Das aktuelle Album „MTV Unplugged: Live At The Roundhouse London" von Biffy Clyro enthält neben radikal umarrangierten Bandfavoriten und Raritäten auch die Neufassung eines Pop-Klassikers. Die selbsternannten Retter der Rockmusik über Drogen, Rock’n’Roll ohne Strom und Stille.
Muss man sich für MTV Unplugged bewerben oder wird man gefragt?
Ben Johnston: Wir wurden gefragt und sagten sofort zu. Wir sind große Fans des Formats MTV Unplugged und mit den Konzerten von Nirvana und Pearl Jam aufgewachsen.
Simon Neil: Für mich war es eine Ehre, dass man uns solch ein Konzert zugetraut hat. Wir haben aber einen Fehler gemacht, indem wir uns vorab die ganzen klassischen MTV-Auftritte anschauten von George Michael bis Neil Young. Sogar Jay-Z hat ja einen gemacht. Aber nach ein paar Wochen hatten wir uns wieder eingekriegt und beschlossen, unser ganz eigenes Ding zu machen. Und zwar im Roundhouse in einer floralen Kulisse, wo Jimi Hendrix und The Who schon gespielt haben. Einer der schönsten Clubs in London.
Welches historische MTV-Unplugged-Konzert hat Sie am meisten beeindruckt?
James Johnston: Nirvana haben wir uns sehr gern angeschaut. Ihre Klamottenwahl haben wir zwar nicht verstanden, aber ihre Performance war viel rauer als ich dachte. Sie haben sogar technische Fehler gemacht, aber die gehören bei ihnen einfach dazu. Ich fand es spannend, sich das noch einmal anzugucken. Im krassen Gegensatz dazu der Gig von George Michael mit einem Orchester.
Sie haben sich den Beach-Boys-Klassiker „God Only Knows" einverleibt. Was fasziniert Sie an dem Song?
Neil: Ich sehe mich als Schüler von Brian Wilson. Wir wollten ein Cover auf unserem Album haben, das unsere künstlerischen Ideale repräsentiert. Ich will in zehn Jahren nicht das Gefühl haben, dass der Song nicht mehr zu uns passt. „God Only Knows" zu performen ist echt hart. Danach hatte ich das Gefühl, nie wieder Gitarre spielen zu können. Ich habe sogar ein paar neue Akkorde gelernt nach all den Jahren. Ich glaube, unser nächstes Album wird eine reine Jazz-Platte!
Ist MTV Unplugged das ideale Format für Biffy Clyro?
Neil: Wir sind auf jeden Fall stolz, es gemacht zu haben. Man kann mit ruhigen Klängen eine große Intensität erzeugen. Sie ist bedeutender als Heavyness. Aber eigentlich können wir es nicht erwarten, wieder draufloszurocken. Lautstärke ist für unsere Musik sehr wichtig, aber einmal zu zeigen, dass diese aggressiven Songs ein zartes Herz haben, war auch eine schöne Erfahrung. Im September werden wir erstmals mit einem akustischen Programm in ausgewählten Theatern auftreten, bevor wir dann mit der Arbeit am nächsten Studioalbum beginnen. 2018 ist unser Lückenjahr! (lacht) Es sollen auf keinen Fall herkömmliche Biffy-Shows werden. Wenn ich spiele, hoffe ich immer, mit meiner Gitarre zu verschmelzen. Und wenn ich auf meinem Instrument komponiere, soll es sich idealerweise so anfühlen, als spielte ich das erste Mal.
Was tun Sie, um nach einer Tour runterzukommen?
James Johnston: Nach Stille suchen und so wenig tun wie möglich. Denn unser Job ist echt laut. Leider passiert das viel zu selten.
Neil: Ich wohne zwischen einer Anwaltskanzlei und einem Spa. Wenn ich nach Hause komme, mache ist erst mal die Schotten dicht. Denn etwas, was dir unglaublich viel Spaß macht, kann dich auch umbringen. Wir sind jetzt seit so vielen Jahren konstant unterwegs, und wenn wir es vermeiden wollen, dass wir eines Tages Konzerte absagen müssen, müssen wir uns auch Auszeiten nehmen.
Warum ist das Herz Ihrer Rocksongs ein zartes?
Neil: Ich habe ursprünglich angefangen, Songs zu schreiben, weil ich mich ausdrücken wollte. Ich rede nicht gern über meine Gefühle, ich verpacke sie lieber in Musik. Wer uns mit nacktem Oberkörper auf der Bühne sieht, denkt unweigerlich an eine Rockband. Aber wir mögen keine Schubladen. Unsere Musik kennt nicht nur eine einzige Stimmung. Ich glaube, unsere Zartheit ist der eigentliche Grund, weshalb uns Leute die Treue halten. Man kann den Sound einer Platte mögen, aber erst dann, wenn Musik es schafft, einen an gute und schlechte Zeiten zu erinnern, wird man sie wirklich lieben.
