Bei der Hockey-WM der Damen feiert der neue Bundestrainer Xavier Reckinger seine Feuertaufe. Der Belgier will ein paar Dinge anders machen als sein erfolgreicher Vorgänger.
Einen letzten Wunsch hatte Jamilon Mülders noch, bevor er seinen Bundestrainer-Job in Deutschland aufgab und nach China wechselte. Mülders, der die deutschen Hockey-Frauen nach Jahren der Stagnation zurück in die Weltspitze geführt hatte, wollte unbedingt seinen Wunsch-Nachfolger im Deutschen Hockey-Bund (DHB) durchbringen. Allzu viel Überzeugungsarbeit musste Mülders nicht leisten, denn die Verbandsspitze war schnell begeistert von Xavier Reckinger. So begeistert, dass sie für ein Novum sorgte: Erstmals in der Geschichte trainiert ein Ausländer die „Danas", wie die Spielerinnen der Damen-Hockeynationalmannschaft genannt werden. „Xavier war mein Vorschlag", sagt Mülders über den Belgier, der „ein unfassbar guter Typ" sei und alles mitbringe, was ein Toptrainer im modernen Hockey brauche. „Ich bin total froh, dass er das macht. Er wird den Mädels einen neuen Touch geben und gleichzeitig auf dem aufbauen, was wir entwickelt haben."
„Ich spüre die Verantwortung"
Reckinger hat seine Feuertaufe bei der Weltmeisterschaft vom 21. Juli bis zum 5. August im Queen-Elizabeth-Park von London. Er ist zwar schon seit ein paar Monaten Bundestrainer der Damen, aber erst bei diesem Turnier wird sich zeigen, wie gut der neue Coach und das Team miteinander harmonieren, wie viele seiner Ideen der 34-Jährige bereits umsetzen konnte. Reckinger hält seine Ansprachen in der Kabine in Englisch, auch wenn sein Deutsch bereits gut ist. „Aber um ganz präzise zu sein, fehlt mir noch etwas Vokabular", sagt er. Dass er in große Fußstapfen tritt, weiß Reckinger natürlich. Der EM-Titel 2013 und vor allem Olympia-Bronze in Rio de Janeiro unter Mülders werden seine Arbeit stets begleiten. „Ich will nicht von Druck sprechen", sagt Reckinger, „aber ich spüre die Verantwortung, die erfolgreiche Arbeit fortzusetzen und vielleicht noch erfolgreicher zu sein." Er bittet die Öffentlichkeit darum, seine Arbeit noch nicht komplett am Abschneiden dieser WM zu messen: „Es war zu wenig Zeit, um den ganz großen Einfluss auszuüben. Die kurze Vorbereitung ist eine Herausforderung."
Genau wie das neue Turnier-Format. Aus den vier Vorrundengruppen qualifizieren sich nur die jeweils besten Teams direkt für das Viertelfinale, die Zweit- und Drittplatzierten müssen in einer vorgeschobenen K.-o.-Runde antreten. In der deutschen Gruppe C ist Argentinien der Favorit, auf den Weltranglisten-Dritten treffen die Danas im zweiten Spiel. „Argentinien und Holland sind nach Olympia die zwei dominanten Hockey-Nationen bei den Frauen, sie stehen etwas über allen anderen", sagt Reckinger. „Aber wir haben sie auch schon geschlagen und werden Lösungen finden." Auch Nationalspielerin Anne Schröder sieht in den Südamerikanerinnen ein „ganz dickes Brett" – ohne jedoch vor Ehrfurcht zu erstarren: „Das wird mit Abstand der schwerste Gegner, das heißt aber nicht, dass die uns nicht liegen. Die mögen auch unsere Spielweise nicht. Das wird ein knappes Ding." Im Auftaktspiel gegen Südafrika ist ein Sieg fast schon Pflicht, auch gegen Spanien zum Gruppenabschluss sollte die DHB-Auswahl gewinnen. Selbstläufer werden beide Spiele aber wohl nicht. „Beide Teams schätze ich ähnlich vom Niveau her ein, sie sind kämpferisch sehr stark", sagt Anne Schröder. „Das werden sehr enge Spiele, auch wenn ich uns da im Vorteil sehe." Auf ein konkretes WM-Ziel will sich Reckinger nicht festnageln lassen. Er sagt lediglich: „Wir können sehr weit kommen, wenn die Gruppe in der Vorbereitung und in den ersten WM-Spielen zusammenwächst."
Er selbst hat seinen Beitrag dazu schon geleistet. Wie alle anderen „Neuankömmlinge" auch, musste der Belgier vor
versammelter Mannschaft zu einem Lied eine Choreografie tanzen – sehr zur Begeisterung der Danas. So gerne steht Reckinger jedoch nicht im Mittelpunkt, er gilt eher als akribischer Tüftler und Arbeiter. Und als ausgesprochener Teamplayer. Beim Triumph der Damen bei der Hallen-WM in der Berliner Max-Schmeling-Halle im Februar beobachtete der Bundestrainer das Geschehen nur von der Tribüne aus. Das eigentliche Coaching überließ er U21-Trainer Akim Bouchouchi und seinem Assistenten Florian Keller, die im Hallenhockey mehr Fachwissen mitbringen. „Ich finde es sehr ehrlich von ihm, das so zu machen", sagte Keller. „Seine Autorität leidet darunter null." Fast alle Spielerinnen bezeichnen die Arbeit mit Reckinger als angenehm, und sie alle schätzen seine Fachkompetenz. „Er hat ein unglaublich großes Hockeywissen", sagt Anne Schröder, „er hat taktisch gute Sachen drauf und kann uns technisch viel beibringen. Wir sind sehr zufrieden." Nicht wenige hatten befürchtet, dass durch den Abgang von Erfolgscoach Mülders, der im Team sehr beliebt war, die Stimmung leiden würde. Das ist bislang nicht der Fall.
