Sachsen ist das Mekka für alle Freunde von Dampflokomotiven. Noch immer sind fünf Schmalspurbahnen täglich auf fast 100 Kilometern Strecke unterwegs – die Dampfbahn-Route Sachsen verbindet die einzelnen Angebote. Besonders interessant ist eine Fahrt mit der Zittauer Schmalspurbahn.
Es ist jedes Mal wieder ein Schauspiel, wenn die alte Dampflok in den Bahnhof von Oybin einrollt. Mit einem langen Tuten hat sich der Zug schon von Weitem angekündigt und damit das Rennen um die besten Bilder eröffnet. Die Schaulustigen bringen sich mit ihren Kameras in Position. Einige sind durch eine Hecke gekrochen, um das beste Motiv zu erwischen; ein Japaner hat sogar einen kleinen Hocker mitgebracht. Als der Zug schließlich schnaufend in den Bahnhof einfährt, klicken die Fotoapparate im Stakkato. Nur drei Amerikaner aus Baltimore stehen einfach nur da und genießen den Augenblick. Fast 9.000 Kilometer sind sie über den Atlantik gereist, um die historische Technik der Zittauer Schmalspurbahn einmal hautnah zu erleben. „So etwas gibt es bei uns nicht", sagt einer von ihnen. Dann erzählt er, dass sie nicht zum ersten Mal nach Deutschland gekommen sind, um Eisenbahnen anzuschauen. „Wir machen das eigentlich alle paar Jahre", sagt er. Und gerade Sachsen zähle dabei zu ihren bevorzugten Reisezielen.
Sachsen ist Deutschlands Eisenbahnregion Nummer eins. Schon 1839 fuhr dort auf der Strecke von Leipzig nach Dresden der erste Fernzug, gezogen von der ersten in Deutschland gebauten Dampflok „Saxonia". Die erste Eisenbahn hierzulande war zwar schon vier Jahre zuvor zwischen Nürnberg und Fürth unterwegs gewesen, doch die „Adler"-Lokomotive stammte aus England. Später wurde dann fast jeder Winkel im Königreich Sachsen mit der Schiene erschlossen. Allein das Schmalspurnetz umfasste fast 500 Kilometer und war damit das dichteste des Landes.
Diese Tradition wird bis heute bewahrt. Immer noch sind fünf Schmalspurbahnen täglich auf fast 100 Kilometern Strecke unterwegs: Neben der Zittauer Schmalspurbahn sind es noch die Lößnitzgrundbahn, die Fichtelbergbahn, die Weißeritztalbahn sowie die Döllnitzbahn, auf der sogar ein morgendlicher Schülerverkehr für die umliegenden Schulen stattfindet. Aber auch die drei dampfbetriebenen Museumsbahnen sowie zahlreiche Museen und Denkmale stehen für rund 180 Jahre Eisenbahngeschichte in der Region. Sie alle haben sich seit 2009 zur Dampfbahn-Route Sachsen zusammengeschlossen, einer Art Ferienstraße mit einer Gesamtlänge von etwa 700 Kilometern. „Ziel ist es, das deutschlandweit dichteste und vielseitigste Angebot historischer Eisenbahnen besser zu vermarkten", sagt Projektleiter Christian Sacher. Bislang funktioniert das ganz hervorragend: 2017 zählten die sächsischen Eisenbahnen zusammen 1,1 Millionen Fahrgäste und kamen damit erstmals auf mehr Passagiere als die Harzer Schmalspurbahnen rund um den Brocken.
180 Jahre Eisenbahngeschichte
Innerhalb des sächsischen Eisenbahnverbunds nimmt die Zittauer Schmalspurbahn gleich aus mehreren Gründen eine Vorreiterrolle ein. Sie beziehungsweise ihr Betreiber, die Sächsisch-Oberlausitzer Eisenbahngesellschaft, ist nicht nur der Träger des Projekts Dampfbahn-Route, sondern auch der einzige Bahnbetreiber im Bundesland, der auch selbst Übernachtungen mit Eisenbahn-Ambiente anbietet. Im Kurort Jonsdorf entstand im Empfangsgebäude die Pension „Zum Bahnel" – der ehemalige Wartesaal des Bahnhofs fungiert heute als Frühstücksraum. In Oybin gibt es mit der Ferienwohnung im historischen Wasserhäuschen und den beiden in Ferienwaggons umgebauten Personenwagen sogar gleich zwei Angebote für Eisenbahnfreunde. Direkt vor der Haustür fassen die Lokomotiven neues Wasser – näher dran geht es kaum. Kein Wunder, dass die Waggons oft Monate im Voraus ausgebucht sind.
