Markus Harm, ZDF-Experte für Sportpolitik, berichtet seit Jahren über Doping und Korruption. Im Interview zeichnet er ein düsteres Bild vom Anti-Doping-Kampf speziell im Fußball. Dank neuer Substanzen und immer feinerer Dosierungen wird es immer schwieriger, Betrügern auf die Schliche zu kommen. Und WM-Gastgeber Russland hat hinter der Fassade viel zu verbergen.
Herr Harm, Russlands Nationalmannschaftsarzt Eduard Besuglow behauptet, die russischen Spieler seien die „saubersten der Welt", weil der Fußballverband des Landes rigorose Doping- und Medikamententests durchführe. Gibt es Ihrer Ansicht nach Doping in der russischen Fußballnationalmannschaft?
Es gibt einen Unterschied zwischen Selbstwahrnehmung und Fremdwahrnehmung. Ich denke, es wird nicht die sauberste WM sein. Ich würde sogar sagen, dass es die schmutzigste WM werden wird. Vor allem auch, weil die Fifa das Staatsdoping der Russen noch nicht aufgearbeitet hat. Die Fifa ist ihrer Pflicht nach transparenter Aufarbeitung noch immer nicht nachgekommen. Hinzu kommt: Einige Experten vermuten, dass die russische Mannschaft nach wie vor auf das gute alte Mittel Meldonium zurückgreift – wie jetzt auch in Pyeonchang geschehen.
Reichen die Kontrollen der Fifa aus?
Die Fifa ist bei ihren Turnieren zuständig für die Kontrollen. 2014 waren es recht wenige Tests bei der WM selbst; die Welt-Anti-Doping-Agentur Wada hat die Zahlen veröffentlicht. Rechnet man das hoch, wurde nicht mal jeder Spieler zweimal getestet. Da sind die Kontrollen der Verbände bei der Leichtathletik, im Radsport oder im Tennis wesentlich umfangreicher. Die Fifa hat zwar angekündigt, bei der WM in Russland mehr Tests machen zu wollen, aber es ist noch immer nicht ausreichend. Und vor allem nicht unabhängig und transparent, denn die Fifa vollzieht die Kontrollen ja selbst.
Wie groß ist die Chance, dass ein Fußballer beim Doping erwischt wird?
Fritz Sörgel, ein bekannter Dopingforscher, sagt: Man muss mit Dummheit geschlagen sein, wenn man sich bei einem großen Turnier erwischen lässt. Aber im Vorfeld wäre es möglich, würde es denn umfangreiche Vorfeldfeldkontrollen geben.
Wird man es jemals schaffen, dass im Spitzensport weniger gedopt wird?
Das glaube ich nicht. Die Kontrolleure sind immer die Jäger; und die Leute, die dopen, sind immer einen Schritt voraus. Und die Nachweise werden immer komplizierter; man kann geringere Dosen verwenden und diese dann häufiger einsetzen. Die Mittel sind teilweise weniger als 24 Stunden im Körper und deshalb schwer nachweisbar. Daher sage ich: Doping kann man grundsätzlich nie ausschließen.
Warum hat die Welt-Anti-Doping-Agentur Wada bei der Fußballweltmeisterschaft gar keinen Zugang?
Die Wada stimmt sich grundsätzlich mit der Fifa ab. Das Problem ist nicht das Turnier an sich, das Problem sind die Kontrollen vorher, wenn die Mannschaften in den Trainingslagern und noch gar nicht in Russland sind. Wer kontrolliert die Russen und wer die anderen Teams? Die Nada testet ständig in Deutschland, aber was ist mit den Südamerikanern oder den Afrikanern? Und: Selbst wenn die Mannschaften in Russland angekommen sind, übernimmt die Fifa erst eine Woche vor dem Turnier die Kontrollen. Die Fifa ist insofern fein raus, weil sie immer sagen kann: „Wir sind nur für das Turnier verantwortlich." Die Fifa sagt auch: „Die Russen wurden bei unseren Turnieren getestet und waren immer sauber." Tatsächlich aber hat das Staatsdoping vorher stattgefunden, und laut Richard McLaren (Wada-Ermittler, Anm. d. Red.) und Grigori Rodschenkow (Kronzeuge des russischen Dopingsystems, Anm. d. Red.) waren die russischen Fußballer bei der WM in Brasilien nicht sauber. Das ist nachgewiesen worden.