Den Vergleich mit seinem Vorgänger will Reckinger aber so bald wie möglich hinter sich lassen. „Wir haben zwar gleiche Ideen über das Spiel und die Menschenführung, aber es gibt auch Unterschiede", sagt er. Unter seiner Regie soll der Gegner zum Beispiel viel stärker unter Druck gesetzt werden und das eigene Team unberechenbarer spielen. „Es soll sehr viel schwerer sein, uns zu durchschauen. Wir wollen die anderen immer wieder überraschen." Außerdem setzt Reckinger einen größeren Schwerpunkt auf die Athletik. „Dafür sind die Belgier auch bekannt", sagt Anne Schröder, „da geht es jetzt noch mehr um Schnelligkeit, Spritzigkeit und Explosivität." Sie selbst freut sich sehr auf die Zusammenarbeit: „Es wird aufregend, mit ihm das erste große Turnier seit Olympia zu bestreiten."
„Wir wollen immer wieder überraschen"
Anne Schröder ist für Reckinger eine der Schlüsselspielerinnen. Die 23-Jährige, die beim 2:1 im Finale der Hallen-WM gegen den Erzrivalen aus den Niederlanden den Siegtreffer erzielte, soll bei ihm noch offensiver spielen, um ihre Qualitäten besser einsetzen zu können. „Sie kann an zwei, drei Gegenspielerinnen vorbeidribbeln und eiskalt abschließen, das wollen wir noch mehr nutzen", sagt Reckinger. „Sie ist technisch sehr stark und hat ein gutes Gefühl für das Spiel."
Anne Schröder bringt auch noch etwas anderes mit: Unberechenbarkeit. Die flinke und trickreiche Düsseldorferin hat zwar inzwischen gelernt, ihre individuelle Klasse in den Dienst der Mannschaft zu stellen, doch mitunter schert sie auf dem Feld aus dem taktischen Korsett aus – und das darf sie unter Reckinger auch: „Sie ist eine Spielerin, die den Unterschied ausmachen kann." Schröder brennt schon auf die WM. Sie strotzt ohnehin nur so vor Energie, und das liegt nicht nur an ihrer Vorliebe für Energy-Drinks. „Ich bin schnell auf 180 und schnell wieder runter", sagt sie. „Ich habe viel Energie, die es in die richtige Richtung zu lenken gilt. Aber ohne diese Energie wäre ich nicht die, die ich bin." Dass sie und viele Feldspielerinnen bei der Hallen-WM den Titel gewonnen haben, sei auch für die Weltmeisterschaft im Feldhockey in London von Vorteil, glaubt Anne Schröder: „Wenn man vor 10.000 Zuschauern einen Titel feiern kann, dann schweißt das zusammen. Das hat uns viel Selbstvertrauen gegeben." Das hört Reckinger gerne, denn der neue Bundestrainer ist auch sehr ambitioniert: „Man sollte immer versuchen, alle Turniere zu gewinnen, an denen man teilnimmt. Auch wenn das nicht immer möglich ist."
Die Generalprobe für die WM findet vom 11. bis 14. Juli beim Four Nations Cup im Grünwalder Freizeitpark statt. Das Turnier könnte hochkarätiger nicht besetzt sein, neben Gastgeber Deutschland testen dort auch die Niederlande, Argentinien und Neuseeland ihre WM-Form. „Ich persönlich war noch nie in Grünwald", sagt Reckinger, „aber ich habe von der Mannschaft und aus dem Umfeld schon viel Positives gehört. Die Organisatoren stellen dort mit viel Enthusiasmus für uns etwas auf die Beine. Uns wird ja nicht oft die Möglichkeit geboten, uns bei einem High-Standard-Turnier mit den Besten der Welt auf eine WM vorzubereiten." Deshalb wird der Kader für Grünwald auch der endgültige WM-Kader sein. Es wird erstmals auch zwei feste Back-ups geben, also zwei Spielerinnen, die im Falle einer Verletzung einer WM-Fahrerin sofort einsatzbereit von Deutschland aus nach London nachreisen würden.
Verzichten muss der neue Bundestrainer auf Naomi Heyn. Die junge Kölnerin steht nach einem Kreuzbandriss, den sie sich bei der Europameisterschaft 2017 zuzog, noch nicht wieder zur Verfügung. „Das ist natürlich ganz bitter für Naomi", sagt Reckinger, „sie hat bravourös den Einstieg ins Team geschafft und zwei Topturniere bestritten und dabei eine tolle Entwicklung gezeigt." Ein Kreuzbandriss sei aber noch nicht das Ende ihrer Karriere, so Reckinger: „Ich bin mir sicher, dass sie ihren Weg im A-Kader gehen wird."
Spielführerin Janne Müller-Wieland glaubt, dass der Erfolg auch durch den einen oder anderen Ausfall nicht gefährdet ist. „Wir haben gelernt, mit solchen Rückschlägen umzugehen und in den letzten Turnieren mehrfach nach Ausfällen mit einer Spielerin weniger weitergespielt und das gut hinbekommen", sagt sie. „Das schweißt das Team noch ein wenig mehr zusammen."