Im Biosphärenreservat Schorfheide baute das Ehepaar Phillips und Hurding einen alten Wasserturm um – zu einem extravaganten Aussichtspunkt.
Sarah Phillips war Managerin in London, ihr Ehemann Richard Hurding Innenarchitekt. Bei einer Reise auf „den Kontinent" begeisterten sie sich für einen alten Wasserturm bei Joachimsthal in Brandenburg. Sie entschlossen sich, dem hektischen Großstadtleben den Rücken zu kehren und mit Hilfe von Fördergeldern der europäischen Union schufen sie einen touristischen Anziehungspunkt im Biosphärenreservat Schorfheide.
„Siehst du den Werbellinsee?" Die ältere Dame guckt angestrengt, doch ihr Ehemann wirft rasch ein, dass man den See von hier oben sowieso nicht sehen könne. Doch auch ohne Werbellinseeblick ist das Panorama von der großen runden Aussichtsterrasse auf dem Dach des Wasserturms atemberaubend. „Das größte zusammenhängende Waldgebiet Europas" soll man von hier oben erblicken und den Grimnitzsee, den größten See der Schorfheide. Bei sehr klarem Wetter reicht der Blick sogar bis zum Fernsehturm am Alexanderplatz.
Das Ehepaar gibt Richard Hurding, dem Erfinder des Bioramas, den Tipp, die Oberfläche des Stahlgeländers auf dem Turm mit Ortsnamen zu versehen, die auf markante Punkte in der Umgebung hinweisen. „Das haben wir schon versucht, aber leider keine geeignete Lösung gefunden", sagt Hurding mit leichtem englischen Akzent. Ein wissendes Lächeln huscht über sein Gesicht, die Frage hat er wohl schon öfters gehört.
Vor 13 Jahren entdeckte Hurding den heruntergekommenen Wasserspeicher nebst Wirtschaftshaus auf einer Radtour. Der Turm wurde seit Jahrzehnten nicht mehr benutzt. Das Grundstück, insgesamt umfasst es rund 12.000 Quadratmeter, machte einen verwilderten Eindruck. Von solch Kleinigkeiten ließen sich Richard (54) und seine Frau Sarah (53) nicht abbringen – sie kündigten ihre Jobs in London, verkauften ihr Auto und fingen an, sich in Joachimsthal häuslich niederzulassen. Nach 20 Jahren Maloche für Großkonzerne stand ihnen der Kopf danach, etwas Sinnvolles zu machen und vor allem etwas Eigenes.
Mit gespartem Geld bauten sie den Turm in eine extravagante Wohnung mit rund 140 Quadratmeter Wohnfläche um, dank einer EU-Förderung in Höhe von 240.000 Euro konnten sie einen spektakulären Aufzug neben den Aussichtsturm bauen, der Besucher auf die Plattform hochfährt. Der Eintritt für Aussichtsturm und die Ausstellung in der benachbarten Villa beträgt vier Euro.
Rings um den Turm verläuft eine markante Stahlgittertreppe bis zur Aussichtsplattform. Der Aufzugsturm direkt daneben mit Beton, farbigem Glas und Stahl gibt dem Ensemble eine heitere Note. Entworfen hat ihn der Berliner Architekt Frank Meilchen. Der weite Blick in 123 Meter Höhe über das platte Land ist nicht alles, was Touristen nach Joachimsthal lockt. Die „weiße Villa" neben dem Turm, ein zweistöckiges, geräumiges Gebäude, hat das Ehepaar in Eigenregie und mit eigenen Mitteln vollständig entkernt, mit einem neuen Dach versehen und umgebaut zum Kulturzentrum. Erbaut hat sie ein gewisser Rudolf Protz, der im Jahr 1897 zu architektonischem Ruhm gelangte, als er die ersten öffentlichen Toiletten in Serie entwarf und sie in Berlin aufstellen ließ. Darauf war er so stolz, dass er das Familiengrab auf dem Joachimsthaler Friedhof in Form eines – richtig geraten – Toilettenhäuschens entwarf. Von der Villa kann man aus dem Fenster direkt auf diese bizarre Grabstelle blicken.
