King Crimson feiern ihr 50-jähriges Jubiläum mit einer Tournee und versprechen ganz großes Kino. Gitarrengott Robert Fripp lebt seine Lust am frickeligen Progressive Rock in der inzwischen achten Bandinkarnation aus. Diesmal spielen drei Schlagzeuger an vorderster Front mit. Bassist Tony Levin über seinen schwierigen Chef und seine Zusammenarbeit mit John Lennon und David Bowie.
Herr Levin, das Repertoire von King Crimson ist gewaltig. Welcher Band-Ära widmen Sie sich bei den diesjährigen Konzerten?
Zuerst einmal haben wir für diese Tour sehr viele Stücke eingeprobt. Robert Fripp entscheidet über die endgültige Setlist immer erst am Tag eines Konzerts. Um 13 Uhr verschickt er eine E-Mail an sämtliche Bandmitglieder. Sollte jemand ein Problem mit der Songauswahl haben, besprechen wir das. Dieses Mal haben wir uns sogar noch ein paar Stücke draufgeschafft, die wir in den letzten dreieinhalb Jahren nicht gespielt haben. Darunter auch Songs, die King Crimson noch nie live performt haben. Das ist sehr aufregend!
Ist die jetzige Besetzung vergleichbar mit einer der frühen Bandinkarnationen?
Ich vergleiche die verschiedenen Besetzungen nicht. Für mich sind alle einzigartig. Bestimmt hat das aktuelle Line-up irgendetwas gemein mit älteren Line-ups, aber es ist in vielerlei Hinsicht anders. Das liegt vor allem an den drei Schlagzeugern und daran, dass wir uns durchs gesamte King-Crimson-Repertoire spielen. Das haben wir früher immer vermieden. Es ist fast so, als würde ein klassisches Orchester die Musik von King Crimson aufführen. Wir tragen Anzüge und Krawatten und bitten die Zuschauer, aus Respekt vor der Musik keine Fotos zu machen und die Handys in der Tasche zu lassen.
Die Band spielt also Stücke von sämtlichen Alben seit der Bandgründung vor 50 Jahren?
Das weiß ich nicht. Leider bin ich kein guter Musikhistoriker. Ich bin ein Fan von King Crimson, aber ich habe keine Ahnung, welcher Song auf welcher Platte erschienen ist. Statt Musik zu sammeln spiele ich sie lieber. Ich wünschte, ich hätte mehr Zeit, mir die Sachen, die ich dauernd einübe, auch mal in Ruhe anzuhören. Aber wir Musiker haben einfach keine Zeit, um zurückzuschauen.
King Crimson gelten als die Könige des Progressive Rock, ihre Konzerte sind Messen aus Freak-Rock, Jazz und Neoklassik. Wie lange proben Sie für eine Tour?
Viele, viele Stunden. Im April waren es zwei Wochen am Stück und anschließend haben die Schlagzeuger noch eine Woche separat geprobt. Auch die Gitarristen bereiten sich ausgiebig alleine vor. Das Material, das wir dieses Jahr erstmals live darbieten werden, ist extrem schwierig zu spielen. Meinen Bass-Part muss ich täglich üben wie ein Anfänger. Die Musikalität dieser Band ist sehr inspirierend und bringt mich dazu, noch besser werden zu wollen.
Was ist Robert Fripp für ein Bandleader?
Er ist ein wundervoller Bandleader! Ich muss das wissen, denn ich spiele seit 1981 mit ihm zusammen. Ich habe noch nie gehört, dass Robert irgendjemandem in der Band gesagt hätte, was er zu tun habe. Selbst dann nicht, wenn er uns seine neueste Vision von King Crimson vorstellt. Damit will er erreichen, dass du als Musiker immer du selbst bleibst. Unsere drei Schlagzeuger hat er zum Beispiel überhaupt nicht instruiert, wie sie interagieren sollen. Es sind auch nicht irgendwelche sehr guten Drummer, sondern sie wurden von Robert speziell für dieses Line-up ausgewählt. Um etwas zu spielen, was man in der Form noch nicht gehört hat. Und die Rechnung ist aufgegangen! Bereits in den 90ern baute Robert die Band zu einem Doppel-Trio um. Zuerst hielten Trey Gunn und ich es für keine gute Idee, uns die Bass-Parts zu teilen, aber ich brauchte nicht lange, um zu merken, was für ein toller Musiker Trey ist. Ohne Roberts Visionen wäre so manches nicht entstanden.
Warum sitzen bei dieser Tournee ausgerechnet die drei Schlagzeuger vorne und die anderen fünf stehen hinten?
Für mich persönlich ist es faszinierend, die Schlagzeuger beim Spielen zu beobachten. Das ist ein richtiges Spektakel. Man muss es gehört haben, um es zu verstehen. Die drei teilen sich die Rhythmusarbeit auf sehr komplizierte Weise. Und der Rest von uns spielt die Background-Musik, die uns auch ziemlich herausfordert. Ich musste zum Beispiel einen Weg finden, mit meinem Bass das Schlagzeug unaufdringlich zu komplementieren. Ich bin immer noch damit beschäftigt, meinen Sound zu optimieren. Diese Band ist ein progressives Abenteuer!
Eigentlich wollte Robert Fripp die Musik ad acta legen. Was hat ihn umgestimmt?
Ich kann nicht für Robert sprechen. Ich wusste nicht mal, dass er das gesagt hat. Was für ein Glück, dass er es nicht wahr gemacht hat!
Ex-King-Crimson-Schlagzeuger Bill Bruford bezeichnete Robert Fripp einmal als Amalgam aus Stalin, Gandhi und dem Marquis de Sade. Wie erleben Sie ihn?
(lacht) Ich mag Bill sehr gerne. Leider trommelt er nicht mehr, aber er schreibt jetzt hervorragende Musikbücher. Ich kann mit Worten nicht so gut umgehen wie Bill, aber ich muss sagen, dass Robert Fripp ein einzigartiger Mensch ist. Jeder Fan von King Crimson weiß, dass diese Band sich ständig weiterentwickelt. Es ist überhaupt nicht schwierig, mit Robert zusammenzuarbeiten.
King Crimson haben seit 2003 keine Studioplatte mehr veröffentlicht. Stattdessen sind in den vergangenen drei Jahren vier Live-Alben erschienen. Haben Sie Studios satt?
Diese Besetzung war noch gar nicht im Studio. Aber es gibt schon neues Material von King Crimson. Ob in absehbarer Zeit ein neues Studioalbum erscheinen wird, kann ich nicht sagen, das hängt von Robert ab. Aber ich könnte mir vorstellen, dass es in ein oder zwei Jahren soweit ist. Wir sind immer dann am besten, wenn wir neues Material über längere Zeit live erproben. Wir nehmen all unsere Shows in höchster Qualität auf, und wenn wir das Gefühl haben, dass ein Gig sehr speziell war, veröffentlichen wir ihn auf CD oder DVD.
Wann sind Sie mit einem Gig rundum zufrieden?
Brillant zusammen zu spielen macht noch keinen magischen Abend aus. Wir möchten das Publikum in die Show miteinbeziehen. Und auch der Ort muss stimmen. Wir wollen nicht in ganz großen Arenen spielen, weil der Sound dort nicht unseren Vorstellungen entspricht. Statt einer großen spielen wir lieber zwei oder drei kleine Shows in Folge in einem schönen Theater. Auf diese Weise können wir sicherstellen, dass das Publikum einen schönen Abend haben wird.
Sie gelten als Pionier des Chapman-Sticks. Wieso sieht man dieses acht- beziehungsweise zehnsaitige Instrument so selten auf einer Bühne?
Weil es ein sehr ungewöhnliches Instrument ist, erfunden in den 70er-Jahren von Emmett Chapman. Um es zu spielen werden die Saiten mit den Fingerkuppen auf die Bünde aufgeschlagen. Wie bei einem Piano. Ich war einer der ersten, die den Chapman-Stick in einem Progressive-Rock-Kontext einsetzten. Ich verwende ihn als Bass, aber er hat auch Gitarrensaiten. Der Sound ist hämmernd, weil man mit dem Finger auf die Saiten einschlägt. Auch das Stimmen ist sehr anders und hilft mir dabei, ungewöhnliche Bass-Parts zu entwickeln. Inzwischen verwende ich dieses Instrument schon so lange, dass es sich praktisch von ganz allein spielt. Aber ich habe nach wie vor den Anspruch, ein noch besserer Bassist zu werden.
Sie haben auf über 500 Alben mitgespielt, darunter Platten von John Lennon, Lou Reed, Alice Cooper, Peter Gabriel, Paul Simon und Pink Floyd. Führen Sie Buch über Ihre Arbeit?
Nein, daran habe ich kein Interesse. Es gibt aber Internetseiten, auf denen man meine Diskografie nachlesen kann. Wir Musiker haben eigentlich keine Zeit, uns unsere eigenen Platten anzuhören. Es bedeutet mir auch nichts. Wichtig ist mir nur die Qualität und nicht die Quantität. Ich möchte nicht nur gute Platten machen, sondern auch mit tollen Leuten zusammenarbeiten. Wir Musiker lassen uns immer von anderen Künstlern inspirieren, die ihrerseits Grenzen überschreiten.
Wie war die Zusammenarbeit mit David Bowie?
Das war ein echter Nervenkitzel! Ich habe auf seinem vorletzten Album „The Next Day" mitgespielt. Ich war eine ganze Woche mit ihm im Studio, und mein Bass ist auf der Hälfte der Songs zu hören. Das Album ist nach einer zehnjährigen Pause David Bowies erschienen und enthält großartige Musik. Natürlich war David ein herausragender Künstler, Songwriter und Performer, aber am meisten beeindruckt hat mich, wie er ins Studio kam und uns die Songs erklärte, die wir aufnehmen sollten. Er hatte das komplette Album bereits im Kopf. Was für eine Erfahrung!
Und wie haben Sie John Lennon in Erinnerung?
Das war natürlich auch sehr spannend. Wir haben in einer einzigen Session Material für zwei seiner Alben aufgenommen. Echt irre! Die Bass-Parts waren nicht wirklich schwer zu spielen, aber es war für mich eine Ehre, dabei zu sein.
Wie war John Lennon?
Er war toll. John war sehr aufgeregt, nach längerer Pause wieder im Studio zu arbeiten. Er ist sehr respektvoll mit seinen Musikern umgegangen. Zwischen den einzelnen Takes wollte er immer mit uns jammen und Rock‘n‘Roll spielen.
Beherrschen Sie eigentlich sämtliche Stile?
Nein. In manchen Stilen bin ich besser als in anderen. Ich habe mit Klassik angefangen und bin dann beim Jazz und später beim Progressive Rock gelandet. Mein älterer Bruder Pete ist Jazzer. Als Jugendlicher habe ich mir immer seine Platten angehört. Ein anderer Impulsgeber war der brillante Jazz-Bassist
Oscar Pettiford. Manchmal höre ich mir ganz fremde Musik an und versuche, sie im Kopf zu spielen. Das ist eine gute Übung.
Kann man auch zu viel üben?
Mit King Crimson nicht. Wir brauchen das. Das einzige, was uns vom Proben abhält, sind Tourneen. Unsere achtköpfige Band, unsere Musik – das ist alles sehr komplex. Innerhalb der Stücke, die wir live spielen, improvisieren wir viel. Das sind manchmal die schönsten Momente, weil wir uns selbst und das Publikum so gern überraschen. Bei uns ist jeder Abend anders.
Sind Sie Autodidakt?
Nein, ich habe in den 50er- und frühen 60er-Jahren Musik studiert und als junger Mann in einem Orchester in Rochester/New York gespielt. 1968 wechselte ich zum Jazz und 1970 wurde ich Studiomusiker in New York City. Das war schön, weil das Niveau der Musiker sehr hoch war, aber eigentlich wollte ich live spielen. In den 70ern bekam ich die Chance, auf Tour zu gehen und nahm sie an. Seitdem bin ich Live-Musiker, der ab und zu im Studio arbeitet. Ich mache mir immer wieder bewusst, welches Glück es bedeutet, dass ich seit Jahrzehnten das tun darf, was ich liebe.