Auf dem Surinam-Fluss in Südamerika führt der Weg durch den Regenwald in das Gebiet der Saramaccaner. Untergebracht in einer gemütlichen Lodge können Touristen in die reiche Natur des Regenwaldes und die Kultur des großen Stammesverbandes eintauchen.
Schon seit Stunden sind wir in dem langen, motorbetriebenen Kanu unterwegs. Hüte, Kappen und Tücher schützen uns halbwegs vor der Sonne, die vom Wasser des Surinam-Flusses reflektiert wird. Am rechten Ufer tanzen gelbe Schmetterlinge im hellen Licht, manchmal begegnet uns ein Boot – und wenn wir eine Siedlung passieren, sehen wir bunt gekleidete Frauen am Flussufer, die dort ihre Wäsche waschen. Wir sind in Südamerika unterwegs, fühlen uns aber eher wie in Afrika. Und das nicht grundlos: rechts und links des Flusses erstreckt sich das Siedlungsgebiet der Saramaccaner, einer der größten Stammesverbünde in Surinam. Eine Gruppierung, die ihre Ursprünge in den Siedlungen entlaufener Sklaven hat, sogenannter Maroons, die sich in den Wäldern versteckt hatten, weil sie sich nicht mehr länger auf den Plantagen ausbeuten und entrechten lassen wollten. Denn Surinam, das noch bis 1975 eine niederländische Kolonie war, ist zum Großteil von tropischem Regenwald bedeckt, auch wenn Aluminium- und Goldgewinnung sowie Holzeinschlag einen Teil des Naturschatzes bereits zerstört haben. Hier, am Oberlauf des Surinam-Flusses scheint die Natur noch halbwegs intakt, was auch daran liegt, dass der Granman, der oberste Chef der Saramaccaner, beschlossen hat, dass das Siedlungsgebiet seiner Schutzbefohlenen für den kommerziellen Holzeinschlag und die Goldgewinnung tabu ist.
Blätter gegen böse Geister
Unser Boot kommt gut voran, denn der Surinam-Fluss hat Hochwasser. Die sonst eher mühsam zu überwindenden Stromschnellen sind heute vom Wasser überspült und kaum zu sehen. Als das Dorf Dan am linken Flussufer auftaucht, zieht unser Bootfahrer leicht nach rechts. An der Spitze einer Flussinsel ist ein hölzernes Willkommensschild aufgestellt, nur wenige Minuten später legen wir an der „Danpaati-Lodge" an. Am Bootsanleger erwarten uns einige der Beschäftigten, sie sind allesamt Saramaccaner, einige davon in Dan aufgewachsen, die anderen in der Hauptstadt Surinams, in Paramaribo. Ein Holzgestell, eine Art Tor, symbolisiert den Eingang der Lodge, vom oberen Stab hängen trockene Palmblätter herab. „Diese Blätter sollen die bösen Geister abhalten. Wenn wir sie sehen, ist das ein Zeichen dafür, dass es ein traditioneller Ort ist und kein Ort, der christianisiert wurde", erläutert uns Sergino, ein junger Saramaccaner, der in der „Danpaati River Lodge" arbeitet – und der später auch über das Anwesen führt und uns dabei Wanderpalmen, Würgefeigen, Wilde Papaya, Kalebassenbäume und Sternapfelbäume zeigt. Er versichert, dass die Lodge und das Dorf Dan eng zusammenarbeiten, und dass aus den Einnahmen der Lodge unter anderem ein Kultur- und Bildungszentrum, Altenbetreuung sowie ein Dieselgenerator im Dorf finanziert werden. Serginos Vorfahren stammen zwar aus Dan, er selbst ist jedoch in Paramaribo aufgewachsen – wo er auch Englisch lernte. Doch dort gab es für junge Saramaccaner kaum Jobs. Weshalb er zurückkehrte und nun auf der Lodge arbeitet. „Am Anfang war das ziemlich langweilig für mich hier, kein Wifi, keine Clubs", verrät er – doch inzwischen hat er sich eingelebt. Die meisten Europäer, die nach Surinam reisen, kommen aus den Niederlanden, deshalb finden in der Lodge vor allem Saramaccaner eine Anstellung, die auch Niederländisch sprechen.
Die Nacht verbringen wir in romantischen kleinen Bungalows, direkt am Flussufer. Insgesamt 18 davon gibt es auf der rund einen halben Kilometer langen Insel, mit 40 bis 50 Besuchern ist die „Danpaati-Lodge" bereits ausgebucht. Ein Moskitonetz ist in der charmanten Holzvilla vorhanden, aber eigentlich überflüssig. Denn Stechmücken halten sich eher an stehenden Gewässern auf, weniger an fließenden.
