Harter oder weicher Brexit? Und was kommt danach? Die wirtschaftliche Dimension der Verhandlungen ist immens. Kein Wunder also, dass der Brexit von der deutschen Wirtschaft als Bedrohung wahrgenommen wird. Doch nicht nur hierzulande macht man sich Sorgen.
Vor zwei Jahren hat eine knappe Mehrheit der britischen Bevölkerung dafür gestimmt, die Europäische Union zu verlassen. Das Vereinigte Königreich wird nach dem Austritt aus der EU zu einem Drittstaat. Diese Entscheidung führt in vielen Bereichen zu drastischen Konsequenzen, insbesondere für die Wirtschaft. Für Deutschland ist das Vereinigte Königreich der fünftgrößte Exportmarkt, weshalb Deutschland überdurchschnittlich stark betroffen ist.
Aber auch einige andere EU-Länder befürchten wirtschaftliche Nachteile. Entscheidend für die Betroffenheit ist im Wesentlichen die geografische Lage. Faustformel: Je weiter das jeweilige Land von der britischen Insel entfernt ist, desto gelassener agieren bislang Politik und Wirtschaft. In vielen Ländern Süd- und Osteuropas gelten die Hauptsorgen nicht den Handelsbeziehungen, sondern den notwendigen Kürzungen bei EU-Hilfen. Denn mit dem Vereinigten Königreich fällt für den EU-Haushalt ein Nettozahler aus, was für die mehrjährige Finanzplanung ab 2021 – bis 2020 müssen die Briten noch voll zahlen – ein Loch in die Kasse reißt. Deutschland ist bereit, künftig mehr nach Brüssel zu überweisen, andere Länder tun sich schwerer.
Umgekehrt gilt: Die Länder Mittel- und Nordeuropas interessieren die Mittel aus den EU-Strukturfonds weniger, sie befürchten aber eine massive Behinderung des Warenaustauschs mit dem britischen Nachbarn. Belgien, die Niederlande, Deutschland und Dänemark sind geografische Nachbarn Großbritanniens, ein Großteil des Warenverkehrs der EU mit dem Vereinigten Königreich läuft über diese Länder. Die Häfen in Nordfrankreich, in Belgien und den Niederlanden verdanken ihre große Bedeutung dem Warenverkehr über dem Ärmelkanal.
Geografische Lage entscheidend
Deshalb darf es nicht verwundern, dass die Kammerorganisationen der entsprechenden Länder (Nordseekammern) sich gemeinsam zu den Brexit-Verhandlungen geäußert haben. Die Wirtschaft der Nordseeanrainer ist darauf angewiesen, dass für die Zeit nach dem Brexit praktikable Regelungen gefunden werden, die es den Unternehmen erlauben, die Geschäftstätigkeit mit den britischen Kunden aufrecht zu erhalten.
Eines wird oft vergessen: Während es bei einer normalen Scheidung möglich ist, dem Verflossenen dauerhaft aus dem Weg zu gehen, wird Großbritannien uns als geografischer Nachbar dauerhaft und unverrückbar erhalten bleiben. Es gab vor dem EU-Beitritt des Vereinigten Königreichs wirtschaftliche Beziehungen zwischen der Insel und dem Festland und es wird sie auch zukünftig geben. Der Übergang könnte aber haarig werden.
Eine Sonderrolle unter den EU-Ländern nimmt Irland ein. Hier besteht sogar eine Landgrenze zu einem Teil des Vereinigten Königreichs und der Warenverkehr ist traditionell besonders intensiv. Deshalb sind die Iren besonders aktiv, wenn es um die zukünftigen Beziehungen zu Großbritannien geht. Die Deutsch-Irische Handelskammer in Dublin ist auf diesem Feld besonders aktiv und beackert mit Unternehmensdelegationen nach Brüssel, Berlin und London das Feld.
Die ersten Auswirkungen des Brexit zeigen sich bereits beim Wechselkurs und bei den Exporten. Der Wert des britischen Pfunds ist gegenüber dem Euro seit dem Brexit-Referendum um 12 Prozent gesunken. Keine gute Nachricht für britische Urlauber in Spanien, aber auch nicht für britische Importeure, die bei stabilen Preisen in Euro nun mehr Pfund auf den Tisch legen müssen. Dementsprechend haben sich die deutschen Exporte in das Vereinigte Königreich in der letzten Zeit nur schwach entwickelt.
Derzeit ist noch unklar wie es nach dem Brexit weitergeht. Die EU-27 sehen ein Freihandelsabkommen als wahrscheinlichste Variante, ohne andere Formen der künftigen Beziehungen auszuschließen. Dabei agieren die 27 verbleibenden EU-Länder bislang erstaunlich geschlossen. Alle Versuche der Briten, das eine oder andere Land aus der Phalanx herauszubrechen, sind bislang gescheitert. Besondere Hoffnungen hatte die britische Regierung in Bezug auf die deutsche Regierung und die deutsche Exportwirtschaft gesetzt.
Umso bemerkenswerter ist es, dass für die deutschen Unternehmen der EU-Binnenmarkt oberste Priorität hat: Laut Unternehmensbarometer des DIHK würden 87 Prozent der befragten Unternehmen für den Erhalt des EU-Binnenmarktes auch Einbußen im Handel mit Großbritannien in Kauf nehmen. Der EU-Binnenmarkt ist der Motor für Wohlstand und Beschäftigung in Deutschland und Europa. Ihn gilt es zu schützen und weiterzuentwickeln.
