Per Rad und Bus geht es durch den grünen Norden Marokkos – über Chefchaouen, eine der schönsten Städte des Landes, bis hin zum berühmten Tanger. Die Hafenstadt lockte schon viele Künstler und exzentrische Millionäre und diente als Kulisse für verschiedene Filme. Unter anderem jagte auch James Bond hier den Bösewichten hinterher.
Kaum sitzen wir eine halbe Stunde im Sattel, klickt Petrus das Programm „Wolkenbruch" an. Dicke Tropfen pladdern auf uns nieder, als wollte der Regen die ganze Erde mal gründlich waschen. Zum Glück lädt am Straßenrand eine Teestube mit überdachter Terrasse zum Unterstellen ein. Beim dampfenden Minztee warten wir auf die Sonne. Irgendwann überredet sie den Regen endlich aufzuhören. Als sie Gucklöcher durch die graue Decke bohrt, fahren wir weiter. Jetzt leuchten die bewaldeten Berge in satten Grüntönen, die eher an Island erinnern als an einen Wüstenstaat. Auf einer überraschend gut ausgebauten Asphaltstraße radeln wir weiter bis zum nächsten Platzregen. Eigentlich wollten wir auf dem Drahtesel durch den Norden Marokkos. Doch nun hievt unser Fahrer die Räder in den Begleitbus und wir fahren trockenen Hauptes weiter nach Tetouan, in die nordwestlichen Ausläufer des marokkanischen Rifgebirges.
Die 40.000-Einwohner-Stadt wird im Volksmund „Hammam el Beida – weiße Taube" genannt, weil hier die meisten Häuser weiß gestrichen sind. Obwohl die Stadt bis 1956 unter spanischem Protektorat stand und noch spanische Einflüsse erkennbar sind, fühlt man sich gleich mitten im Orient. Männer laufen in Gewändern, die wie Nachthemden aussehen, durch die Straßen. Frauen tragen lange Kleider und Kopftücher. Irgendwo dudelt arabische Musik aus einem Radio. Von einem der vielen Minarette ruft der Muezzin.
Die Altstadt ist von einer dicken Mauer umgeben. Darin liegen die Souks, kleine Gassen, in denen die Einheimischen Hühner, Fisch, Gemüse und Stoffe verkaufen. Ein Schneider näht mit Nadel und Faden per Hand ein neues Gewand. Im nächsten Souk riecht es nach Curry und anderen exotischen Gewürzen. Ohne Stadtführer würden wir aus dem Gewimmel der Gassen kaum wieder herausfinden. Obendrein begleitet uns ein Polizist in Zivil, um die Bettler fernzuhalten. Er bedauert, dass wir Pech mit dem Wetter haben: „Das sind noch Reste des Monsuns", sagt er, „durch die Klimaveränderung verspätet er sich immer mehr."
Die Händler preisen Handarbeiten an
Auf vier Rädern rollen wir weiter Richtung Chefchaouen, eine der schönsten Städte in Nordmarokko. Sie liegt auf einem 600 Meter hohen Plateau zwischen zwei Zweitausender-Gipfeln. Um im Sommer die Hitze abzuhalten, streichen viele Einheimische die Häuser in kobaltblau. Am Outa-El-Hammam-Platz gegenüber der Moschee sitzen Männer vom Volksstamm der Berber auf der (überdachten) Terrasse des Teehauses und schlürfen ihren Minztee. An ihre gestreiften Kapuzengewänder muss man sich erst gewöhnen. Sie erinnern ein wenig an Knecht Ruprecht, nur die Rute und der Geschenkesack fehlen. Die Frauen der Berber tragen bunte Trachten und riesige Strohhüte. Sie hocken auf Schemeln und verkaufen ihr Gemüse. Zum Abendessen probieren wir „Tahine", den marokkanischen Eintopf mit Rindfleisch und Gemüse. Dazu gibt es natürlich Tee. Alkohol ist in der Altstadt verboten. Stattdessen wird den Männern auf der Straße „Kif" angeboten. Schließlich ist das nahe gelegene Rifgebirge bekannt für seine riesigen Hanffelder und Marokko der größte Haschisch-Exporteur. Doch wer erwischt wird, muss unter Umständen mit einer Gefängnisstrafe rechnen.