Zusammen mit Sergino setzen wir am nächsten Tag mit einem Boot über in das Dorf Dan. Wir sind sehr gespannt, denn wir haben am Vorabend schon viel über die Maroonkultur erfahren, haben gehört, dass viele Schwarze schon mehr als 100 Jahre vor der Abschaffung der Sklaverei in den Dschungel geflohen waren. Ihre Kultur ist matrilinear. „Nur wenn dein Onkel reich ist, dann bist du auch reich", erklärt Sergino. Wie in Afrika können wohlhabende Männer mehrere Frauen heiraten, vorausgesetzt, diese werden alle gleich gut behandelt. „Für mich wäre das nichts, mir reicht eine Frau", versichert Sergino, „denn wenn ich drei Frauen hätte, dann müsste ich ja gleich allen dreien ein iPhone kaufen." Das iPhone beziehungsweise Smartphone, das ist der eine Teil der Wirklichkeit im Dorf, der andere Teil sind Grundnahrungsmittel, die zum Großteil noch von Hand verarbeitet werden. Das Brot backt man hier nicht aus Korn, sondern meist aus Maniok, der hier Cassava genannt wird. Allerdings steht diese Wurzel nicht so regelmäßig auf dem Speisplan wie Reis. „Einen Teller Reis essen wir täglich, die Cassava nur manchmal", erklärt Sergino und stellt uns Kaloina Kwandjani vor, die zeigt, wie sie die Cassava schält, wäscht, in kleine Stücke zerlegt und anschließend an einer Raspel zu feinem Brei reibt. „Die Schale der Cassava werfen wir nicht weg, sondern benutzen sie noch, um Fische damit anzulocken", erklärt sie, während sie ihren Oberkörper fast im 90 Grad Winkel Richtung Boden geknickt hat. Wichtig ist, dass der Saft aus der Cassava herausgepresst wird, denn darin befindet sich Blausäure. Kaloina füllt die geriebene Cassava in einen geflochtenen Pressschlauch und betätigt eine einfache Pressvorrichtung. Neben Cassava bauen die Dorfbewohner auch Erdnüsse an, die sie unter anderem zu Erdnussbutter und zu einem Getränk namens Batido weiterverarbeiten. Die gerösteten Nüsse werden im Mörser zerkleinert und anschließend in Wasser erhitzt und gezuckert. All das zeigt uns Zoli Muye, die ihre Erdnüsse über einem offenen Feuer röstet, denn Stromversorgung gibt es im Ort nur wenige Stunden am Tag.
Kurz darauf besuchen wir Carnell Guadjani. Der 1939 geborene Mann ist einer der vier Captains, die sich um die Dorfgeschicke kümmern. Die Lodge sei gut für den Ort, erklärt er, denn sie zahle eine Pacht für die Insel und tue etwas für die Gemeinde. Gold- und Ölgewinnung hingegen würden sie im Gemeindegebiet nicht erlauben. „Das würde den Fluss verschmutzen und den Dschungel zerstören. Doch wir brauchen die Natur, um zu überleben, deshalb erlauben wir hier nur Geschäfte, die die Umwelt erhalten", versichert Carnell Guadjani, der mit vier Frauen gleichzeitig verheiratet war, was er jedoch nicht weiterempfiehlt. „Es ist sehr schwer, sich um vier Frauen zu kümmern", gesteht er.
Die Natur wird hier streng geschützt
Später, wieder zurück in der Lodge, treffe ich einen Regenwaldführer, der von seinen Kollegen Fritz gerufen wird. Doch wenn man den Samaraccaner nach seinem Namen fragt, wird es schnell kompliziert. „Als meine Mutter schwanger war, sagte mein Vater, wenn es ein Junge wird, muss er Fritz heißen – denn ein Onkel meines Vaters hieß Fritz. Aber meine Mutter nannte mich lieber Watsy, das ist mein registrierter Name, dennoch rufen mich die meisten Fritz. Mir sind beide Namen recht, aber am liebsten habe ich einen neuen Namen, den ich mir selbst ausgesucht habe: Akoafesi." Der junge Guide ist in Dan aufgewachsen, hat später in Paramaribo als Handlanger auf dem Bau geholfen, und arbeitet nun seit gut zwei Jahren in Danpaati – wo er, vor allem wegen seiner guten Niederländischkenntnisse leicht Fuß gefasst hat. Fritz moderiert eine Kulturshow, bei der die Frauen aus Dan die traditionellen Tänze der Saramaccaner und benachbarter Maroon-Gruppierungen vorführen. Am liebsten jedoch erkundet er mit den Lodge-Gästen den Regenwald. „Die lange Dschungeltour ist mein Favorit, ich mag den Dschungel", erklärt er. Manchmal freilich denkt er mit Wehmut an seinen Bruder, der im Nachbarland Französisch-Guyana arbeitet. „Dort verdient man acht Mal so viel wie hier – und man wird in Euro bezahlt", berichtet Fritz.
Unsere Regenwaldtour leitet an diesem Tag allerdings nicht Fritz, sondern Sergino, unterstützt von Reiseleiter Hans Parana, der amerindischer Abstammung ist, und uns versichert, dass er sich, obwohl er lange schon in der Stadt wohnt, im Dschungel sofort wieder wie zu Hause fühlt. Der Regenwald war für die Einheimischen früher sowohl der Zigarettenladen wie auch der Lieferant des Holzes für Boote und Paddel. Hans, der von seinen Eltern so genannt wurde, weil sein Vater einen Freund namens Hans beim Militär hatte, und Sergino zeigen uns die Maripapalme, deren Nussöl zum Kochen und als Massageöl verwendet werden, und die Acai-Blätter, mit denen die Häuser gedeckt werden. Sie machen uns aufmerksam auf einen Baum, dessen Holz Chinin enthält – wenn man die Holzstücke kocht und den Sud in Kombination mit Whisky in Flaschen abfüllt, soll dieser Trank angeblich gegen Impotenz helfen.
Ein lehrreicher Spaziergang durch die Dschungelapotheke, bis wir mit dem Holzboot wieder abgeholt werden. Ein letzter sternenklarer Abend in der Hängematte am Ufer des Surinam-Flusses, eine letzte Übernachtung in der „Danpaati-Lodge", dann heißt es Abschied nehmen von der idyllischen Flussinsel, deren touristische Nutzung den Bewohnern des Dorfes Dan tagtäglich ein besseres Leben ermöglicht. Während Fritz und Sergino am Ufer stehen bleiben und winken, ist Reiseleiter Hans Parana im Boot mit dabei – und begleitet uns auf der rund sechsstündigen Reise zurück nach Paramaribo.