Wie schwierig ist die Arbeit als Dopingexperte?
Die Recherchearbeit ist sehr umfangreich, sowohl bei Doping als auch beim Thema Korruption. Ein großes Netzwerk ist wichtig, viele Kontakte, viel Austausch. Die Sportverbände sind oft nicht wirklich hilfreich und transparent, sie wollen ja auch nicht den Ast absägen, auf dem sie sitzen. Warum soll sich die Fifa mit detaillierter Dopingaufklärung beschäftigen, wenn sie damit vielleicht ihr eigenes Produkt kaputtmacht? Aber die Wada, die Nada und unabhängige Experten und Dopingforscher sind da schon sehr hinterher.
Haben bei den Olympischen Winterspielen in Südkorea Sportler teilgenommen, die im Vorfeld hätten gesperrt werden müssen?
Das komplette russische Team. Zwei russische Sportler wurden positiv getestet. Viele Dopingexperten, mit denen ich gesprochen habe, gehen davon aus, dass Meldonium weit verbreitet war bei den Olympischen Winterspielen in Pyeonchang. Das hat man ja bei dem russischen Curler festgestellt, der positiv getestet wurde. Auch die erwischte Bobfahrerin hat ein Mittel benutzt, das sehr bekannt war im russischen Staatsdopingsystem. Viele Experten gehen davon aus, dass diese Mittel immer noch benutzt werden – nur in geringeren Dosen als früher.
Die Fußballvereine versuchen, verletzte Spieler fit zu kriegen, und Spieler wollen unbedingt spielen. Welche Methoden werden dabei angewandt?
Oft Schmerzmittel. Das ist ein Riesenthema, wie umfangreich Schmerzmittel eingesetzt werden dürfen, welche eingesetzt werden dürfen und welche nicht. Niemand kontrolliert, wie viel Schmerzmittel Spieler nehmen und unter welchen Bedingungen sie spielen, wenn sie Schmerzmittel nehmen.
Wer klärt die Spieler darüber auf?
Die Verbände und Vereine haben Mediziner. Ich glaube aber nicht, dass die Spieler wirklich umfangreich aufgeklärt sind, was Dosen und Nebenwirkungen von Schmerzmitteln angeht.
Weil sie es nicht wollen?
Ich denke, die Spieler sind so fokussiert auf den Fußball und auf das nächste Spiel, dass sie auf ihre Einsätze brennen und sich deshalb vielleicht eher wenig Gedanken über Schmerzmittel machen.
Wie groß ist der Druck innerhalb einer Mannschaft?
Sie wollen ihre Einsätze haben vor einem Millionenpublikum. Bei einer WM sind es nur sieben Spiele bis zum Finale, da will jeder bei jeder Partie dabei sein. Die Ärzte sind gefordert, sie müssten viel mehr aufpassen und aufklären.
Funktioniert Fußball ohne Schmerzmittel?
Ich glaube, dass man in jedem Bereich Mittelchen und Medikamente nimmt.
Bei der Fußball-WM in Russland wird es manipulierte Spiele geben, behauptet der kanadische investigative Journalist Declan Hill. Es werden Mannschaften antreten, die für ihren Auftritt bezahlt werden. Glauben Sie, dass man ein Fußball-Weltmeisterschaftsspiel manipulieren kann?
Bei der Auslosung gab es vielleicht warme Kugeln und so auch Ansetzungen, die für den Gastgeber und auch für die Fifa von Vorteil sind. Russlands Gruppe ist schon sehr schwach. Auch bei Vorrundenspielen kann ich mir durchaus vorstellen, dass es Absprachen gibt.
Wie gut sind die Sicherheitsmaßnahmen der Fifa und Uefa?
Sowohl die Fifa als auch die Uefa haben Verträge mit Sicherheitsexperten und großen Anbietern, die die Wettmärkte beobachten. Seit dem Hoyzer-Skandal (Der Schiedsrichter Robert Hoyzer manipulierte unter anderem Bundesligaspiele, Anm. d. Red.) ist man da sehr hinterher.
Gibt es bei den Offiziellen und Verantwortlichen im Fußball eine Toleranz für Korruption, Spielmanipulation und Doping?
