Seit Wochen wird über die Einrichtung eines Bamf- Untersuchungsausschusses gestritten. Dabei geht es weniger um inhaltliche Punkte, als um die Frage, wem ein solcher Ausschuss politisch in die Karten spielt oder nicht.
Der Fall der getöteten 14-jährigen Susanna F. aus Mainz ließ die Wogen einmal mehr anschwellen. Der Tatverdächtige, ein 20-jähriger abgelehnter Asylbewerber aus dem Irak, kam vor drei Jahren als Flüchtling. Die AfD bellte sofort wieder los, Schuld an allem sei Angela Merkel. Für die AfD-Bundestagsabgeordnete Beatrix von Storch war wieder einmal belegt, dass nur ein Untersuchungsausschuss des Bundestages diese unhaltbaren Zustände in Deutschland aufklären könne. Wasser auf die Mühlen für die AfD ist der Umstand, dass sich der tatverdächtige Iraker samt seiner Familie zunächst mit gefälschten Papieren in die alte Heimat abgesetzt hatte.
Seit Wochen trommeln die Rechtsnationalen im Bundestag für diesen Untersuchungsausschuss. Anlass sind die Vorgänge in der Außenstelle des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (Bamf) in Bremen. Dort sollen mindestens 1.200 Asylbescheide ergangen sein, obwohl keine Voraussetzungen dafür bestanden. Die Leitung in Bremen soll frühzeitig genügend Hinweise darauf gehabt haben und auch die oberste Behördenleitung in Berlin informiert haben. Ende April wurde das mögliche Versagen der Bundesbehörde in der Öffentlichkeit bekannt. Als erstes forderte die AfD eine parlamentarische Untersuchung, dann kam Unterstützung von unerwarteter Seite. Ausgerechnet die FDP wollte nun auch einen Untersuchungsausschuss. Dies verwundert, denn die Liberalen um ihren Chef Christian Lindner sind seit Wochen bemüht, wo immer es geht, sich von der AfD nicht nur abzusetzen, sondern gezielt Gegenpositionen zu entwickeln. Nun plötzlich saßen Liberale und Nationale im Plenum des Bundestages nicht nur nebeneinander, sondern politisch obendrein in einem Boot.
Umgehend legten beide Parteien ihre Anträge vor. Die AfD will vor allem festgestellt wissen, dass schon Merkels Grenzöffnung im August 2015 einen Gesetzesbruch darstellt. Die FDP will vor allem wissen, welche Personen im Bundesamt und dem Innenministerium wann und wie versagt haben.
Wasser auf die Mühlen der Rechtsnationalen
Waren beide Parteien mit ihrem Ansinnen zunächst isoliert, kam überraschend Schützenhilfe von den Sozialdemokraten. SPD Fraktionsvize Thomas Oppermann kann sich nun plötzlich auch einen Untersuchungsausschuss vorstellen. Allerdings nur, wenn der Innenausschuss nicht alle Unklarheiten aus dem Weg räumen kann. SPD-Partei- und Fraktionschefin Andrea Nahles ist blank entsetzt und rudert umgehend zurück, doch Teile ihrer Fraktion heißen einen Untersuchungsausschuss gut. Allerdings fragt niemand, was dieses Gremium überhaupt rausbekommen soll.
Denn die Geschichte solcher Ausschüsse hat gezeigt: Viel politisches Tam-Tam und magere Ergebnis, dafür schöne Sitzungsgelder für ihre Mitglieder. Ob Flick-, CDU-Spenden- oder NSU-Untersuchungsausschuss. Es kam immer nur so viel raus, wie die Befragten bereit waren, auszusagen. Bei den Untersuchungen zum „Nationalsozialistischen Untergrund" vor fünf Jahren wurde vor allem auf Behördenebene in einer Art gemauert, dass die Ausschussmitglieder dachten, sie seien in einem schlechten Film. Reihenweise erteilten BKA und die Verfassungsschutzämter ihren Mitarbeitern Maulkörbe, selbst Ministerpräsidenten durften nicht vernommen werden. Die Parlamentarier im Bundestag preisen ihr Recht zur Einsetzung eines Untersuchungsausschusses gern als ihre „schärfste parlamentarische Waffe". Immerhin orientiert sich die Arbeitsweise an der Strafprozessordnung, doch auch ein Richter und ein Staatsanwalt sind machtlos, wenn keiner was sagt, oder aber gelogen wird, dass sich die Balken biegen.
