, welche die Ausbreitung von Krankheiten und Seuchen begünstigten, speziell der Pest. „Insgesamt ist während des Dreißigjährigen Krieges ein Drittel der Bevölkerung des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation ums Leben gekommen. Prozentual war das mehr als bei allen anderen Kriegen, inklusive der beiden Weltkriege", sagt Zeiger. Ganze Familien seien damals ausgestorben.
Die Vorherrschaft in Europa war das Ziel
Vom Grauen des Krieges berichtet auch der Roman „Der Abentheuerliche Simplicissimus Teutsch" von Hans Jakob Christoffel von Grimmelshausen, der 1668 erschien. Im Museum gibt es eines von weltweit nur noch 13 Exemplaren der Erstauflage – es ist eines der Schmuckstücke der Sammlung. Dass sich diese ausgerechnet in Wittstock befindet, ist kein Zufall: Dort fand 1636 eine der größten Schlachten des Dreißigjährigen Krieges zwischen den Schweden und der kaiserlich-sächsischen Armee statt. Ein beeindruckendes Diorama lässt die Geschehnisse jenes Tages nachvollziehen. „Die Schlacht war damals ein echtes Medienereignis", berichtet Zeiger, selbst in Großbritannien berichteten Zeitungen darüber. Vom Turm des Museums aus kann man das Schlachtfeld noch heute erkennen und auch besichtigen.
5.000 Mann fanden auf dem Schlachtfeld den Tod, weitere 2.000 kamen ums Leben, als die schwedischen Soldaten den flüchtenden Kaiserlichen nachsetzten. Und auch wer überlebte, trug oft schwerste Verletzungen davon. Davon zeugt die Zeichnung eines kaiserlichen Soldaten namens Daniel Hubatka, der sich nach der Schlacht bei Wittstock mit all seinen Blessuren zeichnete – Horror aufs Eindrucksvollste dokumentiert.
Die Truppen rekrutierten sich aus der einfachen Bevölkerung. Viele wurden wegen der Aussicht auf regelmäßige Vergütung und Verpflegung Soldat, andere lockte das Abenteuer. 2007 wurde in Wittstock ein Massengrab mit den Überresten von etwa 125 Kämpfern entdeckt – die Analyse der Knochen lieferte wichtige Erkenntnisse über die früheren Heere. So stellte man fest, dass auf schwedischer Seite fast keine Schweden kämpften, stattdessen Deutsche, Finnen, Schotten und Balten. Auf kaiserlicher Seite waren es neben deutschen Soldaten Böhmen, Italiener und Spanier. „Der Dreißigjährige Krieg war der erste europäische Krieg", sagt Zeiger.
30 Jahre Krieg – und kein klarer Sieger
Vor der Schlacht bei Wittstock hatte es so ausgesehen, als wäre der Krieg bald zu Ende. Doch der Sieg gab den Schweden neuen Mut und begrub alle Hoffnungen auf Frieden. Weitere zwölf Jahre sollte das Morden noch dauern. Erst der Westfälische Frieden beendete 1648 diesen Krieg, der bis heute in Erinnerung geblieben ist. Die Friedensverträge sorgten für eine europäische Neuordnung.
Und man könne von der Geburtsstunde der europäischen Diplomatie sprechen, erklärt Museumsleiterin Zeiger: Denn da es im Feld keinen klaren Sieger gab, setzten sich alle Parteien an einen Tisch, um zu verhandeln. Für Deutschland begründeten die Verträge die föderalistischen und rechtsstaatlichen Traditionen der deutschen Geschichte. Sie legten die Machtbalance zwischen Kaiser und Reichsständen neu fest und schufen eine erste deutsche Verfassung, die 150 Jahre in Kraft blieb – länger als alle nachfolgenden.