Für das nicht allzu lange „Zwischendrin" an der Bar lohnt es sich, Mitglied in einem ganz besonders prickelnden Club zu werden. Der „Cavaclub" in der Kreuzberger Marheineke-Halle ist Anlaufstelle für Freunde ausgewählter spanischer Sekte und kulinarischer Kleinigkeiten von der iberischen Halbinsel.
Der Cava sei ein Getränk für die „sparkling Happyness", befand eine schwedische Autorin. Die hatte sich offenbar viel in Barcelona herumgetrieben und in den Bars den örtlichen Sekt zum katalanischen Lebensgefühl genossen. Genau das vermisste die Journalistin und Cava-Kennerin Barbara Schwarzwälder, als sie 2012 aus ihrer Heimat Barcelona nach Berlin zog. Sie stellte fest, dass es eigentlich keine Cavas von kleinen Produzenten aus dem Penedès, dem Weinbaugebiet nahe der katalanischen Hauptstadt, in Berlin gab. „Ich fand keine so schönen, trockenen Cavas, wie ich sie aus Katalonien kannte", erinnert sie sich. Dort beschäftigt man sich mit solcher Hingabe mit Cavas, Winzern und Geschmäckern wie hierzulande mit dem lokalen Lieblingsbier. Die von „den Kleinen" produzierten Mengen sind übersichtlich; viele Cavas werden ausschließlich im Land getrunken, und man holt sich seinen bevorzugten Cava direkt beim Erzeuger.
„Ich möchte, dass der Cava ins Leben eingebunden ist", sagt Barbara Schwarzwälder. Und zwar auch in Berlin. „Man nimmt einen Cava in dem Moment, in dem man keinen Kaffee mehr trinkt, Bier zu stark ist und allenfalls Weißwein eine Alternative wäre." Man fühlt sich beschwingter, prickelnder, belebter. Nach dem Cava kann der Tag weitergehen.
Ich lasse mich samstagnachmittags gern ins katalanische Lebensgefühl einbinden. Zunächst mit einem Gläschen vom sehr jugendlichen „Permont’s 1940", der erst vor einigen Tagen frisch eintraf. Die Hefe steigt in der Sektflöte auf und kitzelt die Riechzellen in der Nase, bevor zitronige, apfelige und wassermelonige Noten im Mund antippen. Genau so soll es sein. „Der Cava lag nicht lange auf der Hefe, hält seine Perle aber ewig", weiß Schwarzwälder. „Den kannst du ohne Bedenken einen Tag in den Kühlschrank stellen." Der „Permont’s" stammt aus den „Cavas de Valicourt". Diese Weinkeller sind das reiche Fundament, auf dem Sant Sadurní, laut Schwarzwälder „die Hauptstadt des Cava", steht – der Ort ist komplett unterkellert. Martín Pedro Montserrat stellte seinen „Permont’s" aus den drei Rebsorten her, die einen typischen Cava aus Barcelona kennzeichnen: Xarel-Lo, Macabeu und Perelada. Man kennt einander, und Schwarzwälder kennt alle Geschichten: „Martín degorgiert alle Flaschen selbst von Hand. Nur er kann das." Der Winzer sei im Rütteln zum Entfernen des Hefedepots in der Flaschengärung der Beste. „Das muss man von Kindesbeinen an geübt haben."
Nicht Verkäufer, sondern Genießer
Ich rufe „Alles meins!", als Roland Göckel mir auf einem entsprechend beschrifteten Brettchen Scheiben einer milden, paprikalastigen Chorizo mit Kastanien und einige Dreiecke vom Manchego-Käse hinlegt. „Sechs Monate gereift, da ist der Manchego noch schön sahnig-mild." Roland Göckel ist Schwarzwälders Geschäftspartner, mit dem sie im Oktober 2016 den schmalen Stand in der Marheineke-Halle übernahm. Er hat an diesem Sonnabend Bardienst. Öffnet Sardinendosen und legt Oliven, Schinken und Paprika auf die Teller und Brettchen. Käse, Fleisch und Oliven – all das, was zum Cava ergänzenden Spaß bereitet, beziehen die Macher des „Cavaclubs" ausgewählt von kleinen Erzeugern. Sie wollen die Brücke zwischen Produzenten und Kunden schlagen und so kleineren Anbietern, die nicht selbst international vertreiben können, bei sich in Berlin eine Bühne geben.
„Wir wollten nur Sachen anbieten, die uns schmecken", sagt Schwarzwälder. Und weiter: „Ich bin ja keine Verkäuferin, sondern Genießerin." Ich auch. Kann ich diese Kastanien-Chorizo, die so warm wie die spanische Sonne schmeckt, für zu Hause bekommen? Das klappt leider – noch – nicht, verrät Schwarzwälder. „Wir bekommen oft nur kleine Mengen." Die sind ratzfatz am Tresen oder bei Caterings mit der mobilen Cavabar, die der „Cavaclub" etwa beim „Gallery Weekend" oder in der spanischen Botschaft ausrichtet, aufgegessen.
Sollten Appetit oder Hunger nicht mehr mit Toasties und Sandwiches zu stillen sein, hilft „Lola" weiter. Gleich nebenan in der „spanischen Ecke" der Halle werden größere Gerichte wie Tortilla, Paella oder Fleischklößchen über den Tresen gereicht. „Lola" und „Cavaclub" führen eine gedeihliche Koexistenz. Bei den Nachbarn gibt’s eher Bier und Wein zum Essen. Die Gäste und auch der Koch bekommen unkompliziert ihre Gläschen „Cava" aus dem „Club" herübergereicht. Entsprechend ist die Sprache Castellano in allen Schattierungen in der Kreuzberger Außenstelle Spaniens zu hören.