Die Verhandlungen mit dem Vereinigten Königreich dürfen deshalb nicht dazu führen, dass UK weiterhin alle Vorzüge der Mitgliedschaft in der EU genießt, dafür jedoch keinen Beitrag leistet und nicht mehr zahlen muss. Dies wäre ein schlechtes Signal an andere Mitgliedstaaten, die dem Beispiel UKs folgen könnten, was die Erosion der Europäischen Union zur Folge hätte. Gleichzeitig müssen die künftigen wirtschaftlichen Beziehungen der Europäischen Union mit dem Vereinigten Königreich so ausformuliert werden, dass die negativen Folgen für die Unternehmen in der EU-27 so gering wie möglich gehalten werden.
Fest steht, dass die Briten die Europäische Union am 30. März 2019 verlassen. Darauf folgt höchstwahrscheinlich eine Übergangszeit, während der das Vereinigte Königreich vorerst wirtschaftlich durch die Mitgliedschaft in Zollunion und Binnenmarkt mit der Europäischen Union verbunden bleibt. Diese Phase ist bis zum Ende des Jahres 2020 vorgesehen.
Das für die Wirtschaft schlechteste Szenario wäre ein sogenannter harter Brexit. Dazu käme es, wenn sich Brüssel und London auf kein Modell der künftigen Beziehungen einigen könnten. Dann würde das Vereinigte Königreich in Handelsfragen lediglich über die WTO mit der Europäischen Union verbunden sein. Dies hätte unter anderem die Erhebung von Zöllen sowie einen deutlich erhöhten bürokratischen Aufwand (Ausfüllen von Zolldokumenten, Erbringen von Ursprungsnachweisen) für die Unternehmen zur Folge.
Die Mitgliedschaft in einer Zollunion könnte die damit verbundenen Kosten verringern. Derzeit ist die Europäische Union mit der Türkei wirtschaftlich über eine Zollunion verbunden. Diese war ursprünglich als Vorstufe zu einer Vollmitgliedschaft in der EU gedacht, um den Warenverkehr zu erleichtern. Auch für das Vereinigte Königreich kann eine Zollunion mit der EU ein Modell der künftigen wirtschaftlichen Zusammenarbeit sein. Eine Zollunion bietet die Möglichkeit, die Erhebung von Zöllen zu vermeiden und die entstehende Zollbürokratie für Unternehmen im Rahmen zu halten. Deshalb hat das Modell Zollunion viele Fürsprecher in der britischen Wirtschaft, bislang allerdings keine Mehrheit in der Politik.
Frühzeitig mit Brexit auseinandersetzen
Sollte es zu keiner Zollunion kommen, kann nur ein Freihandelsabkommen gewährleisten, dass auch nach dem Brexit ein weitgehend reibungsloser Warenverkehr zwischen dem Vereinigten Königreich und den EU-Mitgliedstaaten möglich ist. Hierdurch könnten neue Handelshemmnisse vermieden werden. Ein solches Freihandelsabkommen sollte mittelstandsfreundlich ausgestaltet sein und unter Berücksichtigung der bei anderen Abkommen vorgebrachten Bedenken transparent verhandelt werden. Idealerweise sollte ein solches Abkommen am 1. Januar 2021 stehen, ansonsten droht ein (vorübergehendes) Chaos.
Deutsche Unternehmen, die in Geschäftsbeziehungen mit Großbritannien stehen, sollten sich auf jeden Fall frühzeitig mit den Auswirkungen des Brexit auseinandersetzen. Um eine erste Orientierung zu geben, hat der DIHK eine Brexit-Checkliste veröffentlicht. Anhand von 18 Themen dient die Checkliste den Unternehmen als Leitfaden, um sich auf den Brexit vorbereiten zu können.
So sollten die Unternehmen, die Waren zwischen Deutschland und Großbritannien im- oder exportieren, nicht nur auf mögliche Zölle sehen, sondern auch auf die Zollförmlichkeiten. Dazu gehört unter anderem das Schaffen von personellen, administrativen und technischen Ressourcen für das Erstellen und Verwalten von Zollanmeldungen. Außerdem ist es für Unternehmen empfehlenswert, sich mit der praktischen Erstellung von Zollanmeldungen vertraut zu machen oder sich einen Dienstleister zu suchen, der sie zollrechtlich vertritt. Auch Unternehmen, die bereits in andere Staaten außerhalb der EU liefern – beispielsweise in die Schweiz – und sich somit grundsätzlich mit der Zollabwicklung beschäftigen, sollten prüfen, ob ihre Kapazitäten für die zusätzlichen Warenverkehre ausreichen.
Abgesehen von der Brexit-Checkliste, die ständig aktualisiert wird, hat der DIHK bereits mit mehreren Umfragen mögliche Auswirkungen auf Investitionen und Standort-Entscheidungen beleuchtet. Ein Brexit-Newsletter informiert die Unternehmen zusätzlich. Auf zahlreichen Veranstaltungen in der IHK-Organisation haben die Unternehmen die Möglichkeit, sich zum aktuellen Stand und den möglichen Folgen des Brexit umfassend zu informieren.