Flüchtlingspolitik: Die CSU fühlt sich durch Österreich und Italien ermutigt
In diesen Tagen geistert ein Zauberwort durch die CDU: das Zauberwort von der „europäischen Lösung". Es betrifft den Umgang mit Flüchtlingen, der solidarisch und auf gesetzlicher Grundlage erfolgen soll. Die von Innenminister und CSU-Chef Horst Seehofer angekündigte Zurückweisung von Migranten – die bereits in einem anderen EU-Land registriert wurden – an der deutschen Grenze würde dem „europäischen Einigungswerk" den Todesstoß versetzen, so das apokalyptische Szenario der Christdemokraten. Der Kontinent würde dann zum Spielfeld für Rechtspopulismus und Nationalismus oder vielleicht noch Schlimmerem.
Dieses finstere Gemälde machte vor allem mit Blick auf den EU-Gipfel am Donnerstag und Freitag dieser Woche die Runde. Bundeskanzlerin Angela Merkel hatte sich von dem Spitzentreffen zumindest die Perspektive auf eine Vereinbarung mit anderen Ländern über die Rücknahme von Flüchtlingen erhofft. Die Warnungen aus ihrer Partei vor einer Solonummer Seehofers sind in erster Linie taktisch motiviert, um die Christsozialen unter Druck zu setzen.
Die moralinsauren Appelle, die Einheit der EU zu wahren, klingen jedoch scheinheilig. In Wahrheit ist die Gemeinschaft in zentralen Punkten seit einiger Zeit tief gespalten und handlungsunfähig. Sie will das aber nicht zugeben und hangelt sich stattdessen von einer Flickschusterei zur nächsten.
Als die Kanzlerin auf dem Höhepunkt des Migranten-Ansturms im September 2015 die Grenzen geöffnet hatte, schalteten zunächst nur die Osteuropäer auf radikale Abschottung. Für ihre hartnäckige Weigerung, Flüchtlinge aufzunehmen, wurden sie im Westen scharf kritisiert. Doch die Solidarität hielt sich auch andernorts in Grenzen. Die von der EU damals beschlossene Verteilung von 160.000 Migranten aus Italien und Griechenland erwies sich als Fiasko: Fast alle feierten zwar Merkels Willkommenspolitik als „große humanitäre Geste", doch in der Praxis duckten sich viele weg.
Mittlerweile ist der Osteuropa-Reflex auch in anderen Ländern zu beobachten. Österreichs Kanzler Sebastian Kurz, der mit der nationalkonservativen FPÖ koaliert, hat zuerst an der Schließung der Balkanroute mitgewirkt. Nun will er verhindern, dass Flüchtlinge über das Mittelmeer in die EU gelangen. Zu diesem Zweck schlägt er Auffanglager außerhalb der Gemeinschaft – etwa in Nordafrika oder Albanien – vor. In diesen Zentren soll der Asylanspruch geprüft und im Falle einer Ablehnung sofort abgeschoben werden.
Selbst in Italien, einem Gründungsmitglied der EU, macht sich eine Basta-Stimmung breit. Innenminister Matteo Salvini von der rechtspopulistischen Lega ist der Antreiber. Flüchtlingsboote von privaten Hilfsorganisationen dürfen in italienischen Häfen nicht mehr anlegen. Die Regierung in Rom, die sich von Brüssel alleingelassen fühlt, lehnt die Rücknahme von Migranten aus anderen Ländern ab.
Mit ihrer Schotten-dicht-Politik konnten Kurz und Salvini bei den letzten Parlamentswahlen erhebliche Stimmengewinne erzielen. Dies hat die CSU offenbar zu ihrem kompromisslosen Kurs gegenüber Merkel ermutigt. Sie hofft, damit bei der bayerischen Landtagswahl im Oktober den Verlust der absoluten Mehrheit verhindern zu können.
Die konservative Welle ist jedoch nicht nur mit Blick auf die Migranten sichtbar. Osteuropa, Österreich und Italien sind äußerst misstrauisch, wenn es um die Übertragung von mehr Kompetenzen an Brüssel geht. Sie betrachten den Vorstoß des französischen Präsidenten Emmanuel Macron, den Integrationsprozess der Eurozone zu forcieren, mit Skepsis. Auch die „Allianz der Acht" – ein loses Bündnis zwischen den Niederlanden, Irland, den baltischen und skandinavischen Ländern – will möglichst viele Rechte der Nationalstaaten beibehalten. Die CSU sieht sich hier in guter Gesellschaft. Hände weg von einer Transferunion, bei der der reiche Norden den armen Süden Europas über Wasser halten muss, lautet der Schlachtruf aus München.
Es sind nicht die Christsozialen, die die EU an den Abgrund bringen. Die Gemeinschaft blockiert sich vielmehr selbst. In der Diskussion über Europa ist mehr Ehrlichkeit nötig. Der Staatenverbund sollte über absolute Prioritäten reden, bei denen Übereinstimmung erzielt werden kann. Die Zentralisierung von Befugnissen und EU-Erweiterungsrunden gehören nicht dazu.