Während die Rockwelt sehnsüchtig auf neue Songs von Guns N’Roses wartet, hat deren Keyboarder Dizzy Reed eine Soloplatte aufgenommen. „Rock ’N Roll Ain’t Easy" dürfte Fans von klassischem Rock befriedigen. Im Interview verrät der Pianist und Sänger, wie er es seit 28 Jahren an der Seite von Axl Rose aushält und was von der diesjährigen Guns N’Roses-Tour zu erwarten ist.
Dizzy Reed, die Musik auf Ihrem ersten Soloalbum klingt sehr nach Guns N’Roses. Ein Zufall?
Ich wollte eine Platte machen, die sich an der Musik orientiert, die mich schon immer beeinflusst hat und mit der ich aufgewachsen bin. Meine erste Band hatte ich mit zwölf. Ich war der Leadsänger, weil ich zufällig als einziger ein Mikrofon besaß. Diese Musik wird „Classic Rock" genannt. Das kann ich wahrscheinlich am besten.
Wie fühlt es sich an, für ein Album allein verantwortlich zu sein?
Es ist ein zweischneidiges Schwert: Man hat viele Freiheiten, aber auch viel Druck. Angefangen habe ich die Platte vor zehn Jahren. In der ganzen Zeit hatten Guns N’Roses Priorität. Wenn wir auf Tour waren, lag mein Soloprojekt brach.
Hat man als erfolgreicher Rockstar nicht alle Möglichkeiten der Welt?
(lacht) Wenn ich alle Möglichkeiten der Welt hätte, würden wir dieses Interview in einem Jumbojet machen. Das wäre cool! Ich habe etliche Plattenfirmen kontaktiert in der Hoffnung, einen Deal an Land zu ziehen. Aber so einfach ist es nicht mehr.
Die Platte heißt „Rock ’N Roll Ain’t Easy". Ist es heutzutage wirklich so schwer, Platten zu machen?
Im Titel steckt auf jeden Fall viel Wahrheit, aber er ist natürlich auch ironisch gemeint. Rock ’n’ Roll-Musiker ist kein leichter Job. Wenn du erst einmal erfolgreich bist, wirst du feststellen, dass alles nur noch schwerer wird. Denn du willst ja auf derselben Stufe bleiben oder noch besser werden. Was diesen Job wirklich ausmacht, kann man eigentlich gar nicht in einem einzigen Song ausdrücken.
Das Klischee lautet, dass Rockstars ein glamouröses Leben voller Sex und Drogen führen.
Einige tun es tatsächlich, glaube ich. Das Beste ist, sich selbst nicht so ernst zu nehmen. Es ist schließlich nur Rock ’n’ Roll.
Auf Ihrer Platte sind Musiker von Bands wie Queens Of The Stone Age, Thin Lizzy und No Doubt zu hören. Haben Sie auch Ihre Bandkollegen von Guns N’Roses gefragt?
Alle, die in den letzten zehn Jahren bei Guns N’Roses gespielt haben, sind auf der Platte zu hören. Sie waren so nett, vorbeizuschauen und mich bei meinem Vorhaben zu unterstützen. Axl Rose ist nicht dabei.
Hatten Sie einige der Songs ursprünglich für Guns N’Roses geschrieben?
Nein, ich bin eigentlich ganz planlos vorgegangen. Ein komplettes Album war nie mein Ziel. Meine Musik erklingt im Sound von Guns N’Roses, weil ich diese Band einfach so liebe. „Appetite For Destruction" ist für mich nach wie vor ein großartiges Album. Die vielen Jahre mit Guns N’Roses haben bei mir Spuren hinterlassen. Der größte Unterschied zu meiner Stammband ist, dass ich bei dieser Platte die künstlerische Kontrolle hatte. Deswegen sind darauf auch so viele Keyboardklänge und Hintergrundgesänge zu hören. Die würde es in dieser Form auf einer Guns N’Roses-Platte nämlich nicht geben. Die meisten Stücke habe ich auf der Gitarre geschrieben, weil ich immer in Gitarrenbands gespielt habe. Den Ton gesetzt hat aber Richard Fortus, der auch bei Guns N’Roses mitwirkt.
