Allein ein Blick auf die Verkaufszahlen zeigt: Der Fahrradboom sorgt für Umsatz. Davon könnten nicht nur die Händler profitieren. Wirtschaftsministerin Anke Rehlinger (SPD) über Potenziale und Perspektiven einer (noch) unterschätzten Branche.
Frau Rehlinger, seit Jahren erfreut sich das Fahrrad zunehmender Beliebtheit. Zumeist wird die Entwicklung unter touristischen, ökologischen oder verkehrstechnischen Aspekten betrachtet. Wird der Wirtschaftsfaktor Fahrrad unterschätzt?
Ich denke schon. Aus Trends entstehen auch Umsätze. Dass zum Beispiel im letzten Jahr in Deutschland 720.000 E-Bikes verkauft wurden, wurde auch von Branchenkennern vor einigen Jahren so noch nicht gesehen. Neue Zielgruppen wenden sich heute dem Radfahren zu, und sie brauchen auch Materialien und Service.
Wir haben im vergangenen Jahr für den touristischen Radverkehr eine Radverkehrsanalyse für das Saarland durchführen lassen, woraus hervorgeht, dass der Bruttoumsatz durch Radtouristen etwa 13 Millionen Euro jährlich beträgt. Die durchschnittlichen Ausgaben der Tagestouristen betragen 16 Euro pro Tag und die der übernachtenden Radreisenden sogar 76,50 Euro. Die abgeschätzte Wertschöpfung liegt bei 6,6 Millionen Euro pro Jahr. Ein Wirtschaftsfaktor ist das Fahrrad aber auch, weil bestimmte Summen nicht ausgegeben werden müssen, wenn der Alltagsradverkehr weiter gestärkt und insbesondere auch mit dem ÖPNV verflochten werden kann. Öffentliches Geld, das beispielsweise für Parkhäuser ausgegeben würde, kann in andere Bereiche fließen.
Alltagsradverkehr ist hauptsächlich kommunale Aufgabe. Welche Möglichkeiten hat das Land, die oft klammen Kommunen zu unterstützen?
Radwegeprojekte im Bereich von Kommunen sind förderfähig über GVFG-Mittel, Bundesmittel, die das Land vergibt. Hierzu zählt der Bau von Radwegen in Städten und Gemeinden, aber auch das Anlegen von Radfahr- und Schutzstreifen. Des Weiteren unterstützt das Ministerium die Kommunen durch Beratung bei Anträgen für Fördermittel des Bundes. Dies geschieht durch unsere Förderlotsin, die wir bei der Arge Solar installiert haben.
Seit 2016 laden wir die Kommunen dazu ein, sich an „Stadtradeln Saar" zu beteiligen. Wir übernehmen die Teilnahmegebühren, unterstützen bei der Organisation, stellen Give-Aways und Werbematerial zur Verfügung.
Darüber hinaus hat das Ministerium ein eigenes Förderprogramm aufgelegt. Damit werden unter anderem Fahrradabstellanlagen, Ladeinfrastruktur und die Anschaffung von Pedelecs unterstützt. Ziel ist es, die Kommunen Schritt für Schritt zu motivieren, mehr eigene Investitionen in die Infrastruktur vorzusehen.
Bei der Pflege der kommunalen Radinfrastruktur hilft unser beim Landesbetrieb für Straßenbau angesiedelter Radwegetrupp. Er kümmert sich um Gefahrenstellen, indem er schnell und unbürokratisch Schäden beseitigt. Sind umfangreichere Arbeiten notwendig, meldet der Radwegetrupp diese an die Kommune. Außerdem sorgt er für korrekte Schilder.
Was spricht angesichts der Pendlerbewegungen im Großraum Saarbrücken gegen ein zwischen Kommunen, Land und ÖPNV abgestimmtes Fahrradkonzept für den Alltagsverkehr?
Der Radverkehrsplan Saarland ist ja ein solches Konzept. Er ist schon weitgehend umgesetzt. Und was die Abstimmung zwischen den Partnern angeht, leistet die AG Alltagsradverkehr gute Dienste. Ich habe sie 2014 eingeführt, um die Kommunikation zu verbessern. Das Gremium arbeitet erfolgreich. Mitglieder sind neben Vertreterinnen und Vertretern des Ministeriums und des Landesbetriebs für Straßenbau auch Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen von Kommunalverwaltungen sowie Mitglieder des Allgemeinen Deutschen Fahrradclubs ADFC und des Verkehrsclubs Deutschland VCD.
Die touristischen Routen werden in aller Regel gelobt, bei der umgebenden Infrastruktur (Gastronomie, technischer Service etc.) ist einiges passiert, aber es gibt noch viel Luft nach oben. Sind die Chancen noch nicht ausreichend erkannt, oder gibt es das Potenzial nicht her?
65 Bett-und-Bike-Betriebe haben das Potenzial erkannt und nutzen es. Es wäre gut, wenn weitere dazukommen, dafür werbe ich auch. Dass wir mittlerweile im Saarland eine wachsende Zahl von E-Bike-Verleihstationen haben, gehört ebenfalls dazu. Außerdem gibt Angebote speziell an Mountainbiker und Rennradfahrer. Das entwickelt sich schon, aber die touristischen Akteure wissen auch, dass wir noch zulegen müssen, was Versorgungsstationen und Unterkünfte an den Routen angeht. Dazu gibt es nicht ohne Grund ein extra Kapitel in der landesweiten Tourismuskonzeption.
Ich habe den Projektkreis „Radtourismus", der von der Tourismus Zentrale Saarland koordiniert wird, darum gebeten, nach weiteren Möglichkeiten zu suchen, das gastronomische Angebot an den touristischen Radwegen zu optimieren. Beispielsweise sind da Ausgabeautomaten, aber auch bessere Hinweise auf Betriebe in der Nähe in der Diskussion.
Das Saarland ist ein Autoland, in der Wirtschaftsstruktur und damit auch der Mentalität. Hat das Fahrrad da eine ernsthafte Chance?
Gewohnheiten lassen sich ändern, wenn auch oft nur in gemächlichem Tempo. Ich freue mich sehr darüber, dass unsere Kampagne „Stadtradeln Saar" so großen Zulauf hat. 2.000 Teilnehmerinnen und Teilnehmer haben wir dieses Jahr. Das ist großartig und zeigt, dass das Bewusstsein für die Vorteile des Fahrrads im Alltag spürbar wächst. Die Chance ist da, und immer mehr nutzen sie.