Als Kommissar Horst Schimanski ist er den meisten im Gedächtnis. Doch das war nur eine Facette von Götz George. In seine Rollen stürzte sich der Schauspieler, der am 23. Juli 80 Jahre alt geworden wäre, oft bis zur Erschöpfung. Immer dabei: der Schatten seines toten Vaters.
Als Götz George acht Jahre alt ist, erfährt er, dass sein Vater nicht mehr nach Hause kommt. Der Junge ist erleichtert. Zu oft hat er die harte Hand des Patriarchen gespürt, alsdass er jetzt traurig sein könnte. „Ich wurde nach der alten Zucht und Ordnung immer vermöbelt, wenn ich etwas Falsches gemacht hatte. Da bekam ich schon mal Striemen auf den Hintern", erinnert sich Götz George in einem Interview im Jahr 2013. Erst später wird dem Jungen bewusst, dass sein Vater Heinrich George, ein gefeierter Schauspieler der 30er-Jahre, tot ist. Der Vorwurf, mit den Nazis kooperiert zu haben, war dem Ausnahmekünstler zum Verhängnis geworden, die Russen hatten ihn verhaftet, er starb 1946 im sowjetischen Lager Sachsenhausen. Mit elf Jahren schaut sich der junge Götz dann die Filme seines Vaters an. „Ich habe gedacht: Was habe ich für einen Vater gehabt!"
Götz Georges Mutter Berta Drews, selbst eine gefeierte Schauspielerin, kümmert sich fortan alleine um die Erziehung von Götz und seinem zwei Jahre älteren Bruder Jan. Die Familie lebt in Berlin, Berta Drews arbeitet wieder verstärkt als Schauspielerin, dreht jede Menge Filme, unter anderem spielt sie in „Die Blechtrommel" mit. Auch der junge Götz träumt davon, Schauspieler zu werden. „Vater hat unserer Mutter immer gesagt: Die Jungs können alles werden, Zahnarzt, der beste Geiger, ich zahle alles. Nur keine Schauspieler. Ein Genie in der Familie reicht", erzählt Götz George dem „Stern" 2013.
Nun ist der Vater tot, der Weg frei. Dass der Schatten des übermächtigen Vaters sein künstlerisches Schaffen bis zu seinem Lebensende beeinflussen wird, ist dem Jungen zu diesem Zeitpunkt noch nicht bewusst.
Anerkennung war ihm unangenehm
Mit zwölf Jahren spielt Götz am Berliner Hebbel-Theater seine erste Rolle. Die Reaktionen sind positiv. „Wenn ich dieses Erfolgserlebnis nicht gehabt hätte, hätte ich es mir in diesem Beruf wohl reiflich überlegt", erinnert er sich in einem Interview mit dem „Spiegel" 1995. Schon als Junge hat er diesen hohen Anspruch an sich, diesen Wunsch nach Perfektion, dem gleichzeitig eine überraschende Bescheidenheit gegenübersteht. „Ich wollte ein guter Schauspieler werden, aber niemals populär. Ich habe mich selbst gewertet. Ich habe die Zuneigung, die schon früh auf mich einströmte, nicht zugelassen." Zu dominant scheint der tote Vater zu sein, der seinen Sohn nicht als Schauspieler neben sich sehen wollte. Wenn dieser Sohn diesen Weg dann trotzdem geht, reicht ein gut nicht aus. Er muss überragend werden. Und das wird Götz George. Bereits mit 15 bekommt er seine erste Filmrolle neben Romy Schneider in „Wenn der weiße Flieder wieder blüht" und gewinnt 1959 für seine Darstellung in dem Film „Jacqueline" den Preis der deutschen Filmkritik und wird als bester Nachwuchsschauspieler ausgezeichnet. Die Liste der Preise wird im Laufe seines Lebens lang, darunter zahllose Publikums- und Kritikerpreise, Grimme-Preise und Bambis. Doch zu viel Anerkennung ist Götz George eher unangenehm. „Haben Sie mich mal auf dem roten Teppich gesehen?", fragt er einen „Tagesspiegel"-Reporter 2013. „Beim Deutschen Fernsehpreis war ich der erste, der weg war. Ich kriege einen Preis für eine Leistung, die ich erbracht habe. Danke schön, das war’s."
Spätestens nach seinem Mitwirken in den Karl-May-Verfilmungen in den 60er-Jahren gehört Götz George zu den gefragtesten Schauspielern in Deutschland. Im Hintergrund wirkt sein verstorbener Vater als innerer Kritiker. „Ich habe versucht, ihm nachzueifern", erzählt er 2013. „In seiner Redlichkeit und in seiner Spiellust."
Auch privat läuft es zunächst gut. 1966 heiratet Götz George die fünf Jahre jüngere Schauspielerin Loni von Friedel, ein Jahr später wird Tochter Tanja Nicole geboren. Die Ehe hält allerdings nicht, 1976 wird das Paar geschieden.
