Historisch war es zweifellos, das Treffen zwischen dem nordkoreanischen Führer Kim Jong-Un und dem US-amerikanischen Präsidenten Donald Trump. Nach 65 Jahren scheint so etwas wie Frieden möglich. Koreaner selbst verfolgen die Entwicklung in der „großen Politik" mit ebenso viel Hoffnung wie Skepsis.
Wenn Sung-Hyung Cho in den vergangenen Wochen durch das Fernsehprogramm zappte, ertappte sie sich dann und wann in einem Moment der Rührung. „Ich verfolge die koreanischen Nachrichten jeden Tag", sagt sie. „Und diese Annäherung, die wir im Moment sehen? Damit hatte ich nicht gerechnet." Die Koreanerin lehrt an der Saarbrücker Hochschule der Bildenden Künste Saar im Fach Künstlerischer Film/Bewegtbild. Wobei sie streng genommen keine Koreanerin mehr ist. Denn um einen Film über Nordkorea zu drehen, musste sie vor einiger Zeit ihre südkoreanische Staatsbürgerschaft abgeben. Das war nötig, um überhaupt in den nördlichen Teil der koreanischen Halbinsel einreisen zu dürfen. Seitdem ist sie offiziell Deutsche und verfolgt aus Saarbrücken die weiteren Entwicklungen, die sie seit der Änderung ihrer Nationalität noch viel mehr freuen. „Ich fühle mich nun als Gesamtkoreanerin", sagt sie. „Wenn ich nach Nord- oder Südkorea reise, dann fühlt es sich an, als wäre ich in meiner alten Heimat zu Besuch."
Die alte Heimat besuchten zwei koreanische Musikerinnen der Deutschen Radiophilharmonie, einem Rundfunkorchester mit Standorten in Saarbrücken und Kaiserslautern im Juni ebenfalls. Bereits zum dritten Mal war das Orchester auf Tournee in dem Land, das diesmal eine neue, eine andere Stimmung auszustrahlen schien. „Wenn ich mit meiner Familie über die Annäherungen zwischen dem Norden und dem Süden rede, dann merke ich schon, dass die Hoffnung besteht, dass wir bald wirklich Frieden bekommen. Die Menschen, die hier leben, hoffen ja seit vielen Jahren", sagt eine Geigerin, die aber nicht unter Nennung ihres Namen über die Situation in Korea sprechen möchte.
Frieden – den gab es auf der Halbinsel schon lange nicht mehr. Zwischen 1950 und 1953 tobte auf der Halbinsel der Koreakrieg zwischen der Demokratischen Volksrepublik im Norden und der Republik Korea im Süden. Während China den Norden unterstützte, bekam der Süden militärische Rückendeckung von den Vereinten Nationen. Beide Staaten, die nach dem Zweiten Weltkrieg aus einer sowjetischen und einer amerikanischen Besatzungszone hervorgegangen waren, verstanden sich als rechtmäßiger Nachfolger des Kaiserreichs Korea, das die nationalsozialistischen Japaner 1910 annektiert hatten. Während die ehemaligen Besatzungszonen zu dieser Zeit in Deutschland ebenfalls für eine Teilung sorgten, eskalierte der Konflikt in Korea mit einem Angriff Nordkoreas Ende Juni 1950. Im Juli 1953, also vor genau 65 Jahren, schlossen die Konfliktparteien ein Waffenstillstandsabkommen. Einen Friedensvertrag gibt es bis heute nicht. Die derzeitige Annäherung zwischen Vereinigten Staaten, Süd- und Nordkorea lässt Hoffnungen wachsen, dass sich das bald ändern könnte.
Kurz vor dem historischen Treffen zwischen Donald Trump und Kim Jong-un war die rund 80-köpfige Orchestertruppe aus dem Saarland in Südkorea unterwegs. „Wir spielen zum Abschluss jedes Konzerts ein koreanisches Stück, und ich hatte schon das Gefühl, dass da ein größeres Raunen durchs Publikum ging als auf unseren bisherigen Tourneen durch Korea", sagt Reinhilde Adorf. Das Stück „Kumgansan" handelt von einem Berg, der durch die Teilung der Staaten in Nordkorea liegt. Im Süden vermissen sie ihn. Vielen Konzertbesuchern kommen die Tränen, als das Orchester das Stück spielt. Dass die Teilung der Halbinsel viele Familien zerrissen hat, wird in diesem Moment im Konzertsaal geradezu fühlbar.