Nachbarn und Gäste nehmen auch vielsprachig Anteil daran, dass Barbara Schwarzwälder just vor unserem Termin die Handtasche an ihrem eigenen Stand geklaut wurde. Einmal kurz an die Lehne des Barhockers gehängt, schon war sie weg. Profi-Diebe schätzen die Attraktivität und den Trubel im Bergmannkiez ebenso wie die Einheimischen und Touristen. So viel Barcelona hätte es mitten in Kreuzberg wahrlich nicht gebraucht! Eigentlich wäre das der Moment für einen beruhigenden Vermouth: Die mit Goldmedaillen ausgezeichneten Wermuts von Padró & Co. in ihren feinziseliert geschmückten farbigen Flaschen sind Eyecatcher im Regal. Roland Göckel lässt mich erst vom „Rojo Classico" probieren – der hat was von einem guten Kräuter-Hustensaft. Der „Goldene" dagegen ist das Pendant eines alten, schweren Cognacs. Er ist in seiner vollmundigen, leichten Bitterkeit gewiss kamintauglich.
Wer seine Flasche Cava für zu Hause mitnimmt, umgeht Stuhllehnen und Diebe, aber auch das Vergnügen, ein, zwei, drei Gläschen unterschiedlicher Cavas an der Bar zu probieren. Ich trinke mich hoch und nun einen vollmundigeren „610 Vinyes Singulars" – einen Cava, der jedes Jahr seinen Namen ändert. Seit 610 Jahren sind die Weinberge durchgängig im Besitz der Familie von Ignasi Seguí – diese lange Tradition würdigt er mit seiner Namensgebung. Der zu 100 Prozent aus der Xarel-Lo-Traube gekelterte 2015er-Cava ist ein runder, erwachsener Vertreter seiner Art. „Ignasi war der erste, der uns unterstützt hat", erzählt Barbara Schwarzwälder.
Essen wie zu Hause: Paella in Berlin, Käsespätzle in Barcelona
Sein Weg ist typisch für so manchen Cava-Produzenten. Eigentlich Leiter einer Werbeagentur in Vilafranca, der Hauptstadt der Region Penedès, beschloss Seguí Ende der 90er-Jahre, den Cava, den die Familie für den eigenen Verbrauch herstellte, auch selbst zu vermarkten. Waren die Eltern einfache Weinbauern, die den überwiegenden Teil der Ernte an die großen Cava-Hersteller verkauften, gingen die Jungen zum Studium ins Land, brachten neue Ideen mit und machten ihre eigenen Cavas in kleinen und feinen Auflagen. Sie setzen auf Cavas aus neuen „Coupages", den Rebsorten-Kombinationen – oder auf einzelne und autochthone Sorten. Sie wissen um die Notwendigkeit guter Vermarktung und Präsentation, machen etwa mit schicken Etiketten auf sich aufmerksam. Man verzichtet ebenfalls auf die Dosage mit Zuckerzusatz, der nach dem Degorgieren der Flaschen zum Auffüllen häufig verwendet wird, und setzt stattdessen ausschließlich vom Grundwein erneut zu. Nur solche „Brut nature"-Cavas werden im „Cavaclub" für 3,50 oder 4 Euro im 0,1er-Glas ausgeschenkt – die Sonne richtet das mit dem hohen Zuckergehalt in den Trauben vorher von selbst. Die Flaschen kosten zwischen 10 und 18 Euro.
Barbara Schwarzwälder hat einen Rosé-Cava aus so einer „sehr jungen Bodega" im Glas – er wurde ausschließlich aus Pinot-Noir-Trauben im Familienbetrieb DG Viticultors hergestellt. „Einer ist Önologe, einer Chemiker, einer aus dem Marketing", erzählt sie. Da aller guten Dinge im „Cavaclub" vier sind, nippe ich nicht nur daran, sondern auch noch am „La Xarmada", „unserem Charmanten", wie Schwarzwälder den 24 Monate gelagerten Cava nennt. Hoppla, waren Bittermandeln mit in der Flasche? „Die edelbittere Note von Mandeln ergibt sich aus dem Zusatz der vierten Sorte", erläutert Roland Göckel. Neben Macabeo, Perelada und Chardonnay spielt ein Chenin Blanc mit. Nicht wirklich meins, aber sehr interessant und eben Geschmackssache.
Nach so viel Alkohol nehme ich noch ein Barcelona-typisches „Bikini" zu mir. Roland Göckel lässt Käse und gekochten Schinken im Toast-Grill zwischen Weißbrotscheiben langsam zu einem herzhaft-substanziellen Sandwich verschmelzen. Anschließend erbitte ich noch einen Kaffee mit einem „María Dorada"-Keks – und schon fühle ich mich in eine kleine Bar in Barcelona gebeamt, in der zu einem sparsamen spanischen Frühstück so eine trockene runde „Galleta" einfach dazugehört. Auch bei Barbara Schwarzwälder wecken die Kekse Erinnerungen an zu Hause.
Wo es schmeckt, finden sich eben alle gern ein, ganz gleich, wo der geografische Ort sein oder wie ungewöhnlich manches anmuten mag: „Ich esse in Berlin gern die superleckere Paella von nebenan. Und wenn ich in Barcelona bei meiner Mutter bin, gibt’s am Strand Käsespätzle oder Königsberger Klopse." Eines ist gewiss: Hüben wie drüben gibt’s vorher ein Glas Cava.