Wer sagt, dass das Dirndl eine rein bayerische Angelegenheit ist? In München haben sich zwei Kameruner Schwestern und eine Slowakin der traditionellen Tracht angenommen. Die einen schneidern Dirndl aus afrikanischen Stoffen, die andere aus indischen Saris. Und die Bayern? Laufen Sturm gegen diese Entweihung? Iwo!
Das Gefühl, endgültig angekommen zu sein, hatte Rahmée Wetterich in einem Saal des Alten Rathauses in München. Es war der 4. Dezember 2017. Die Frau aus Kamerun stand vor 300 Ur-Bayern in Tracht. Gefühlt saßen in der ersten Reihe nur CSU-Mitglieder im grauen Janker. Rahmée setzte dagegen einen farbenfrohen Kontrapunkt: Sie trug ein schillerndes, bunt gemustertes Dirndl in Altrosa, Apfelgrün, Lachsrot und Schwarz. Ein Dirndl ihres eigenen Labels Noh Nee – Schnitt bayerisch, Stoff afrikanisch. Eine modische Liebesheirat, die dem Ältestenrat der Stadt 2017 einen Innovationspreis wert war. „Ich war so aufgeregt", erinnert sich Rahmée an die feierliche Verleihung, und dann fügt sie in nicht ganz lupenreinem Bayerisch hinzu: „S‘ war a Wahnsinn! Alle kamen auf mich zu und wollten mein Dirndl anfassen – und das im konservativen Bayern!"
In Bayern eigentlich nur auf Durchreise
Rahmée war noch ein Kind, als sie mit ihrer Familie, den Darouiches, nach München kam. Eigentlich wollten die Eltern, deren Wurzeln in Kamerun und Syrien liegen, nach Frankreich. Bayern ist seit 40 Jahren „Zwischenstation", wie Rahmée lachend scherzt. Kreativ sind in ihrer Familie alle – entweder wird musiziert, designt oder geschneidert. 2010 hatte Rahmées ältere Schwester Marie eine zündende Idee. Sie entwarf ein klassisches Dirndl – figurbetontes Mieder, Herz-Ausschnitt, in Falten gelegter Rock, formgebender Kummerbund – fertigte es jedoch aus leuchtendem, afrikanischem Waxprint-Stoff. Da guckten die Münchener! Schnell wurde die Presse auf die Darouiche-Schwestern mit ihren „Dirndln à l‘Africaine" aufmerksam. Der Bayerische Rundfunk lud sie ein, an einer Modenschau am Tegernsee teilzunehmen. Bayerisches Kernland. Hort von Tradition und Volkskultur. Mia san mia. „Mon dieu", dachte Rahmée, „das wird nie funktionieren!" Sie täuschte sich. Da war dieser alte bayerische Bauer, ein echtes Urgestein. Langsam ließ er den Blick über die Multikulti-Kreation wandern, verengte die Augen, dann urteilte er knapp: „Schee!" „Das war der Ritterschlag", erzählt Rahmée in ihrem Showroom. „Normalerweise sagt der Bayer nämlich nur: Passt! Schee ist schon das ultimative Lob."
Stoff afrikanisch, Druck indonesisch, Kundin international
Mittlerweile haben die Schwestern Kundinnen aus der ganzen Welt. Noh Nee, was so viel bedeutet wie „Geschenk Gottes", liefert nach New York, Paris, Tel Aviv, Hamburg oder Berlin. Verrückte Geschichten gibt es zuhauf zu erzählen. Eine besonders rührende ist die von der jüdischen Kundin, die die NS-Zeit in Deutschland erlebt hat. „Die kam in den Laden und meinte, sie wolle nur mal gucken", sagt Rahmée. Der sympathischen Designerin gestand die Frau, dass Dirndl für sie schrecklich negativ besetzt seien. Einmal habe sie einen Alptraum gehabt, in dem ihr Kleiderschrank voller Dirndl hing. „Und dann ging sie mit einem unserer Modelle nach Hause. Das war wie eine Heilung!", befindet Rahmée Wetterich. Die 53-Jährige war lange als Inneneinrichterin tätig. Mit Stoffen kennt sie sich bestens aus. Bei Noh Nee verarbeiten sie hochwertige Baumwollstoffe aus Westafrika. Der Waxprint, ein Batikverfahren indonesischen Ursprungs, zaubert farbenfrohe Muster auf das Material. Oft sind diese Muster historisch überliefert, in ihren Heimatländern spielen sie eine wichtige sozio-kulturelle Rolle. „Mit afrikanischen Stoffen kann man wundervolle Bilder kreieren. Die Kunst besteht darin, die Stoffbahn nicht einfach nur gerade durchzuschneiden. Meine Schwester Marie beherrscht das meisterhaft", sagt Rahmée, die sich hauptsächlich um die Vermarktung der bayerisch-afrikanischen Mode kümmert. Wobei bayerisch-afrikanisch es nicht mal erschöpfend beschreibt. „Wir sind natürlich auch Französisch, schau mal hier", sagt Rahmée und lupft den Rock eines terrakottaroten Dirndls an. Drunter kommt ein hellgrüner Unterrock mit bordeauxfarbenem Spitzenbesatz zum Vorschein. Die Halbwelt-Damen um den Pariser Place Pigalle tragen so was vermutlich als Négligé. „Und emanzipatorisch sind wir auch – wir lassen nämlich die Schürze weg!", fügt die Designerin grinsend hinzu. Etwa 150 Dirndl produzieren die Schwestern mit insgesamt acht Mitarbeitern pro Jahr, alles handgefertigt. 850 bis 1.050 Euro muss man dafür hinlegen. Aber was reizt sie überhaupt an dieser urbayerischen Tracht? Rahmée Wetterich muss nicht lange überlegen. „Ich mag die Weiblichkeit des Dirndls. Mit seinem figurfreundlichen Schnitt schmeichelt es jeder Frau."
