Zur Lösung des Atomkonflikts braucht es mehr als spektakuläre TV-Bilder
Fast scheint es so, als ob US-Präsident Donald Trump den Gipfel mit Kim Jong-un um jeden Preis nötig hatte. Beim Treffen mit Nordkoreas Machthaber am 12. Juni in Singapur wollte sich der Amerikaner als historischer Friedensstifter zelebrieren. Er tätschelte sein Gegenüber freundschaftlich an der Schulter, streckte den Daumen triumphierend nach oben. „Es ist besser gelaufen, als irgendjemand hätte erwarten können, Spitzenklasse", pries Trump das Gespräch. Die Botschaft im Blitzlichtgewitter der Weltpresse: Seht her, nur ich kann den Atomkonflikt mit Pjöngjang lösen. Am Ende unterzeichneten beide eine Vereinbarung, deren Fallstricke sich jedoch erst später erweisen dürften.
Dieser Hang zur Entspannung ist erstaunlich. Denn an anderer Stelle sucht Trump die Konfrontation. Mit seiner Vogel-friss-oder-stirb-Politik bei Strafzöllen verprellt er nicht nur den geostrategischen Rivalen China, sondern auch Verbündete wie die EU, Kanada oder Japan. Am vergangenen Wochenende beerdigte der Chef des Weißen Hauses de facto die Gemeinschaft des Westens, die sich auf rechtsstaatliche Grundsätze, Marktwirtschaft und Menschenrechte stützte. Beim G7-Gipfel der Industriestaaten im kanadischen La Malbaie brüskierte er die Teilnehmer, indem er per Tweet aus dem Flugzeug die zuvor gewährte Zustimmung zum Abschluss-Kommuniqué verweigerte.
Trump ist der Dr. Jekyll und Mr. Hyde der Weltpolitik. Der Mann mit zwei Gesichtern, der sich mal die Samthandschuhe und im nächsten Moment die Boxhandschuhe überstreift. In einer Mischung aus Größenwahn und infantilem Narzissmus sucht er das Rampenlicht. Und immer hat er die Zwischenwahlen zum US-Kongress im November im Blick. Er will sich dem heimischen Publikum als Macher verkaufen: Ich kann Diplomatie (Nordkorea), ich kann aber auch knallhart (G7).
Dieser mit viel Sinn für Drama und Show unterfütterte Kurs ist riskant. Nordkoreas Staatschef hat bislang nur Zugeständnisse gemacht, die ihn nichts kosten: Drei inhaftierte Amerikaner hat er freigelassen, ein bereits beschädigtes nukleares Testgelände wurde gesprengt.
Nichts deutet darauf hin, dass Kim bereit ist, alle seine Kernwaffen, Kurz-, Mittel- und Langstreckenraketen zu vernichten. Nach Einschätzung von Experten verfügt er über zehn bis 60 Atombomben. Sie waren bislang die Lebensversicherung für sein Regime. Ferner gibt es keine Indizien, ob er lückenlose internationale Inspektionen in allen Teilen seines Landes zulässt.
Die „einzigartigen Sicherheitsgarantien", die die Amerikaner Kim angeboten haben, werden dem Nordkoreaner nicht reichen. Diktatoren ist eines gemeinsam: Sie trauen keinem Stück Papier, und sie leiden pausenlos unter Verfolgungswahn. Darüber hinaus gibt es Präzedenzfälle, die unterstreichen, dass vertragliche Zusagen der USA im Zweifelsfall nichts wert sind.
2003 hatte der libysche Herrscher Muammar al-Gaddafi sein Atomwaffenprogramm gegen wirtschaftliche Zusammenarbeit mit dem Westen eingestellt. Während des Bürgerkriegs 2011 wurde seine Armee von einer Allianz unter Führung Frankreichs, Großbritanniens und der USA angegriffen. Aus dem internationalen Atomabkommen mit dem Iran, das zwölf Jahre lang in etlichen Nachtsitzungen ausverhandelt wurde, hat Trump am 8. Mai den Stecker gezogen. Ohne Plan B. Denn dies würde eine Strategie voraussetzen, die der instinktgetriebene Twitter-Präsident eben nicht hat.
Der Teufel für jeden diplomatischen Erfolg steckt im Detail. Ob Trump die Geduld für einen politischen Marathonlauf aufbringt, darf bezweifelt werden. Kim hat hingegen viel Zeit. Er kann bereits als Propaganda-Trumpf verbuchen, dass sich der mächtigste Mann der Welt mit ihm an einen Tisch setzt. Ihm geht es vor allem um den schrittweisen Abbau von Sanktionen und um Wirtschaftshilfe. Er wird versuchen, die Gegenseite mit dem Stopp von Atom- und Raketentests zu ködern. Das Ziel ist, wo wenig wie möglich von seinem nuklearen Arsenal zu verschrotten.
Trump, der in seinem vorigen Leben Star in einer TV-Reality-Serie war, ist dagegen ein Sekunden-Mann. Er will spektakuläre Fernsehbilder. Deshalb ist der Gipfel von Singapur einstweilen nicht viel mehr als ein bunt schillerndes Polit-Event. Wie viel Substanz dahinter steckt, lässt sich erst nach einer Vielzahl von Folgetreffen beurteilen.