Die Zittauer Schmalspurbahn ist auch deshalb so besonders, weil sich die Menschen dort wie in kaum einer anderen Region mit ihrer Eisenbahn identifizieren. Was sicher auch daran liegt, dass im Zittauer Gebirge als kleinstem Mittelgebirge Deutschlands nahezu jeder wichtige Ort mit dem Zug erreicht werden kann. „Die Bahn war bei uns schon immer ein wichtiges Verkehrsmittel gewesen und ist es bis heute", sagt Heiko Firle, Vorsitzender des Interessensverbands der Zittauer Schmalspurbahnen. Trotzdem sollte die Strecke 1990 eingestellt werden, weil sie einem geplanten DDR-Braunkohletagebau im Weg lag. Das Ende war eigentlich schon beschlossene Sache, doch dann kam die Wende und die Bahn durfte weiterfahren. „Für die Identifikation der Leute war das eine ganz wichtige Sache", sagt Firle.
Im historischen Bahnhof von Bertsdorf betreibt die Interessensgemeinschaft ein kleines Museum, zu dessen Prunkstücken neben mehreren Lokomotiven auch ein alter Postwaggon aus dem Jahr 1892 zählt, der gerade wieder aufgearbeitet wird. „Das ist einmalig. Mir ist in Deutschland kein anderes erhaltenes Exemplar eines solchen Wagens bekannt", sagt Heiko Firle. Sein Verein besitzt außerdem eine Ferienwohnung im Obergeschoss des Bahnhofs, die früher einmal die Dienstwohnung des örtlichen Bahnverwalters gewesen war. Heute kann sich dort jeder den Traum erfüllen, einmal Bahnhofsvorsteher zu sein. Vom Küchenfenster aus schaut man den vorbeifahrenden Dampfloks direkt in den Schornstein. Zum Abendessen geht man am besten ins gegenüberliegende Hotel „Bahnhof Bertsdorf", wo die Getränke mit einer Modelleisenbahn serviert werden.
Zeitgleiche Ausfahrt zweier Dampfzüge
In Bertsdorf teilt sich die Stammstrecke aus Zittau. Einmalig in Sachsen ist die zeitgleiche Ausfahrt zweier Dampfzüge nach Jonsdorf beziehungsweise nach Oybin, die sich aus dem Stellwerk besonders gut beobachten lässt. Von dort oben hat auch Fahrdienstleiter Nico Czerny alles im Blick. Er weiß, was die Menschen bis heute an den alten Eisenbahnen fasziniert: „Man kann sehen, wie die Maschine arbeitet und die Kraft förmlich spüren. So etwas erlebt man bei den modernen Zügen nicht mehr." Christian Sacher von der Dampfbahn-Route Sachsen vergleicht die Fahrten mit den Dampflokomotiven auch gern mit einer Zeitreise in die Vergangenheit. „Es ist das Erlebnis des Reisens wie zu Großmutters Zeiten", sagt er.
Damals war die Strecke nach Oybin hinauf sogar zweigleisig gewesen, weil vor allem die Berliner gern ins Zittauer Gebirge fuhren, um Sommerfrische zu tanken oder im Winter Ski zu fahren. In den 20er-Jahren wurden an einem Tag einmal 18.000 Fahrgäste gezählt – die Züge fuhren damals im 15-Minuten-Takt wie die S-Bahn. Wirklich schnell waren sie allerdings nicht, weshalb der Volksmund die Abkürzung ZOJE, die eigentlich für Zittauer-Oybiner-Jonsdorfer Eisenbahngesellschaft stand, bald in „Zug ohne jegliche Eile" umtaufte. Und nicht zu Unrecht hing in den Zügen der Hinweis: Blumen pflücken während der Fahrt verboten! „Es geht beim Thema Dampfbahn-Route auch immer um Entschleunigung", sagt Christian Sacher. Dieses Phänomen zeigt sich schließlich auch auf der Rückfahrt aus Oybin nach Zittau. Auf einmal sind nämlich selbst die Hobby-Fotografen, die bei der Einfahrt des Zuges noch aufgeregt mit ihren Kameras herumgewerkelt hatten, ganz still. Nur das Leuchten in ihren Augen verrät, dass sie sich mit dieser Zugfahrt gerade einen Kindheitstraum erfüllen.