Seehofers erzwungene Einigung mit der CDU bereinigt die Lage in der Union nicht
Man könnte es – frei nach US-Präsident Donald Trump – als Strategie des „maximalen Drucks" bezeichnen. Das Verhältnis zwischen den Schwesterparteien der Union war nie arm an Reibereien. Doch die Frontal-Konfrontation von Innenminister und CSU-Chef Horst Seehofer im Asylstreit mit Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) ist einzigartig. Seehofer zog alle Register zwischen Drohung und Einschüchterung. Ein grandioses Krawall-Theater.
Am vergangenen Sonntag hat Seehofer im CSU-Vorstand erst den Rücktritt von seinen Ämtern angekündigt, dann den Rücktritt vom Rücktritt. Ein bizarrer Ego-Trip, in dem der Pirouetten drehende Christsoziale die eigene Partei, die Christdemokraten, die Republik und die internationale Öffentlichkeit vor den Kopf stieß.
Dabei hatte Merkel beim EU-Gipfel Ende Juni einen vergleichsweise weitreichenden Kompromiss erzielt: Vereinbarungen zur Rücknahme von Flüchtlingen mit mehreren Ländern, Stärkung der Außengrenzen durch Aufstockung des Personals, Errichtung von Auffanglagern in Europa und Nordafrika. Der Haken an der Sache: Alles basiert auf Freiwilligkeit. Seehofer sah rot. Er beharrte auf die Zurückweisung von Flüchtlingen, die bereits in anderen EU-Ländern registriert wurden, und setzte ein Ultimatum.
Montagnacht dann der Kompromiss in letzter Minute. CDU und CSU einigen sich auf Transitzentren für Migranten an der deutsch-österreichischen Grenze. Flüchtlinge, die bereits woanders in der EU Asyl beantragt hatten, sollen auf der Basis von Verwaltungsabkommen mit den betreffenden Staaten zurückgeschickt werden. Es ist ein alter Unions-Vorschlag, der Ende 2015 von der SPD in Bausch und Bogen abgelehnt worden war. Ob die Sozialdemokraten dieses Mal zustimmen, ist offen. Aber möglicherweise wirkt die Aussicht auf eine weitere Klatsche bei Neuwahlen disziplinierend.
Bei Seehofers Politik mit der Brechstange geht es auch um die Begleichung alter Rechnungen. Merkels handstreichartig durchgezogene Öffnung der Grenzen im September 2015 hielt der Bayer von Beginn an für einen schweren Fehler. Beim CSU-Parteitag im November des gleichen Jahres watschte der damalige Ministerpräsident die Kanzlerin vor allen Delegierten ab. Vor der Bundestagswahl im September 2017 schluckte er seinen Ärger herunter und begab sich auf Kuschelkurs zur „lieben Angela". Ein taktischer Zug, denn Streit kostet Prozente.
Wenige Monate vor der bayerischen Landtagswahl im Oktober brach sich der alte Groll wieder Bahn. Seehofer wie der gesamten CSU-Spitze sitzt die AfD im Nacken, die in der Flüchtlingspolitik totale Abschottung predigt. Seehofer will Härte demonstrieren. Der Zoff mit der CDU ist aus regionalpolitischen Gründen kalkuliert. Ein riskantes Spiel.
Doch der 69-Jährige ist nicht der einzige Akteur auf der Bühne. Antreiber in dem Konflikt mit Merkel waren Bayerns Ministerpräsident Markus Söder sowie CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt. Beide haben Muffensausen vor der AfD und suchen krampfhaft nach einem harten Profil gegen Migranten. Beide werfen Merkel eine Sozialdemokratisierung der Union vor und bewundern den konservativen Kurs des österreichischen Kanzlers Sebastian Kurz.
Und: Beide sind ehrgeizig. Söder hat Seehofer zuerst aus dem Amt des bayerischen Regierungschefs gedrängt. Nun strebt er auch nach dem CSU-Vorsitz. Dobrindt will das auch. Ihr Kalkül: Seehofer soll sich im Nahkampf mit Merkel aufreiben.
Vor allem Söder hat Seehofer heiß gemacht auf das Duell mit der Kanzlerin. Er hatte den Asylstreit als „Endspiel um die Glaubwürdigkeit" bezeichnet. Doch dies ist nur verbale Kraftmeierei, um gegen die AfD zu punkten. Denn zuletzt gab sich der Ministerpräsident als Mann der staatpolitischen Vernunft: Die CSU habe Interesse an der Stabilität der Bundesregierung und wolle die Fortsetzung der Fraktionsgemeinschaft. Würde diese auseinanderbrechen und die CDU in Bayern antreten, wäre dort die absolute Mehrheit der CSU definitiv futsch. Es scheint, als habe Söder Seehofer ins Feuer geschickt, um sein eigenes Süppchen zu kochen.
Die Unions-Einigung vom Montag hat die Gräben zwischen CDU und CSU für den Moment zugeschüttet. Bereinigt ist die Lage damit nicht. Der nächste Zank ist programmiert. Eine Partei freut sich darüber ganz besonders: die AfD.