Als unsere Vorfahren einst vom warmen afrikanischen Kontinent in kühlere Gefilde aufbrachen, half ihnen ein bestimmtes Gen, sich leichter an die neuen klimatischen Bedingungen anzupassen. Gleichzeitig führte das aber zu einer Anfälligkeit für Migräne.
Eigentlich wollten die Forscher vom Leipziger Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie rund um den Evolutionsgenetiker Felix-Michael Key bei ihren jüngsten Studien herausfinden, wie sich die frühen Menschen genetisch entwickelt haben mussten, um sich nach ihrer Abwanderung aus Afrika an die niedrigeren Temperaturen im Norden anpassen zu können. Sie konzentrierten sich bei ihrer Arbeit auf ein bestimmtes Gen namens TRPMB, das die genetische Information oder gewissermaßen die Bauanleitung für einen Kälterezeptor enthält, der Menschen ermöglicht, mit kühleren Temperaturen besser umgehen zu können. Dabei fiel ihnen auf, dass eine Variante jenes Gens namens rs10166942 in den vergangenen 25.000 Jahren bei Bevölkerungsgruppen im Norden immer häufiger verbreitet war. Genau diese Genvariante war bei früheren Forschungen schon häufiger aufgetaucht, allerdings in einem ganz anderen Zusammenhang, nämlich in Verbindung mit Migräne.
In Europa deutlich stärker verbreitet
Bei Migräne handelt es sich um eine neurologische Erkrankung, unter der in Deutschland etwa acht bis zehn Prozent der Männer und zehn bis 25 Prozent der Frauen leiden. In der Altersgruppe der 15- bis 49-Jährigen nimmt Migräne unter allen neurologischen Krankheiten den ersten Platz ein. Global sollen über eine Milliarde Menschen betroffen sein. Laut der Weltgesundheitsorganisation WHO steht Migräne an sechster Stelle der am schwersten beeinträchtigenden Erkrankungen des Menschen. Wobei nicht zu übersehen ist, dass Migräne in Europa und Amerika deutlich stärker verbreitet ist als in Afrika oder in Asien. Eine mögliche Erklärung dafür könnte die Studie des Leipziger Forschungsteams liefern, die dieses vor Kurzem im Fachmagazin „PLOS Genetics" veröffentlicht hatte.
Es habe in den vergangenen 50.000 Jahren verschiedene Wanderungsbewegungen gegeben, in deren Verlauf Menschen aus Afrika etwa in die kälteren Breitengrade Europas umgesiedelt seien. „Diese Kolonisierung könnte durch genetische Anpassungen begleitet worden sein, die den frühen Menschen halfen, mit den niedrigen Temperaturen umzugehen", so die Genetikerin und Mitautorin Aida Andres vom Londoner University College. Wer die Genvariante in sich trug, konnte mit Kälte besser umgehen und somit im Norden, wo die Umweltbedingungen meist härter und lebensfeindlicher waren, leichter zurechtkommen – war aber eben auch anfälliger für Migräne und gab diese Schwäche an seine Nachkommen weiter. Letztlich machten die Leipziger Wissenschaftler daher die Genvariante rs10166942 dafür verantwortlich, dass Migräne nicht überall auf der Welt gleich häufig anzutreffen ist. Sie hilft offenbar den Menschen in nördlichen Gefilden, besser mit kalter Witterung umzugehen, erhöht aber gleichzeitig ganz signifikant das Migränerisiko. Laut den Forschern ist die Genvariante nur bei fünf Prozent der Menschen mit nigerianischen Vorfahren anzutreffen, wohingegen sie bei 88 Prozent der Menschen mit finnischer Abstammung verbreitet ist. Das bedeutet nichts anderes, als dass die Anpassung an kalte Temperaturen früher menschlicher Populationen auch heute noch zu beeinflussen scheint, wie häufig Migräne in den jeweiligen Regionen des Globus anzutreffen ist.
Der evolutionäre Druck der Vergangenheit hat laut den Forschern rund um Felix-Michael Key also Folgen bis in die Gegenwart. Die evolutionäre Anpassung an das Klima hatte gleichzeitig Auswirkungen auf das Schmerzempfinden ganzer Bevölkerungsgruppen. Daraus lässt sich ablesen, dass der Nutzen einer besseren Kälteanpassung offenbar höher war als die Kosten. Eine vergleichbare Kosten-Nutzen-Abwägung dürfte bei der Entwicklung der hellen menschlichen Hautfarbe zugrunde gelegen haben. Sie ermöglichte den Bewohnern nördlicher Breitengrade die ausreichende Produktion von Vitamin D auch bei vergleichsweise wenig Sonnenlicht – zum Preis einer erhöhten Anfälligkeit für einen Sonnenbrand.
Regelmäßiger Ausdauersport
Typische Symptome für Migräne sind anfallsweise auftretende Kopfschmerzen, die durch Bewegung verstärkt werden. Zusätzlich zu diesen Migräneattacken müssen weitere Symptome wie Übelkeit, Appetitlosigkeit oder Licht- und Lärmüberempfindlichkeit vorliegen. Die genauen Ursachen für Migräne sind bislang, trotz intensivster Forschungen auf diesem Gebiet, noch unbekannt. Von daher könnten die neuesten evolutionären Erkenntnisse aus Leipzig sehr hilfreich sein. Vieles spricht dafür, dass eine genetische Veranlagung als Ursache ebenso infrage kommt wie eine Störung des Botenstoffhaushalts im Gehirn. Die biologischen Abläufe während einer Attacke sind hingegen weitgehend geklärt. Viel weiß man inzwischen auch über die Auslöser. Diese Trigger unterscheiden sich allerdings von Mensch zu Mensch. Stress oder Schlafmangel können ebenso Attacken auslösen wie Wetterfühligkeit, Hormonschwankungen oder Reizüberflutung.
Laut der Migräne-Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Neurologie und der Deutschen Migräne- und Kopfschmerzgesellschaft (DMKG) ist die Versorgung für Migränepatienten in der Bundesrepublik nicht ausreichend. Laut einer Befragung der DMKG werden gerade mal 43 Prozent der Migränepatienten beim Hausarzt oder Internisten zu vorbeugenden Maßnahmen beraten. Auch beim Internisten erhielten nur 57 Prozent entsprechende Informationen. „Nur 22 Prozent der Migränepatienten, die von einer Prophylaxe profitieren könnten, erhalten auch vorbeugende Medikamente oder Maßnahmen", so Charly Gaul, Generalsekretär der DMKG.
Viele Patienten wüssten daher nicht, dass auch nichtmedikamentöse Maßnahmen in der Migränebehandlung eingesetzt werden könnten: „Regelmäßiger Ausdauersport hilft, Migräneattacken vorzubeugen. Auch Entspannungsverfahren und Stressmanagements haben sich in der Prophylaxe als wirksam erwiesen."