Durch die ständigen Besetzungswechsel spielten bis heute 22 Musiker bei Guns N’Roses. Sie sind neben Axl Rose das beständigste Bandmitglied. Wie kommt das?
Axl gab mir eine Chance, als ich jung war. Wir kennen uns seit 1985. Als Guns N’Roses die „Use Your Illusions"-Alben aufnahm, hatte Axl eine Vision. Und dazu gehörte ein Keyboarder. Er hörte mich spielen und mochte meinen Stil. Ich machte damals rootsorientierten, bluesigen Rock’n’Roll. In LA gab es nicht viele Keyboarder wie mich. Axl stand zu seinem Wort und so kam es, dass ich an den „Use Your Illusions"-Alben mitwirkte und bis heute bei ihm geblieben bin.
Haben Sie die Soloplatte gemacht, weil es von Guns N’Roses in nächster Zeit nichts Neues geben wird?
Nein, das hat nichts miteinander zu tun! Wir haben viele neue Guns N’Roses-Songs in der Schublade liegen. Die werden wir eines Tages sicher veröffentlichen.
Hand aufs Herz: Wird es jemals eine neue Platte von Guns N’Roses geben?
Das hoffe ich. Diese Frage habe ich in den letzten Jahren schon tausendmal gehört. Ich kann darauf keine befriedigende Antwort geben. Da ich aber ein optimistischer Mensch bin, gehe ich davon aus, dass es eines Tages so weit sein wird.
Wo nehmen Sie am liebsten Musik auf?
In Hollywood gibt es die Conway Recording Studios. Dort haben wir mal mit Guns N’Roses ein paar Songs aufgenommen. Auch Gilby Clarke und Slash haben dort gearbeitet. Die haben einen Steinway-Flügel, wahrscheinlich das schönste Instrument, auf dem ich je gespielt habe. Er spielt sich fast von allein. Unter dem Flügel steht immer ein Eimer Wasser, damit er schön sauber bleibt.
Entwickelt sich die Musik von Guns N’Roses ständig weiter?
Ich würde das gerne denken. Ich glaube, wenn dem nicht so wäre, würde es die Band wahrscheinlich nicht mehr geben. Aber es ist genauso wichtig, dass die Songs, die wir in der Vergangenheit gemacht haben, so stark sind, dass wir sie heute noch spielen können. Uns ist schon wichtig, dass wir nicht stagnieren. Eine Band will nicht auf der Stelle treten. Ich glaube, wer sich nicht weiterentwickelt, kann auch nicht relevant sein.
Axl Rose hat den Ruf, sehr schwierig zu sein. Wie gehen Sie mit dieser unberechenbaren Diva um?
Die meisten Leute, die so etwas behaupten, haben gar nicht das Recht dazu, denn sie kennen Axl ja gar nicht. Ich kann nur sagen, dass er ein guter Freund von mir ist. Ich bin sehr glücklich und stolz, mit ihm zusammenarbeiten zu dürfen. Axl Rose ist einer der professionellsten und am härtesten arbeitenden Musiker, die ich kenne. Und einer der lustigsten. Jedes Mal, wenn wir zusammen auf die Bühne gehen, erzählt er Witze. Das ist Axl Rose.
Wie fühlt es sich an, gegenwärtig mit Guns N’Roses zu spielen, wo Slash und Duff McKagan wieder mit von der Partie sind?
Fantastisch! Die Besetzung, die wir jetzt haben, ist die ultimative. Wirklich cool. Nicht nur für die Fans, auch für uns selbst. Ich will so viele Shows spielen wie möglich. Ich hoffe, diese Tour wird niemals enden. Für mich ist es schöner, rauszugehen und zu arbeiten als untätig herumzusitzen. Aber vom Rock ’n’ Roll zu leben, ist nicht leicht. Es wird sogar immer schwerer.
Welche Jobs haben Sie gemacht, bevor Sie Profimusiker wurden?