Das ist ein weites Feld. Was das Thema Korruption betrifft: Die Geschichte der Fifa ist gepflastert von Skandalen. Blatter, Platini, Warner, Leoz, Grondona, Webb – die Liste der Funktionäre, die in krumme Geschäfte verwickelt waren, ist lang. Auch bei der WM-Vergabe für 2026, die in Russland vor der Weltmeisterschaft stattfindet, soll es wieder Absprachen hinter verschlossenen Türen geben. Für Hinterzimmerdeals ist die Fifa nach wie vor sehr offen.
Bewirkt Ihre Arbeit etwas?
Ich glaube schon. Die Zuschauer und die Sportjournalisten sind heute aufgeklärter. Die Funktionäre fühlen sich mehr auf die Füße getreten und beobachtet. Ich bekomme sehr viel Rückmeldung von Mitarbeitern aus der Fifa und der Uefa oder von Vereinen und Sportlern. Die Leute, die tatsächlich für die Verbände arbeiten und ihre ganze Leidenschaft in den Fußball stecken, wollen, dass ihre Funktionäre nicht korrupt sind. Die Leute in der Administration finden das furchtbar, weil damit auch ihr Ruf ruiniert wird. Es gibt immer mehr Whistleblower. Dadurch steigt auch die Aufklärungsrate. Investigativer Journalismus lohnt sich.
Wie gehen die Verbände mit kritischen Journalisten um?
Ich bekomme selten Interviews. Seit zwei Jahren versuche ich, ein persönliches Interview mit dem Fifa-Präsidenten Gianni Infantino zu arrangieren. Keine Chance! Auch andere Funktionäre gehen mir aus dem Weg. Die Funktionäre arbeiten mit Juristen, ich arbeite mit Juristen. Oft ist die Arbeit eher juristisch als journalistisch.
Wie sind Sie zu Ihrem Job gekommen?
Fußball war immer meine große Leidenschaft. Mich hat aber mit der Zeit immer mehr das Drumherum interessiert. Ich habe ein Jahr in der Karibik gelebt. Der Geschäftsmann Jack Warner war einer der korruptesten Funktionäre im Weltfußball. Sozusagen der König der Bananenrepublik. Viele der Spieler, die 2006 für Trinidad und Tobago gespielt haben, sind Freunde von mir und haben mir viele Geschichten erzählt. So konnte ich einen großen Einblick bekommen. Das hat mich dazu gebracht, zu recherchieren und über solche Dinge zu berichten.
Welche Entwicklungen befürchten Sie in Zukunft?
Ich glaube, dass sich die Politik und die Sponsoren mehr und mehr einmischen müssen und auch werden. Sponsoren haben Angst vor dem schlechten Ruf der Sportorganisationen und der Turniere. Die Fifa hat momentan große Probleme, internationale Sponsoren zu gewinnen. Das ist der beste Beleg dafür, dass Sponsoren sich weiter zurückziehen, wenn der Ruf des Weltfußballs nicht wirklich sauber ist. Ich glaube auch, dass sich die Europäische Union, der Europarat und die deutsche Politik noch mehr einmischen werden.
Interpol hat mit der Fifa und dem Internationalen Olympischen Komitee Abkommen über viele Millionen Euro geschlossen. Welche Folgen hat dieser Deal?
Den Vertrag mit Interpol hat Sepp Blatter noch abgeschlossen, das läuft jetzt schon anders. Staatsanwaltschaften weltweit ermitteln und tauschen sich untereinander aus. Das funktioniert sehr gut, auch in der Zusammenarbeit mit Interpol.
Hätte Russland überhaupt die Fußballweltmeisterschaft bekommen dürfen?
Die WM an Russland wurde zusammen mit der WM nach Katar vergeben. Mehr als die Hälfte der Fifa-Mitglieder, die damals abgestimmt haben, sind mittlerweile im Gefängnis oder wegen Korruption angeklagt. Die WM hätte weder an Katar noch an Russland vergeben werden dürfen.
Wie wichtig ist diese WM für Putin?
Sie ist der Abschluss der Dekade des russischen Sports. Die Olympischen Spiele von Sotschi und jetzt die Fußball-WM in Russland sind Prestigeprojekte für Putin. Sie sind jeweils die teuersten überhaupt. Es waren die kostspieligsten Winterspiele in der Geschichte, und jetzt wird es die teuerste Fußball-WM überhaupt werden. Putin nutzt diese großen Events, um sein Land in dem Licht darzustellen, in dem er es gern sehen möchte. Diese Aufmerksamkeit hilft ihm dabei, von anderen Themen abzulenken wie Verhaftungen von Oppositionellen oder Demonstrationsverboten. Das ist jetzt schon alles in die Wege geleitet. Putin dürfte nach der Krim-Annexion, der russischen Beteiligung an Cyber-Attacken und den kriegerischen Handlungen in Syrien nicht so ein großes Sportspektakel ausrichten dürfen. Das ist meine Meinung.
