Bieg doch mal ab! Die großen braunen Tafeln entlang der Autobahn sollen Autofahrer auf Baudenkmäler, Landschaften und Kulturstätten hinweisen. Ob das reicht, jemanden zum „Felsenmeer Hemer" oder in die „Atta-Höhle Attendorn" zu locken, ist nicht erwiesen. Jedenfalls wächst die Zahl der Tafeln stetig.
Wohl jeder hat die braun-weißen Schilder am Straßenrand schon einmal gesehen, die Verkehrsteilnehmer in Wort und Bild auf touristische Ziele hinweisen sollen. In den vergangenen Jahren ist die Zahl dieser im Amtsdeutsch sogenannten „touristischen Unterrichtungstafeln" stetig gestiegen – eine Inflation. Geschätzt 50 neue Tafeln kommen bundesweit jedes Jahr dazu – obwohl die Straßenverkehrsordnung eigentlich besagt, sie dürften nur äußerst sparsam angebracht werden. Und obwohl niemand wirklich weiß, ob dadurch tatsächlich mehr Besucher kommen.
„Es gibt keine Zahlen oder Studien zu diesem Thema", sagt Birgit Kunkel von der TMB Tourismus-Marketing Brandenburg GmbH auf die Frage nach den wirtschaftlichen Effekten solcher Hinweisschilder. 205 davon stehen momentan entlang der Brandenburger Autobahnen und weisen zum Beispiel auf das Dominikanerkloster in Prenzlau oder die Badelandschaft Tropical Islands hin. In jedem Fall seien solche Schilder „eine schöne Möglichkeit, auf touristische Highlights aufmerksam zu machen, die an der Strecke liegen", meint die Sprecherin der landeseigenen Marketingorganisation.
Tatsächlich dürften sich die Kosten von 4.000 Euro für ein solches Schild, die in diesem Fall der Antragsteller zu tragen hat, schnell wieder rentieren. So fahren beispielsweise laut Verkehrszählungsdaten der Bundesanstalt für Straßenwesen täglich über 13.000 Autos auf der Autobahn A 11 in Richtung Norden an der Tafel vorbei, mit dem der Nationalpark Unteres Odertal für sich wirbt. Im Jahr sind das 4,7 Millionen Fahrzeuge. Selbst wenn nur jeder Tausendste das Schild als Anlass nehmen würde, den Nationalpark zu besuchen, dann wären das jährlich schon 5.000 Besucher mehr, die den Tourismus in der Region beleben würden.
Keiner hat die Schilder gezählt
Die Idee mit den Hinweisschildern stammt ursprünglich aus Frankreich. In Deutschland wurde das erste Schild für die Burg Teck 1984 an der Autobahn bei Stuttgart aufgestellt; in anderen Quellen wird das Schild zu den Löwensteiner Bergen nahe Heilbronn als erste touristische Hinweistafel genannt. Bis heute stehen in Süddeutschland die meisten Schilder am Straßenrand.
Wie viele es bundesweit insgesamt sind, vermag allerdings niemand zu sagen. Weder das Bundesverkehrsministerium noch die Bundesanstalt für Straßenwesen können dazu eine Auskunft geben. „Bei der Anordnung von Verkehrszeichen handelt es sich um die Durchführung der Straßenverkehrsordnung. Diese fällt wegen der im Grundgesetz verankerten Kompetenzverteilung in die Zuständigkeit der Landesbehörden. Der Bund hat hier keine Eingriffs- oder Weisungsrechte", heißt es aus dem Ministerium. „Dem Bund liegen daher keine Informationen über die Zahl der vorhandenen, bei den zuständigen Straßenverkehrsbehörden der Länder neu beantragten oder von diesen genehmigten beziehungsweise abgelehnten touristischen Unterrichtungstafeln an Autobahnen sowie deren wirtschaftliche Wirkungen in den Regionen vor", so ein Sprecher.
Wer sich mit einem Schild an der Autobahn bemerkbar machen will, muss zunächst einen Antrag bei der zuständigen Straßenverkehrsbehörde seines Bundeslandes stellen, in Brandenburg also beim Landesbetrieb für Straßenwesen. Dort werde zunächst die grundsätzliche bauliche Möglichkeit geprüft, ein solches Schild zu errichten, erklärt Steffen Streu, Sprecher des Ministeriums für Infrastruktur und Landesplanung. „Besteht diese Möglichkeit, geht der Antrag an den Landestourismusverband Brandenburg, der wiederum seinerseits den zuständigen regionalen Tourismusverband einbezieht und um Prüfung beziehungsweise eine touristische Stellungnahme bittet. Dadurch ist gewährleistet, dass Ortskenntnis und die Beurteilung der touristischen Relevanz Hand in Hand gehen", sagt Streu.
Welche Sehenswürdigkeiten überhaupt in Frage kommen, ergibt sich aus den sogenannten Richtlinien für touristische Beschilderung. Demnach müssen die Ziele entweder von der Autobahn aus sichtbar sein oder dürfen nicht weiter als zehn Kilometer von einer Autobahnanschlussstelle entfernt liegen; zudem sollen zwischen zwei Ausfahrten nicht mehr als zwei Schilder mit einem Mindestabstand von 1.000 Meter aufgestellt werden. Innerhalb von sogenannten Wegweisungsketten, das heißt von der Ankündigung der sich nähernden Ausfahrt bis zur Entfernungstafel dahinter bis zur nächsten Ausfahrt, sind die Schilder grundsätzlich nicht erlaubt.
Die Richtlinien gelten eigentlich bundesweit. Einige Bundesländer haben jedoch für ihr Territorium die Vorschriften teils deutlich gelockert. So dürfen zum Beispiel in Sachsen seit 2011 sogar bis zu vier Schilder zwischen zwei Anschlussstellen errichtet werden; der Mindestabstand zwischen zwei Tafeln wurde auf 250 Metern verringert.
„Sachsen ist das anerkannte Kulturreiseland Nummer eins in Deutschland. Auf zahlreiche touristisch bedeutsame Ziele im Freistaat konnte aber bisher an den Autobahnen nicht hingewiesen werden. Um nun alle sächsischen Regionen einbeziehen zu können, haben wir die Ausführungsbestimmungen der Bundesrichtlinie für Sachsen gelockert", begründete der damalige sächsische Verkehrsminister Sven Morlok (FDP) diesen Schritt. „Sachsen ist ein tolles Urlaubsziel, für einen Wochenendtrip mit Kindern ebenso wie für Zweiradtouren und Kulturreisen. Die Tourismusschilder öffnen die Augen für Ausflugsziele, die vielleicht noch nicht jeder kennt – die aber einen Abstecher wert sind."
Für jede Scheune eine Tafel?
Auch Thomas Hessling vom Automobilclub ADAC lobte die braun-weißen Schilder schon vor ein paar Jahren gegenüber „Spiegel Online" als „Heimatkunde im Vorüberfahren". Die Tafeln seien eine tolle Sache, langweilige Autofahrten aufzulockern, zur Konversation anzuregen die Allgemeinbildung zu fördern und miteinander ins Gespräch zu kommen.
Zumal Studien ergeben haben, dass selbst bei Pendlern, die regelmäßig auf derselben Autobahnstrecke unterwegs sind, sich die Regionalkenntnisse auf Start- und Zielort beschränken. Die täglich durchfahrene Landschaft bliebe dagegen fremd und touristische Ziele unbekannt.
Doch es gibt auch Kritiker. Ebenfalls auf „Spiegel Online" beklagte Thomas Hillenbrand bereits 2009, dass bald wohl jede Scheune ihre eigene Tafel bekäme. „Die Sache mit den Touri-Schildern mag einmal eine gute Idee gewesen sein. Inzwischen ist das Ganze jedoch außer Kontrolle geraten. Gab es früher lediglich vereinzelt Tafeln, strebt inzwischen jeder Dorfvorsteher danach, seinem namenlosen Flecken eines dieser repräsentativen Schilder zu beschaffen", schrieb der Journalist damals.
Seitdem ist die Zahl der Hinweisschilder noch gestiegen. Auf der Autobahn A 9 Richtung München sind es kurz vor Bad Berneck mittlerweile sogar vier innerhalb von 500 Metern. Doch zu viele Schilder können eben auch dazu führen, dass jedes einzelne womöglich weniger wahrgenommen wird.
„Zu viele Schilder könnten in der Tat kontraproduktiv sein", meint Birgit Kunkel von der TMB Tourismus-Marketing Brandenburg GmbH. Für Brandenburg sehe sie diese Gefahr aber im Moment keinesfalls. Kunkel: „Hier ist gerade die Expertise der regionalen Touristikfachleute wichtig, die wissen, dass es darum geht, Schwerpunkte zu setzen."