Ich war auf dem Bau. Ich war Gärtner. In der ganzen Zeit habe ich nicht aufgehört Gigs zu spielen. Als ich schließlich in den 80er-Jahren nach L.A. kam, um mit einer Band Musik zu machen, mussten wir feststellen, dass es hier bereits 10.000 andere Bands gab. Es war hart, einen Fuß in die Tür zu bekommen, aber wir haben uns den Arsch aufgerissen. Es half nichts, denn in den ersten fünf Jahren kam so gut wie kein Geld rein. Bis ich schließlich bei Guns N’Roses einstieg.
Heute spielen Sie mit Guns N’Roses überall auf der Welt. Sind Sie in China immer noch verboten wegen des Albums „Chinese Democracy"?
Sind wir in China verboten? Witzigerweise haben wir die erste Show der „Chinese-Democracy"-Tour in Hongkong gespielt. Ich erinnere mich, dass es für diese Show überhaupt keine Promotion gab. Tags zuvor hatte am selben Ort No Doubt gespielt und die Halle war voll. Überall in der Stadt hingen Konzertplakate von der Band und im Fernsehen liefen dauernd Werbespots. Aber unser Konzert wurde überhaupt nicht beworben. Trotzdem haben wir gespielt und es war gut.
Was denken Sie, wenn Leute wie Liam Gallagher oder Gene Simmons behaupten, Rock ’n’ Roll sei tot im Zeitalter von Laptop und Internet?
Nun, sie können denken, was sie wollen. Rock ’n’ Roll wird es immer geben in irgendeiner Form. Ich weiß nicht, warum manche Leute so was behaupten, vielleicht, weil sie heute nicht mehr so erfolgreich sind wie früher. Immer wenn es heißt, ein bestimmter Film sei nicht besonders gut, denke ich, den müsste ich mir eigentlich anschauen.
Warum benehmen sich so viele Musiker selbstzerstörerisch?
Wir Musiker leben in einer Umgebung, in der wir tun und lassen können, was wir wollen. Ich kann mich nicht erinnern, dass jemals ein Plattenfirmenmensch zu mir gesagt hätte: „Hör sofort auf zu feiern oder du wirst gefeuert!" Für jeden anderen Menschen hätte solch ein Verhalten Konsequenzen, aber für unsereins nicht. Leider gehen viele Musiker zu weit mit der Selbstzerstörung. Man sollte auch wissen, von wem man sich besser fern hält. Das ist gesünder.
Ist bei einer Tour von Guns N’Roses denn auch Alkohol erlaubt?
Ja. Ich achte aber schon auf meine Gesundheit, man wird ja nicht jünger und das viele Herumreisen fordert seinen Tribut. Dennoch trinke ich immer noch sehr gerne eiskalten Jägermeister, Mann! Er ist gut für die Seele.
In welchem Land leben die verrücktesten Fans?
Die Fans in Südamerika treiben es auf die Spitze. Was nicht ungefährlich ist für uns, aber sie lieben eben wirklich den Rock ’n’ Roll. In Südamerika
können wir das Hotel eigentlich nicht verlassen, wenn wir es nicht riskieren wollen, dass man uns die Klamotten buchstäblich vom Leibe reißt. So sieht echte Hingabe aus!
Werden Sie auf Ihrer Tour auch ein paar neue Songs spielen?
Es besteht immer eine Chance, dass wir neue Stücke spielen. Das bedeutet, dass unsere Auftritte noch länger werden würden. Bei uns gibt es nur Zugaben und keine Streichungen.
Wie bereiten Guns N’Roses sich auf eine Tour vor?
Die aktuelle Besetzung kniet sich wirklich rein. Wir wollen den Leuten die beste Show geben, die wir bieten können. Wir spielen unglaublich viele Songs. Die alle einzuüben, braucht seine Zeit. Wer gut vorbereitet ist, kennt auch kein Lampenfieber.
Worauf sind Sie besonders stolz?
Auf meine vier tollen Kinder, meine wundervolle Frau Nadja und meinen Enkel, der übrigens in Berlin lebt. Ich kann es kaum erwarten, ihn wiederzusehen. Und ich freue mich, dass ich von der Musik noch immer leben kann. Mein Dank gilt unseren Fans. Sie sind Teil der Geschichte von Guns N’Roses.