Figurschmeichler Dirndl
Ein Satz, den Silvia Peterova sofort unterschreiben würde. Sie ergänzt: „Jede Frau sieht im Dirndl sexy aus. Das macht die Korsettform. Selbst Frauen, die von oben bis unten gleich breit sind, haben im Dirndl plötzlich eine Taille." Die heute 40-jährige Slowakin kam im Jahr 2000 nach München, um an der hiesigen Meisterschule für Mode und Design zu studieren. Nach ihrem Abschluss folgten große Namen. Sie hospitierte bei Vivienne Westwood in London, heuerte als Schnittdirectrice bei Escada in München an, arbeitete bei Talbot Runhof und Rena Lange. 2015 gründete sie ihr eigenes Label: Alfera Design. Seitdem schneidert sie Dirndl – aus indischen Saris. „In diese Stoffe habe ich mich auf meiner großen Indienreise 2004 verliebt. Als ich zurückflog, packte ich den Koffer mit Saris voll. Dass ich eine Menge Geld fürs Übergepäck zahlen musste, war mir egal", sagt sie. Und dann läuft sie in den Keller, um ein paar Stoffe zu holen: changierende Georgette-, glänzende Brokat-, schimmernde Seiden-Saris, besticktes Chiffon und Spitze in satt-glänzenden Farben. Ein Fest für die Augen. Für manch konservativen Mode-Einkäufer jedoch zu exotisch. „Als ich meine erste Kollektion fertig hatte, bin ich nach Salzburg zur Messe Tracht & Country gefahren", erzählt Silvia. Die Standmiete war ein echter Brocken – besonders für ein kleines Ein-Frau-Unternehmen, das nur mit Existenzgründerzuschuss starten konnte. „Kaum ein Einkäufer der großen Modehäuser ist stehen geblieben", erinnert sie sich. „Die sagten mir, was ich mache, sei zu bunt, zu glitzernd. Die wollten nur Grau, Beige, all diese Non-Farben. Aus Leinen, ganz traditionell. Da erwiderte ich: Das finden Sie hier doch überall. Warum sollte ich dasselbe machen?"
Kultureller Brückenschlag
Das bayerische Traditionsgebot ließ Silvia Peterova sich nicht diktieren. Dunkelblaue Baumwolle mit weißem Blümchenmuster ist nicht ihr Ding. „Jemand wie ich, der von außen kommt, aber schon lange hier lebt und die Form des Dirndls gut kennt, ist offener, Neues zu wagen", ist sie überzeugt – aus Weltoffenheit und internationalem Denken zieht sie Inspiration für ihre Entwürfe. Anders als die Kameruner Schwestern verzichtet die slowakische Designerin aber nicht auf Dirndl-Schürze und Bluse: „Gehört für mich dazu!" Genauso wie Posament-Borten, mit Pailletten bestickter Taft und die Miederschnürung mit Ösen der Manufaktur Alpenwahn. In der Mitte jeder Öse funkelt ein farblich abgestimmter Schmuckstein, der sicherlich auch den Turban eines indischen Maharadschas zieren könnte. Silvias Markenzeichen jedoch liegt unter der Schürze versteckt: ein kleines Täschchen, in dem sich unterbringen lässt, was Frau so braucht. Handy, Geld, Lippenstift? „Das Nötigste kriegt man auf jeden Fall unter." Einen Showroom in der Münchener Innenstadt hatte die Designerin nur kurz. Der Grund, warum sie ihn aufgab, kommt vorwitzig um die Ecke gelaufen: Es ist ihr 16 Monate altes Söhnchen Lenny.
Seit er auf der Welt ist, hat sie sich eine kleine Nähecke in ihrer Wohnung in München-Freimann eingerichtet. Dort trudeln mittlerweile die ersten Bestellungen ein. „Von selbstbewussten Frauen, die gerne auffallen", sagt Silvia, zückt stolz ihr Handy und zeigt ein Foto ihrer ältesten Kundin. „Die Dame ist Mitte 70, lebt auf dem bayerischen Land und liebt die Farbe Rot. Deshalb fährt sie ein rotes Cabrio und trägt ein rotes Alfera-Dirndl – sieht doch schick aus, oder?" Und wie! Der Bayer würde „schee" sagen.
Weitere Informationen zu den Designerinnen unter: