Wenn Roger Federer und Rafael Nadal „grand-slamen", haben andere Topsportler der Tennisszene das Nachsehen. Die Pokale schleppen der 20-fache Major-Gewinner Federer oder der 17-fache Grand-Slam-Sieger Nadal davon. In ihrer Ü-30-Phase fixierter denn je.
Was trägt er denn nun, der Roger, wenn der „All England Lawn Tennis and Croquet Club" vom 2. bis 15. Juli beim Traditionsturnier von Wimbledon seinen 150. Geburtstag feiert? Der aufgeräumte Schweizer, der jüngst Stress hatte, wer ihn künftig auch außerhalb der weißen Kleidungsdoktrin des Rasen-Grand-Slams für nicht zu wenig Geld anziehen darf. Was passt zu einem Weltsuperstar mit derart strahlender Aura? Von dem sich der bewundernde Fan gut vorstellen kann, dass er seine Auszeit während der Sandplatz-Saison auch genutzt hat, um weiße Polohemden und Bügelfalten-Shorts für das traditionsreichste Tennisevent der Welt, die altehrwürdigen „Lawn Championships" im Londoner Vorort, selbst zu plätten.
Plätten. So, wie es der Vorjahressieger von Boris Beckers Schicksals-Grand-Slam, das dieser einst mit 17 Jahren gewann, zweifellos einmal mehr mit seinen Gegnern auf dem exakt acht Millimeter kurz gestutzten, grünen Gras vorhat. Um die Trophäe auf dem „Heiligen Rasen", dem Lieblingsbelag des Schweizers, zu erobern, bedarf es eines bedingungslosen Einsatzes. Eines fixen Willens, wie ihn ähnlich nur Federers Erzrivale „Rafa" zeigt, der leicht nervöse Spanier, der mit seinem elften Sieg bei den French Open im Juni Roger auf die Nummer zwei der Weltspitze verschoben hatte.
Federer gefiel der Absturz auf Platz zwei gar nicht. Beim Rasenturnier in Stuttgart, seinem Aufwärmturnier zur Rückkehr in den Tour-Zirkus nach zehnwöchiger Pause, stellte der 36-Jährige noch vor seinem ersten Match klar: „Ich war mir sicher, dass Rafa die French Open gewinnen würde. Deshalb muss ich hier ins Finale kommen, um mir den ersten Platz zurückzuholen."
Entwaffnend ehrgeizig und trotzdem verblüffend entspannt ist der vielfache Rekordhalter, nachdem er im Februar nach über fünf Jahren endlich die Spitze zurückerobert und zur ältesten Nummer eins der Profi-Ära geworden war. Nach seinem ersten Finalsieg in Stuttgart ist der Schweizer trotz des Nadal-Intermezzos rechtzeitig vor Wimbledon tatsächlich wieder die Nummer eins. Dennoch kam auch er zweimal leicht ins Schwitzen: Als ihn Mischa Zverev, der 30-jährige Serve-and-Volley-Spezialist, im ersten Satz des ersten Matches locker besiegte. Und im Halbfinale gegen Nick Kyrgios, als Federer für einen Sieg den Tiebreak meistern musste. Fast hätte ihn der Australier in der entscheidenden Spielphase außer Fassung gebracht, als er den Vierfach-Vater beim Weinen eines Kindes fragte, ob das einer seiner Sprösslinge sei. Doch der Gewinner von 98 Turnieren war schnell wieder „back to business". Ganz der Geschäftsmann, der nicht nur seine Tenniskarriere, sondern auch ein Geschäftsimperium verwaltet, dessen Vermögenswerte kaum zu verprassen sind. Schon gar nicht von einem so peniblen Akteur, wie der Schweizer einer ist.
Pflicht ist für Federer, so wie er die Welt sortiert, in diesem Jahr ein weiterer Sieg in Wimbledon. Damit hätte er neun Eingravierungen in Boris Beckers Lieblingspokal und könnte mit ewigem Ruhm und insgesamt 21 Grand-Slam-Titeln in 21 Profijahren zufrieden in einen anhaltenden Ruhestand gehen.
Ein Wimbledon-Sieg sei für ihn nach wie vor „das Nonplusultra", sagte Doppel-Zwillings-Papa Federer. Im Jubiläumsjahr 2018 des Wimbledon-Clubs und des Open Tennis, in dem das Künstliche-Intelligenz-Wesen Watson ein Mosaik aus historischen Turnier-Impressionen zu einem Bild zusammensetzte, sicherlich besonders. Court One bekam passenderweise zum Doppeljubiläum ein neues, festes Dach, um in der Konkurrenz mit den anderen drei vielbeachteten Majors-Turnieren Australian Open, Roland Garros und US Open, nicht alt auszusehen. Die Finalsieger im Einzel erhalten heuer jeweils 2,56 Millionen Euro, soviel wie noch nie.
Für den Schweizer oder auch für den zweifachen Wimbledon-Triumphator Nadal, der mit seinem 11. French-Open-Sieg die 100-Millionen-Euro-Grenze bei seinen Preisgeldern gesprengt hat, ist das Rekordpreisgeld unwichtig. Viel verlockender ist es für die beiden Erzrivalen, Mitte Juli einmal mehr durch alle Berühmtheiten und Ehrengänge zu wandeln, Hände zu schütteln, den Pokal zu schwenken, „unbelievable" und „fascinating" zu murmeln. Und danach?
Rekordspieler Federer aus dem U-40-Jahrgang machte in Stuttgart Panik auslösende Andeutungen: „Das Ende ist sicher näher als jemals zuvor." Immerhin ist der 36-Jährige mittlerweile überzeugt davon, dass das Leben nach dem „Sprung" auch noch sehr „lustig" sein könne. Mit seinen Kindern, betonte er. Zeit für den eigenen Nachwuchs, sobald er dem Nachwuchs der Tennis-Szene eine Chance gibt. Von denen manches Talent über der Dominanz von Federer selbst in die Jahre gekommen ist, ohne ähnlich ultimativ in die Spitze zu springen.
Abgesehen von Rafa. Zweimal gewann Rafael Nadal in Wimbledon. Das Gras ist trotzdem nicht sein Favorit, da läge bei ihm das Auslassen in seiner sichtlich schmerzverzerrten, aktuellen Verfassung nahe. Für seine geliebten French Open gab der verletzungsgeplagte Sandplatzkönig mit Blick auf die noch fernen 2019 keine Zusage. Nach Roland Garros im Juni dieses Jahres nahm der 32-Jährige eine Auszeit von Turnieren. Ein Krampf im Mittelfinger der Schlaghand lähmte ihn während des dritten Satzes im Finale der French Open. Tapes an den Unterarmen sollten uferlose Schweißströme auffangen.
„Das Ende ist sicher näher als jemals zuvor"
Mehrere Prinzen warten indes auf ihre eigene Zeit mit Ewigkeitssiegen bei den größten und längsten Tennisturnieren der Welt. Vor allem Juan Martín del Potro, nach dem Halbfinale in Roland Garros auf Rang vier des ATP-Rankings vorgerückt und mit 30 Jahren in Gefahr, ein ewiges Prinzen-Schicksal, ähnlich dem von Prinz Charles, zu erleiden. Oder der Wimbledon-Finalist von 2017, Marin Cilic, den eine böse Blase zur leichten Aufgabe für Federer gemacht hatte.
Auf Sand rückt Dominic Thiem nach, der Nadal auf der schweren Asche mehrmals besiegt hat. Im Finale der French Open allerdings ließ sich der 24-Jährige Österreicher diesmal noch durch die Physio-Pausen Rafas von der Zielgeraden abbringen. Doch Thiem versteht es immer besser, das unerbittliche, maschinengleiche Spiel des Spaniers zu kontern.
Auch junge Deutsche schieben sich beharrlich nach vorne. Bei seiner ersten Hauptfeldteilnahme in einem Grand Slam, gab Maximilian Marterer im Achteilfinale von Roland Garros Nadal Anlass zum Grübeln. Auf Platz 50 der Weltrangliste steht der vielseitige Nürnberger, der in Stuttgart gegen Kyrgios ausschied: „Es sind viele kleine Mätzchen, mit denen er versucht hat, in meinen Kopf zu kommen. Ich bin eine Erfahrung reicher", sagte der 23-Jährige. „Ich bin zuversichtlich für Wimbledon."
Um einen beachtlichen Erfolg reicher ist Deutschlands Nummer eins, Alexander „Sascha" Zverev: Der
21-Jährige kam bei den French Open so weit wie nie zuvor in einem Grand-Slam-Turnier. Konstanz und Nervenstärke, auch eine rekordverdächtige Fitness, zeigte der Weltranglistendritte dabei. Bis sich im Viertelfinale gegen seinen Freund Thiem der strapazierte Körper meldete: ein Muskel im Oberschenkel zog heftig.
Aufgeben wollte der Sieger der vorangegangenen Sandplatzturniere von München und Madrid, sowie Finalist des 1000er-Turniers von Rom, der Nadal mit einem 6:1-Satzgewinn fast verzweifeln ließ, nicht. Lieber kassierte er eine Dreisatz-Pleite und hoffte, dass die Verletzung bis Wimbledon auskuriert sei: „Ich habe drei Fünfsatzmatches in Folge gewonnen und bin zum ersten Mal ins Viertelfinale gekommen", freute sich Zverev. „Es ist alles sehr positiv."
Wenn Sascha in Wimbledon weniger Krimis spielt als in Paris und am Matchbeginn entschlossener agiert, hat er gute Chancen, auch in der zweiten Woche Erdbeeren mit Sahne in Englands traditionsreichstem Tennisclub zu genießen.
Bei den Damen ist das Feld offener. Rückkehrerin Serena Williams zeigte in Paris erst große Leistung, gab dann wegen einer Brustmuskelverletzung auf. Maria Sharapova steigerte sich zuletzt zusehends.
Aber auch Angelique Kerber, die mit ihrem neuen belgischen Trainer Wim Fissette zu frischen Stärken gefunden hat, könnte an ihre Finalteilnahme von 2016 in Wimbledon anknüpfen. Julia Görges ist durchaus ein Vorstoß in die zweite Woche zuzutrauen. French-Open-Siegerin Simona Halep, Vorjahressiegerin Garbiñe Muguruza, Karolina Pliskova, Sloane Stephens, Lokalmatadorin Johanna Konta, Andrea Petkovic, Wild-Card-Starterin Sabine Lisicki und vielen weiteren starken Kämpferinnen ebenfalls.
Bezaubernd werden die von Sky aus London übertragenen Matches auf jeden Fall wieder sein. Mit den alten Königen, ihren riesigen Scharen an Anhängern und ihrer faszinierenden Siegeskonzentration. Mit einer Reihe starker Anwärter auf den Thron, die sich das Spiel nicht mehr verderben lassen wollen. Und mit all den erfahrenen und jungen Trophäen-Jägerinnen bei den Damen.