Sex ohne ausdrückliche Zustimmung des Partners gilt als Vergewaltigung – da ist das neue schwedische Sexualstrafrecht strikt. Zum 1. Juli tritt es in Kraft. Schützt es besser vor Gewalt? Und wie drückt man seine Zustimmung zum Sex nonverbal aus? Fragen bleiben.
„Schatz, kannst du bitte hier unterschreiben", flötet der Ehemann seiner Frau ins Ohr. „Und vielleicht hier noch ein Kreuz bei Oralverkehr?", schiebt er mit verführerischem Lächeln hinterher und deutet auf die entsprechende Stelle im Vertrag. Die beiden sind seit 20 Jahren verheiratet, doch Sex ohne schriftliche Zustimmung gibt es für sie nicht mehr. So oder ähnlich sieht die Zukunft in schwedischen Schlafzimmern aus, wenn man den Kritikern des neuen „Zustimmungsgesetzes" glauben darf. „Schweden ist jetzt das unromantischste Land der Welt, gleich hinter Saudi-Arabien und dem Iran", ereifert sich beispielsweise ein Autor auf welt.de. Apps, mit denen man sich die Zustimmung zum Sexualakt bestätigen lassen kann, kursieren schon seit einiger Zeit im Internet. Hauptnutzer waren bisher verunsicherte amerikanische High-School-Studenten, jetzt könnten sie auch für gestandene schwedische Ehepaare interessant werden.
Der rechtliche Hintergrund für den Aufschrei in den Medien ist verhältnismäßig einfach: Ohne die ausdrückliche Zustimmung beider Partner wird jede Art von Sex in Schweden ab Juli als Vergewaltigung beziehungsweise „unachtsame Vergewaltigung" definiert. „Unachtsame Vergewaltigung": Dieser neue Straftatbestand liegt vor, wenn man versäumt, die Zustimmung zum Sexualakt einzuholen. Frau muss nicht mehr „Nein" zum gemeinsamen Sex sagen, ihren Unwillen deutlich zeigen oder sich wehren.
„Unachtsame Vergewaltigung"
„Du musst dich bei der Person, mit der du Sex haben willst, erkundigen, ob sie Sex haben will. Wenn du dir unsicher bist, musst du es lassen", so Ministerpräsident Stefan Löfven. Eine Vergewaltigung kann also auch dann vorliegen, wenn es zu keiner Gewalt oder Gewaltandrohung beim oder vor dem Sex kommt. Hintergrund für die Gesetzesänderung war ein Prozess im Jahr 2014. Damals war ein Mann vom Vorwurf der Vergewaltigung freigesprochen worden, der mit einer Frau geschlafen hatte, obwohl die deutlich hörbar den Geschlechtsverkehr abgelehnt hatte. Der Angeklagte hatte aber das „Nein" für einen Teil des sexuellen Spiels gehalten.
Schweden hatte schon bisher ein wesentlich strengeres Sexualstrafgesetz als Deutschland. Die Definition von sexueller Belästigung und Vergewaltigung ist wesentlich weiter gefasst als hierzulande. Wikileaks-Gründer Julian Assange wurde beispielsweis lange per Haftbefehl wegen des Vorwurfs der Vergewaltigung gesucht, weil er bei einem ansonsten einvernehmlichen Geschlechtsverkehr kein Kondom benutzt hatte. Beim ersten Geschlechtsakt hatte er auf Wunsch der Frau sogar eines übergezogen, als die beiden dann im Laufe der Nacht nochmals loslegten, kam es zu ungeschütztem Verkehr. Da die Frau dabei im Halbschlaf vor sich hindämmerte, hatte sie nicht mehr auf die erneute Kondombenutzung bestehen können.
Honoratioren-Humor und Männerscherze fallen bei uns schlimmstenfalls in die Kategorie „Geschmacklos". In Schweden wären Äußerungen, wie von FDP-Politiker Rainer Brüderle ein Fall für den Staatsanwalt. Der war 2013 in die Schlagzeilen geraten, weil er einer jungen Journalistin beim Blick auf ihre Brüste bescheinigte, dass die auch ein Dirndl ausfüllen könnten und sie bat, doch seine Tanzkarte anzunehmen.
Das schwedische Gesetz hat sogar das deutsche Auswärtige Amt auf den Plan gerufen, das noch bis 2016 in seinen Reisehinweisen ausdrücklich warnte: „Sexualdelikte, Kränkungen und häusliche Gewalt werden strenger geahndet als in Deutschland. Schweden weist eine hohe Rate angezeigter Vergewaltigungen und Gerichtsurteile mit zum Teil hohen Strafen auf. Liberale und freizügige Körpersprache sowie deren unterschiedliche Deutung können leicht zu Missverständnissen führen."