Woran sieht man, dass die WM in Russland die teuerste der bisherigen Geschichte ist?
Das schlägt sich in der Korruptionsrate nieder. Das Stadion in St. Petersburg ist dafür das beste Beispiel. Es ist das teuerste der Welt und hat fast eine Milliarde Euro gekostet. Sehr viel von dem Geld floss in die privaten Taschen reicher Oligarchen, die Putin sehr nahe stehen. Vielleicht sogar in Putins eigene Taschen? Das wäre durchaus möglich. Jedenfalls ist massiv Geld missbraucht worden, wie auch schon in Sotschi.
Warum gibt es so viel Korruption in Russland?
Auch das ist ein weites Feld. Ein zentraler Baustein sind die Oligarchen, sie bestimmen über vieles im Land. Putin nutzt die Oligarchen, um seine Macht zu manifestieren. Dabei helfen exklusive Stadionverträge, Flughafenverträge oder Bauverträge. Die Rotenbergs sind ein gutes Beispiel. Diese Oligarchen aus St. Petersburg sind sehr enge Freunde von Putin. Sie haben viele Aufträge für Sotschi und auch für die WM bekommen.
Wurden die 10,5 Milliarden Euro für die WM an anderer Stelle eingespart?
Das glaube ich nicht. In Russland sind die drei teuersten Stadien der Welt entstanden. Aber innen gibt es Baumängel en masse; wir haben das im ZDF während des Confed Cups gezeigt. Also nichts Modernes. Sehr viel Geld ist versickert beziehungsweise wie gesagt in private Taschen gewandert.
Wie gehen die russischen Bürger damit um?
Boris Nemzow zum Beispiel ist erschossen worden. Andere Kritiker sitzen im Gefängnis. Beim Confed Cup in St. Petersburg hat man gespürt, dass viele Leute unzufrieden sind mit der Situation. St. Petersburg ist im Gegensatz zu Moskau eher kritischer, wütender gar und steht dem Kreml nicht so positiv gegenüber. Deswegen gibt es auch während der Weltmeisterschaft wieder Demonstrationsverbote und eingeschränkte Pressefreiheit.
Wird sich ein schlechtes Abschneiden der russischen Nationalmannschaft auf Putins Politik auswirken?
Nein, sie wird sich aber auf den Trainer auswirken. Er wird vielleicht schon nach der Vorrunde entlassen, denn die Russen werden sie nicht überstehen. Dann wird sich das Land in einer großen Trauer befinden. Putin wird mit Sicherheit ebenfalls unzufrieden sein. Die Russen haben im Eröffnungsspiel mit Saudi-Arabien einen sehr leichten Gegner. Das zweite Spiel gegen Ägypten werden sie wohl verlieren. Und dann haben sie quasi ein Endspiel gegen Uruguay, das sie wohl auch nicht gewinnen werden. Man fragt sich, warum sie nicht gleich einen starken Gegner bekommen haben und warum die Gruppenkonstellation so günstig für sie ist. Wäre die Ansetzung anders gewesen, könnten sie nach zwei Spielen schon raus sein. Damit würde die Trauer aber noch größer sein. So kann man das Volk zumindest noch über die gesamte Vorrunde besänftigen.
Droht Homo- oder Heterosexuellen auf russischem Boden Gefahr?
In den Stadien denke ich nicht, die werden knallhart kontrolliert und absolut sicher sein. Wie es in den Städten ist, weiß ich nicht. Ich glaube, sicherheitsmäßig werden die Russen die WM extrem im Griff haben. Es lief beim Confed Cup sehr gut, dort gab es eine hohe Präsenz von Polizei und Armee. Dass jeder Fan mit einer eigenen ID ausgestattet wird, ist eine sehr gute Idee.
Russische Hooligans haben einen schlimmen Ruf...
Was außerhalb der Ticketbereiche passiert, wird schwierig werden zu kontrollieren. Zwischen russischen, englischen und französischen Hooligans kann es außerhalb des Stadions durchaus zu Auseinandersetzungen kommen.