„Die Nordkoreaner sind keine Teufel"
Auch der südkoreanische Präsident, Moon Jae-in, ist persönlich betroffen. Sein Vater flüchtete aus Nordkorea, Moon schaffte es, in Südkorea eine politische Karriere hinzulegen. „Doch genau aus diesem Grund, dass sein Vater immer den Wunsch hatte, noch einmal ihre Heimat zu sehen, scheint es für ihn so eine Herzensangelegenheit zu sein, die Friedensbemühungen voranzutreiben", sagt Sung-Hyung Cho. Im Fernsehen verfolgte sie Ende April den historischen Moment, als Kim Jong-un als erster Führer Nordkoreas einen Fuß über die innerkoreanische Grenze setzte und Moon herzlich umarmte.
Auch in Südkorea flimmerten diese Szenen auf den Bildschirmen. Doch dort waren viele zu Beginn eher skeptisch. „Das war doch alles nur eine Show", sagt der Musikhändler Yong-san Han, der in der Stadt Daegu lebt. Anfangs hatte er große Erwartungen an das Treffen zwischen Kim Jong-un und Donald Trump. „Aber was die beiden da treiben, ist doch ein Kindergarten", schimpft er. „Und wir, das Volk, stehen dazwischen. Das ist nicht gut." Lieber wäre es ihm, wenn es Gespräche mit Trump, Kim und Moon an einem Tisch gäbe. „Auf diese Weise könnte man sich wirklich stark für etwas einsetzen, aber so wie es jetzt ist, bringt es nichts. Kim macht ja eh, was China will." Han ist sicher, dass die Südkoreaner das jetzige Vorgehen irgendwann noch bereuen werden und ist enttäuscht. Dennoch sagt er: „Natürlich wünsche ich mir eine koreanische Einheit. Und wenn ich für 20 Jahre einen Solidaritätsbeitrag zahlen müsste, der die Hälfte meines Einkommens kostet, dann wäre ich dazu bereit." Von den Medien, Trump und Kim fühlt er sich allerdings verschaukelt.
Diese Skepsis war auch der Regisseurin Sung-Hyung Cho aufgefallen. „Als Kim Jong-un in seiner Neujahrsansprache bereits Andeutungen machte, einen Frieden erreichen zu wollen, da hat man ihm nicht geglaubt", sagt sie. Dann kamen die Olympischen Winterspiele, bei denen eine nordkoreanische Delegation im Süden zu Besuch war. Es gab Demonstrationen auf den Straßen. Noch immer war das südkoreanische Volk äußerst skeptisch, „aber seit sich die beiden Staatschefs zum ersten Mal getroffen haben, hat sich die Meinung hier geändert. Inzwischen sind 90 Prozent der Südkoreaner für eine Annäherung an den Norden."
Dass das solch ein langer, schwieriger Prozess ist, liegt an der Propaganda auf beiden Seiten der Grenze. Denn auch im Süden taten die Regierungen über Jahrzehnte hinweg alles, um die nördlichen Nachbarn als böse darzustellen. „Wir haben im Schulbuch ein Bild von Kim Jong-il gehabt, in dem er als Teufel dargestellt war. Eine Comicfigur, die aussah, wie ein Teufel", erinnert sich Sung-Hyung Cho. Dabei entdeckte sie auf ihrer Recherchereise nach Nordkorea nicht das, was sie erwartet hatte. „Nordkorea ist ein ursprüngliches Land, technisch und städtebaulich auf dem Niveau des Südkoreas der 70er-Jahre." Der Süden dagegen ist durch und durch kapitalisiert. Blinkende Werbetafeln werben für westliche Unternehmen und Werte, während im Norden Kim Jong-un von meterhohen Plakaten grinst. Wo in Nordkorea noch unberührte Berge stehen, sind sie im Süden für die kürzlich ausgetragenen Olympischen Winterspiele erschlossen. So hoch wie die nordkoreanischen Berge sind dort die 40-stöckigen Wolkenkratzer in den Großstädten, die anmuten, wie eine US-amerikanische Downtown.
Auf den Straßen der Städte beunruhigt der nach wie vor schwelende Kriegsstatus längst niemanden mehr. Gasmasken in U-Bahn-Stationen für den Fall eines Angriffs – in Südkorea ist das Normalität. Doch eines ist dem Saarbrücker Musiker Stefan Böhnlein sofort ins Auge gefallen: „Als wir vor zwei Jahren in Seoul waren, sind minütlich Kampfhubschrauber und Jets über die Stadt geflogen. Diesmal war es ruhig", sagt er. Möglicherweise ist das als weiteres Zeichen zu deuten, dass der Frieden in Korea tatsächlich nah ist.
„Die Nordkoreaner sind keine Teufel, das habe ich gelernt", sagt sie. „Sie sind uns viel ähnlicher, als uns vielleicht lieb ist", bemerkt Sung-Hyung Cho. Ein Frieden zwischen den getrennten Staaten wäre eine logische Konsequenz und nach 65 Jahren auch an der Zeit.