Bei einem möglichen Untersuchungsausschuss kommt die Gefahr aus einer anderen Ecke. Denn dass das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge im Herbst und Winter 2015/2016 restlos überfordert war, steht außer Frage. In der ersten parlamentarischen Sprechstunde der Bundeskanzlerin Anfang Juni geht dann Angela Merkel erstmals öffentlich auf die damaligen Zustände ein. Auf die Frage, seit wann sie denn von den Unzulänglichkeiten im Bamf gewusst hätte, gab die Kanzlerin betont nüchtern zu Protokoll: „Von Anfang an, sonst hätte ich ja nicht Herrn Weise geholt." Dann setzte sie das Parlament in Kenntnis, dass sie von Hans-Jürgen Weise immer wieder auf die schwierigen Umstände in der Behörde aufmerksam gemacht worden war, und das sowohl in seiner Amtszeit, aber auch danach in seinem Abschlussbericht.
Vor allem den scharfsinnigen Fragern von der AfD nahm die Kanzlerin damit in ihrer Parlamentssprechstunde völlig den Wind aus den Segeln und war bemüht, zu zeigen, dass es eigentlich nichts zu untersuchen gibt. Und der damalige Flüchtlingskoordinator, Peter Altmaier, gibt zu Protokoll: Schwierige Situation, die sich so nicht mehr wiederholen darf, aber wir haben alles offengelegt. Merkels politischer Feuerwehrmann war damaliger Kanzleramtschef und in der Folge dann auch noch der Flüchtlingskoordinator der Bundesregierung. Auf Polit-Fuchs Altmaier kann sich die Kanzlerin verlassen, denn dieser nutzt die Bamf-Debatte und zählt gleich noch mal richtig den derzeitigen Innenminister Horst Seehofer von der CSU an.
Der spielt sich seit Wochen als Oberaufklärer auf und kritisiert in diesem Rahmen regelmäßig die Kanzlerin für ihre Flüchtlingspolitik. Nun die Retourkutsche von Kanzlerinnen-Intimus Altmaier. Der stellt einfach noch mal fest, dass der derzeitige Bundesinnenminister im September 2015 CSU-Ministerpräsident von Bayern war. Damals haben alle Ministerpräsidenten der Linie der Kanzlerin zugestimmt. Seehofer hat also schon damals gewusst, was da auf uns zukommt – und trotzdem zugestimmt.
Und dann setzt sich der ehemalige Flüchtlingskoordinator Altmaier mit seinem Ex-Kollegen und damaligem Innenminister Thomas de Mazière in den Innenausschuss des Bundestages. Beide stehen den Ausschussmitgliedern Rede und Antwort.
Auftritt ohne Erkenntnisgewinn
Doch auch dieser Auftritt bleibt ohne besonderen Erkenntnisgewinn. Durch die vielen Überstunden in den letzten Wochen sind die Zuarbeiter des Innenausschusses völlig entnervt. „Ich weiß nicht, was das soll, aber das, was wir hier besprechen, ist alles bekannt", klagt eine Assistentin. Bereits eine Woche vor den beiden Ministern wurden hinter verschlossenen Türen die ehemaligen Behördenleiter Manfred Schmidt und Frank-Jürgen Weise sowie erneut Bamf-Präsidentin Jutta Cordt angehört. Alle berichteten übereinstimmend, auf dem Höhepunkt der Flüchtlingskrise seien die Mitarbeiter völlig überlastet gewesen. Zu diesem Ergebnis dürfte auch ein Bamf-Untersuchungsausschuss in knapp drei Jahren kommen.
Nicht eindeutig belegen lassen wird sich wohl, ob die Behördenleitung Schuld an dieser Überlastung hatte und ob die Mitarbeiter aus Angst Asylanträge ohne Voraussetzungen bewilligt haben, um keine Abmahnung zu kassieren. Denn auch das ist jetzt bereits bekannt: Der Antragsstau von einer Million Eingaben sollte so schnell wie möglich abgearbeitet werden.
Der einzige Sinn eines Untersuchungsausschusses ist also offenbar ausschließlich politischer Natur. Denn schon jetzt ist der ganze, sogenannte „Bamf-Skandal" und die Debatte um eine parlamentarische Untersuchung ein Geschenk des Himmels für die AfD. Sie konnte über Wochen ihr Flüchtlingsthema immer ganz oben in den Schlagzeilen halten, unterstützt von FDP und Teilen der SPD. Nur Linkspartei und Grünen rochen den Köder, lehnten ab, leisteten aber nicht wirklich offensiv Widerstand.