Eine umgebaute Villa als Veranstaltungsort
Die umgebaute Villa ist Galerie und Veranstaltungsort. Dort entstehen Kunstprojekte mit Bezug zum Biosphärenreservat und unter dem Aspekt der Nachhaltigkeit. Zwei verschiedene Oberflächenbehandlungen der Fassade wurden genutzt, um die Vergangenheit und Zukunft des Bauwerkes zu spiegeln. Die östliche Fassade erscheint als kinetisches Kunstwerk, dafür brachte Phillips ein 100 Quadratmeter großes spiegelglänzendes Edelstahlmosaik an. Die übrige Fassade ist mit dünnem weißem Kalkputz beschichtet, um die Lebensspuren der Villa zu verdeutlichen. Die Innenräume haben eine Höhe von acht Metern, wobei der Stufenturm, der an einen Kirchturm erinnert, 13 Meter hoch ist. Auch hier lassen sich die Spuren früherer Besitzer nachvollziehen, Phillips legte die Backsteine frei. Die Villa diente als privates Wohnhaus, als Krankenstation und in DDR-Zeiten als Ferienheim für eine landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaft.
Eine Dauerausstellung ist dem Leben von Rudolf Protz gewidmet. Den übrigen Platz hat Phillips für die Höhepunkte der vergangenen Ausstellungen reserviert.
Kleine Snacks und Getränke gibt es im „Café Quadrat", ebenfalls von dem Ehepaar betrieben. Wer größeren Hunger hat, sollte sich aufmachen in Richtung Angermünde zum Restaurant „Zum Grünen Wunder". Hier tischt man regionale Biokost auf, Angusrind aus der benachbarten intensiven Weidehaltung, Wild aus den Wäldern der Schorfheide, Fisch aus der Seenfischerei Angermünde und Milchprodukte von Bio-Molkereien. Die „Blumberger Mühle" in Angermünde, eine Einrichtung des Naturschutzbundes, zeigt die Naturschönheiten der Schorfheide in einer Dauerausstellung und ist auch durch seine Architektur interessant: Das Haus ist in Form eines Baumstumpfes gebaut. Von Joachimsthal führt ein ausgeschilderter Wanderweg über den Grimnitzsee nach Angermünde. Anfänger sollten hierfür gut einen halben Tag veranschlagen. Wasserdichtes Schuhwerk ist wichtig, denn ein Zehntel der Schorfheide besteht immer noch aus Moor, dem sogenannten Kesselmoor, in welchem Seggen, Binsen, Sumpflappenfarn und Sumpfkalla gedeihen.
Die Otterfütterung lässt sich jeden Tag um 11 Uhr im Wildpark Schorfheide beobachten. Das Konzept des Parks geht dahin, ausschließlich Wildtierarten zu beherbergen, die auch in der Schorfheide heimisch sind: Rotwild, Damwild, Fischotter und Muffelwild. Tiere, die in freier Wildbahn ausgestorben sind – darunter Wolf, Wisent, Elch und Przewalski-Pferd, lassen sich mit etwas Glück erspähen.
Als umweltbewusste Menschen empfehlen Hurding und Phillips ihren Besuchern aus Berlin die Anreise mit öffentlichen Verkehrsmitteln. Die Verbindungen von Berlin-Lichtenberg mit der Niederbarnimer Eisenbahn sind gut und günstig. Die Fahrzeit beträgt eine Stunde, die Fahrkarte kostet 8,50 Euro. Von der Station Joachimsthal-Kaiserbahnhof sind es nur rund zehn Minuten Fußweg bis Biorama. Den Landbahnhof, der mit schwedischen Designelementen gestaltet ist, ließ sich Kaiser Wilhelm II. im Jahr 1898 zur Vorbereitung auf die Jagd in der Schorfheide errichten. Die Bahnfahrt lohnt sich übrigens doppelt: Der Kaiserbahnhof wurde nämlich zum Hörspielbahnhof geweiht. In den Sommerferien werden in der Bahnhofshalle, die bestuhlt ist, Lesungen für Kinder und Erwachsene veranstaltet.