75 Prozent aller Schweden stehen hinter dem neuen Gesetz, das von allen Beteiligten die ausdrückliche Zustimmung zum Sex verlangt. Die wenigsten glauben jedoch, dass sich dadurch rechtlich etwas ändert. Die meisten sehen es eher als ein Symbol, das mithelfen soll, die veränderten Geschlechterrollen dauerhaft festzuschreiben. „Alle Mädchen und Frauen, die sexueller Belästigung oder Gewalt ausgesetzt sind, sollen wissen, dass wir kompromisslos gegenüber Sexualverbrechen sind. Die Gesellschaft steht auf eurer Seite", so Regierungschef Löfven.
Der Schwedische Anwaltsverband gehört zu den wenigen Kritikern des Gesetzes, unter anderem hält er das Gesetz für blanken Populismus. Ganz von der Hand zu weisen ist der Vorwurf sicher nicht. Gerade auch, weil die ohnehin gebeutelte rot-grüne Minderheitsregierung im Herbst Neuwahlen zu bestehen hat. Da gilt es die eigenen Reihen zu schließen. Obwohl das Amt des Ministerpräsidenten in Männerhand liegt, bezeichnet sich die Regierung ausdrücklich als feministisch und bedient mit dem Gesetz ihre Stammklientel, die durch die in Schweden intensiv geführte „metoo"-Debatte für das Geschlechterthema extrem sensibilisiert ist.
Die Anwälte sehen die Sache dagegen eher nüchtern und können in dem neuen Gesetz keine Stärkung von Vergewaltigungsopfern erkennen. Das Problem bleibt nach der Reform dasselbe wie vorher – in der Regel sind an einem Sexualakt, einvernehmlich oder nicht, nur zwei Menschen beteiligt. Im Streitfall steht also Aussage gegen Aussage.
Anne Ramberg, die Vorsitzende des Schwedischen Anwaltsverbandes, sieht sogar die Gefahr, dass das neue Gesetz zu einer Umkehrung der Beweispflicht führen könne. Der Gesetzestext gibt das zwar nicht her. Aber die stellenvertretende Ministerpräsidentin Isabella Lövin von den Grünen lobte das Gesetz, als sie es vorstellte: „Das ist ein historisches Gesetz, das die Beweispflicht verändern kann. Nicht das Opfer muss nachweisen, dass es „Nein" gesagt hat, sondern der, der es getan hat, muss nachweisen, dass sie „Ja" gesagt hat". Als die Juristen gegen die Äußerung der Ministerin Sturm liefen, ruderte sie zurück und sagt, sie hätte sich unglücklich ausgedrückt. Die Bedenken aber bleiben.
Aussage gegen Aussage
Außerdem, und das wiederum sieht der Gesetztext ausdrücklich vor, darf die Unlust auch quasi verspätet, also mitten im Akt kommen. Der bisher verschmähten Frage „Schatz, wie bin ich?" könnte also eine rechtliche Bedeutung bekommen. Dazu Anwältin Anne Ramberg: „Das Gesetz verlangt ja, dass bei jeder neuen sexuellen Handlung immer wieder erneut um Erlaubnis gebeten werden muss. Erwachsene Menschen wissen doch, dass man nicht vor jedem Akt verhandelt und ein Abkommen auf diese Weise setzt."
Trotzdem: In der Gerichtspraxis wird das neue Gesetz kaum Veränderungen bringen. Dass dadurch mehr Vergewaltiger überführt werden können, wird nicht erwartet. Bisher kommt es in weniger als 20 Prozent der angezeigten Vergewaltigungen zu einer Anklage, nur etwas mehr als zehn Prozent der Fälle enden mit einem Schuldspruch, so die Rechtsprofessorin Ulrika Andersson (Lund). Das mag nach wenig klingen, und man mag es bedauern. Dass ein strengeres Gesetz auch die Möglichkeiten zum Missbrauch erweitert, steht auf einem anderen Blatt. Man denke an Fälle wie den des Wettermanns Jörg Kachelmann, wo persönliche Gekränktheit durch einen ungerechtfertigten Vergewaltigungsvorwurf gerächt wurde.
Immerhin: Schwedische Ehepaare brauchen auch künftig keine Formulare neben dem Bett. Das Einverständnis zum Verkehr darf laut Gesetz auch nonverbal erfolgen, durch offensichtliches Zeigen von Begehren beispielsweise. Vielleicht kommt so mehr Freude an der Lust in die schwedischen Schlafzimmer.