Langeweile sieht anders aus. Europa hat es geschafft, die Schlagzeilen zu dominieren. Wobei jetzt mal nicht die verwirrenden Botschaften aus einzelnen Mitgliedsstaaten vorrangig gemeint sind. Es geht um das Europa, für das „Brüssel" steht, also die Institutionen, die sich abmühen, die nationalstaatlichen Egoismen zu bändigen, trippelschrittweise zu einer gemeinsamen Politik zu kommen und gleichzeitig dem um sich greifenden globalen Wahnwitz etwas Eigenes entgegenzuhalten. In knapp einem Jahr steht eine historische Wahl auf dem Terminkalender. Erstmals wählen die Europäer ein Parlament ohne die Briten, dafür vermutlich aber wieder nach altem System, also ohne Sperrklausel. Um die ist lange heftig gerungen worden, vor allem auf Drängen aus Deutschland. Die juristischen und politischen Argumente dafür oder dagegen sind seit Jahren bekannt. Das Spektrum der Meinungsvielfalt wird jedenfalls nicht größer, wenn, wie beim letzten Mal – ohne Sperrklausel – ein Saarländer (für die Tierschutzpartei) auf den Wanderzirkus zwischen Brüssel und Straßburg geschickt wird, und sich wenige Wochen später niemand mehr daran erinnern kann, dass außer dem altgedienten Europakämpen Jo Leinen (SPD), noch ein zweiter saarländischer Abgeordneter gewählt wurde. Denn Chancen, auf dieser Ebene mitzuspielen, hatte er keine. Was demokratietheoretisch ganz sinnvoll und nett erscheint, ist schlicht praxisuntauglich.
Im Übrigen wäre eine viel weiterreichendere Wahlreform nötig. Nach der Premiere mit europäischen Spitzenkandidaten wären jetzt echte Europa-Listen bei den Parteien (oder Partei-Familien) angesagt. Der Vorschlag hätte zumindest die Chance, dem bloß nationalen Charakter von Europawahlen etwas mehr Europäisches zu geben. Von mir aus auch mit zwei Stimmen, eine für den nationalen Listen-Kandidaten, eine für den „Europäer". Und wenn wir schon bei Reformen sind dann gleich richtig. Gebt den grenzüberschreitenden Verbünden wie dem Interregionalen Parlamentarierrat (schon das Wort zeigt, wie schwierig das alles ist), endlich die Rechte, Befugnisse (samt Budgethoheit) eines echten (Regional-) Parlaments in der Großregion. Europa würde sicht- und vermittelbarer, bei Wahlen und mit besseren Strukturen auch darüber hinaus.