Wollen Sie ein bestimmtes Gefühl aus Ihrer Kindheit wieder aufleben lassen?
Neil: Es geht immer darum, die Naivität der Jugend heraufzubeschwören. Wir haben uns geschworen, nie zu vergessen, warum wir der Musik verfallen sind. Aber das Gefühl ändert sich eigentlich mit jeder Platte. Deine erste Scheibe reflektiert in der Regel die Jugend und die Einflüsse. Und dann fängt man an, seinen eigenen Sound zu finden. Und wenn man ihn schließlich gefunden hat, versucht man, ihn zu verändern. Diesen seltsamen Kampf fechtet man ein Leben lang aus. Heute verfolgen wir mit unserer Musik verschiedene Ziele und suchen mit jeder Platte nach neuen Herausforderungen. Nach sieben Studioalben war die Zeit einfach reif für eine Unplugged-Scheibe.
Wollten Sie die Dynamik einer Rockshow auf ein Unplugged-Konzert übertragen?
Ben Johnston: Das ist ziemlich schwer. „Bubbles" kommt einem Rocksong vielleicht noch am nächsten, aber wir haben nicht lauter gespielt als andere MTV-Unplugged-Bands vor uns. Pearl Jam war es gelungen, eine Rockshow mit akustischen Gitarren zu spielen. So weit wollten wir aber nicht gehen.
Und wie finden Sie den akustischen Neil Young?
Neil: Ich wusste nicht viel über Neil Young, bis ich mir seinen MTV-Unplugged-Gig angeschaut habe, wo er Harmonium spielt. Pearl Jam hatten ihn ein paar Mal erwähnt. Ich war sehr überrascht von dieser fragilen Stimme, die hatte ich hinter dem Rauschebart und den struwweligen Haaren nicht vermutet. „The Needle And The Damage Done" haute mich schier um und ich hörte mir die Nummer immer wieder an. Wahrscheinlich bin ich der einzige Mensch auf der Welt, der durch MTV Unplugged auf Neil Young gestoßen ist. (lacht)
Ein anderer legendärer Akustikkünstler ist Ihr Landsmann Donovan. Er singt seit 50 Jahren im Schneidersitz seine Flower-Power-Songs zur Klampfe.
Neil: Ich meditiere regelmäßig. Donovan hat mich schon dreimal eingeladen, eines seiner TM-Seminare zu besuchen. Seine E-Mails waren urkomisch! Eine Ansammlung von Wörtern. „Tuesday, Wednesday, Friday. All the best". Das ist meine etwas seltsame Verbindung mit Donovan. (lacht) Ich glaube, er hat früher eine Menge Pot geraucht.
Was ist Ihre Kreativdroge?
Neil: Pot! Früher habe ich beim Schreiben viel Gras geraucht, heute tue ich es lieber nach der Arbeit. Drogen öffnen auf jeden Fall bestimmte Teile des Gehirns. Das Problem ist, dass man sich nicht darauf verlassen sollte. Es kann nämlich passieren, dass man irgendwann anfängt, seinen eigenen Schwanz zu jagen. Marihuana macht dich in Wirklichkeit gar nicht kreativ, sondern nur relaxt. Nicht die Drogen können Dinge geschehen lassen, sondern dein Geist. Deshalb meditieren manche Leute und andere klettern auf Berge. Ich sage immer: Alles ist gut für dich, solange du damit niemandem wehtust. Ja, ich liebe Marihuana!
Ist Musik eine höhere Kunst als Literatur oder Malerei?
Ben Johnston: Musik hat einen größeren Effekt auf Menschen. Sie kann dich an ungeahnte Orte transferieren. Ich persönlich glaube, Musik ist emotionaler als Malerei.
Einst war Rock’n’Roll mehr als Musik, nämlich eine Lebenseinstellung und eine revolutionäre Kraft. Glauben Sie noch an die Bedeutung des Rock’n’Roll?
Neil: Im Moment ist Hip-Hop zweifellos der Soundtrack der Jugend mit der Botschaft: Fuck the system! Aber Rockmusik wird immer einen Platz als Kunstform haben. Es wird immer Kids geben, die sich eine Gitarre schnappen und Krach machen. Das ist der beste Weg, eine Botschaft loszuwerden. Das Gute an Rockfans ist, dass sie sich noch Alben anhören und nicht immer nur dieselben Songs. Wir dürfen nicht vergessen, dass Rockmusiker mal als Gefahr eingestuft wurden, bevor sie sich etablierten. Aber wir Rock’n’Roller sind doch eigentlich Anti-Establishment. Wir müssen gegen etwas ankämpfen. Rock‘n‘Roll hat in letzter Zeit an Wut und Feuer eingebüßt, deshalb müssen wir wieder mehr Leute vor den Kopf stoßen – und zwar aus den richtigen Gründen.