Am nächsten Tag lächelt die Sonne wieder schüchtern durch die Wolken. Zeit für einen Bummel durch die blauen Gassen, vorbei an kleinen Läden, die überquellen mit Stoffen oder Schuhen, Lederwaren oder Teppichen. Freundlich preisen die Händler ihre Handarbeiten an. Aus einem Seifenladen duftet es kunterbunt. Drinnen türmen sich Seifenstücke wie Legosteine im Kinderzimmer. Inhaber Yassin Laasri, ein freundlicher Mann mit kurz geschorenen Haaren, zeigt wie man gute Seife erkennt: Er nimmt zwei Stücke schlägt sie gegeneinander: „Wenn der Ton hell klingt, ist die Seife industriell gefertigt", sagt er. Seit zwölf Jahren betreibt der studierte Chemiker den Laden. Er selbst stellt Seife nur auf natürliche Weise her. Obendrein verkauft er Gewürze und das wertvolle Arganöl, das inzwischen auch in Europa geschätzt wird. Aus 100 Kilogramm Arganfrüchten gewinnt man nur einen einzigen Liter Öl. Handeln kann man bei ihm nicht. Im Teppichladen um die Ecke ist das Pflicht. Hier lockt Mustafa die Passanten herein. Erst nachdem er beinah seine gesamte Kollektion präsentiert und jeden ordentlich zum Lachen gebracht hat, geht er zur Preisgestaltung über. Wenn man gut feilschen kann, schrumpft der Preis auf die Hälfte oder ein Drittel.
Am Abend erleben wir ein original marokkanisches Hammam. Drei Frauen, nur bekleidet mit Badehose und Kopftuch führen die Behandlung durch.
Sie seifen uns ein und schütten Eimer voll Wasser über uns aus. Rubbeln die Haut mit einem Massagehandschuh ab, was sich nach grobkörnigem Schmirgelpapier anfühlt, seifen erneut ein, rubbeln bis wir rot wie Krebse sind und die Muskeln weich wie Marshmallows. Ein weiterer Wasserschwall und noch einer. Nach gefühlten 50 Eimerduschen verlassen wir blank geputzt das Hammam. Die Frauen verstehen wirklich was von Sauberkeit. Umso mehr, als wir sie am nächsten Tag als Zimmermädchen wiedersehen.
Ein letztes Duftholen in Yassins Seifenladen, dann reisen wir ab. Der Bus bringt uns über die Berge zurück Richtung Küste. Als der Regen nachlässt steigen wir endlich auf die Fahrräder um. Es geht auf einer wenig befahrenen Asphaltstraße immer bergab. Um uns herum leuchten grüne, mit Büschen bewachsene Hügel. In der Commune Bni Said arbeiten Bauern mit ihren Eseln auf den Feldern. Als sie uns erblicken, winken sie. Radfahrer sind hier eher selten. Wir radeln weiter Richtung Küste, wo die Landschaft karger und damit wüstenähnlicher wird. Mit Wind in den Haaren und einem wunderbaren Blick aufs Meer rollt es sich wie von selbst bis in die Nähe von Azla. Dort nimmt der Bus uns wieder in Empfang und bringt uns nach Tanger.
Mit Verkehrsgehupe empfängt uns die Hafenstadt. Das Eingangstor zu Afrika war einst Sehnsuchtsort und Kifferparadies für Künstler und reiche Exzentriker – und immer ein bisschen geheimnisvoll. Um das besondere Lebensgefühl hier zu spüren, muss man womöglich länger bleiben. Bei unserer Stippvisite erscheint die „Grande Dame" im Vergleich zu Chefchaouen groß, laut und etwas schmuddelig. Unter der Hafenpromenade, wo früher der kilometerlange Sandstrand begann, stehen riesige Kräne. „Hier wird ein Kreuzfahrtterminal gebaut", erzählt Abdullah Bakahin. Der drahtige Mann trägt einen weißen Fes auf dem Kopf. Er ist so etwas wie ein Urgestein in Tanger. Früher war er Akrobat im Zirkus. Heute arbeitet er im Fremdenverkehr. Er führt uns zu Fuß durch einige der 925 Straßen in der Medina. Eine Gasse ist so schmal, dass sich die gegenüberliegenden Balkone fast berühren. „In 49 Jahren sind die beiden 15 Zentimeter aufeinander zugerückt", erzählt Abdullah und zeigt auf ein – womöglich durch tektonische Erdverschiebung – zusammengewachsenes Balkonehepaar. Vor einem zahnstocher-schmalen, rosa gestrichenem Haus bleibt er stehen: „Dies gehört Keith Richards. Viele Stars haben in den 60er-Jahren ein Haus oder Appartement in Tanger gekauft." Ein paar Ecken weiter komponierte die Rockgruppe The Clash ihren Hit „Rocking the Kasbha". Die Kasbah – die Festung innerhalb der Altstadt – diente auch schon als Kulisse für viele Filme. So wurden hier Szenen für den James-Bond-Film „Spetcre" gedreht. Die Villa des Milliardärs Malcolm Forbes – an der Steilküste hoch über dem Meer gelegen – war Kulisse in „Ein Hauch des Todes".
Wieder am Hafen verabschieden wir uns von Abdullah und nehmen die Fähre zurück nach Europa. Damit wir letzte schöne Eindrücke von der Stadt bekommen, hat Petrus doch noch das Programm gewechselt. Es heißt nun: „Himmelblau über Afrika".