Beruflich ist Götz George nicht zu bremsen. Ein Film folgt dem Nächsten, der Schauspieler wirft sich in jede Rolle rein, arbeitet von früh bis spät, will die Figuren, die er darstellt, regelrecht aufsaugen. Dabei übernimmt er sich oft, arbeitet bis zur Erschöpfung, leidet während Dreharbeiten unter Schlafmangel, und nach der Fertigstellung eines Films wird er nicht selten krank. „Ich legte mich abends ins Bett und überlegte: Hab ich das heute richtig gemacht? Und dann bist du irgendwann um zwei Uhr nachts angelangt. Dann bist du so erschöpft", verrät er im „Spiegel"-Interview 1995. Scheint dieser Mann auf der Leinwand nur so vor Kraft und Selbstbewusstsein zu strotzen, so kommt in den Interviews eine überraschend unsichere und selbstkritische Seite zum Vorschein. Diese Unsicherheit scheint der Motor seines Schaffens zu sein. „Ich muss jeder Figur einen Stempel aufdrücken, der einmalig ist."
Diesen einmaligen Stempel drückt Götz George vor allen Dingen einer bestimmten Figur auf, mit der er sein Leben lang verbunden wird: Kommissar Horst Schimanski.
Als fluchender „Tatort"-Ermittler in Duisburg, der im Schmuddel-Outfit statt zu fragen lieber auch mal draufhaut und dessen Lieblingswort „Scheiße" ist, tritt er im deutschen Fernsehen 1981 erstmals in Erscheinung. Konservative Politiker laufen Sturm, fürchten, das Image von Duisburg könnte leiden. „Wir haben einen Keil in die Fernsehlandschaft getrieben", blickt Götz George in einem Interview später zurück. „Wir wurden von der rechten Presse sehr beschimpft. Die linke Presse fand das ganz in Ordnung." Das Publikum auch. Die Schimanski-Krimis werden ein Renner. 29 Folgen flimmern über die deutschen Bildschirme, dann wird die Serie eingestellt. 1997 kommt „Schimmi" dann für weitere 17 Folgen zurück. 2013 ist dann endgültig Schluss mit der Rolle, die Götz George zu seiner größten Popularität verhalf, sein großartiges schauspielerisches Können aber nicht ganz zur Geltung brachte.
Das bricht sich dann in anderen Produktionen Bahn. Herrlich, wie er zum Beispiel den eitlen und geltungssüchtigen Reporter in der Satire „Schtonk" gibt (1992), die sich um die Veröffentlichung der gefälschten Hitler-Tagebücher im „Stern" dreht. Auch sein differenziertes Spiel in den Psychothrillern „Abwärts" 1984 und „Die Katze" 1988 offenbaren die ganze Bandbreite seines Könnens.
Steven Spielberg fragte an
1995 beweist Götz George in dem kammerspielartigen Drama „Der Totmacher" endgültig, was für ein Weltklasse-Schauspieler er ist. Als Serienmörder Fritz Haarmann liefert er eine verstörend realistische Darstellung des Psychopathen. Haarmann brachte Anfang des 20. Jahrhunderts in Hannover 24 Jungen und junge Männer im Alter von zehn bis 22 Jahren auf bestialische Weise um.
Leidenschaftlich und distanzlos stürzt sich Götz George in diese schwere Rolle. „In jedem Atem, in jeder Sekunde, in jedem Moment ist das mein Haarmann", sagt er später anlässlich der Filmpremiere. Die Dreharbeiten laugen ihn derart aus, dass er nach Drehschluss an einer Lungenentzündung erkrankt. „Wenn man etwas Besonderes erreichen will, dann muss man eine gewisse Hürde überspringen." Die Rolle wird ein beruflicher Triumph. Götz George erhält beim Filmfestival von Venedig den Coppa Volpi als bester Hauptdarsteller.
Klar, dass so ein Talent auch Hollywood nicht verborgen bleibt. Kein geringerer als Steven Spielberg klopft bei der Agentur von Götz George an. Spielberg sucht einen deutschen Hauptdarsteller für sein Drama „Schindlers Liste" (1993). Nach der Sichtung von Filmaufnahmen zeigt Spielberg ernsthaftes Interesse an Götz George. Obwohl der sich in Deutschland als Künstler immer ausgebremst fühlt – „Man lässt hier nicht Dinge zu, die im Kopf und im Herzen und im Bauch sind, die werden immer unterbunden" – lehnt er ein Treffen ab. „Ich traute mich nicht", gesteht er 1995 dem „Spiegel". „Wenn er dann gesagt hätte, nein, das reicht nicht, oder ich wäre nach dem Treffen nach Hause gefahren und hätte nichts mehr gehört … diese Kränkung wollte ich mir nicht antun. Dann fängst du wieder unten an. Das ist ein Tiefschlag. Das wollte ich nicht riskieren." Vielleicht fragt sich Götz George auch in diesem Moment, was sein Vater dann gesagt hätte, wäre der Sohn in den USA gescheitert. Dann hätte der Patriarch, der Jahrhundertschauspieler, posthum noch Recht bekommen, dass er das einzige Genie in der Familie ist.
Immer wieder spielt der tote Vater im Leben von Götz George eine Rolle, immer wieder flammt die Auseinandersetzung mit dem großen Vorbild auf. Schließlich kommt es folgerichtig zu der wohl wichtigsten Produktion im Leben von Götz George. Mit 75 Jahren verkörpert er seinen Vater in dem Doku-Drama „George". „Einen Teil seines umfassenden Lebens" will Götz George mit der Produktion retten, will den Vater und sein Bild schützen, wie er in einem Interview dem „Stern" erklärt. In seinem Leben sei der Vater komplexartig immer da gewesen. „Ich wusste alles über ihn. Ich wusste über seinen Tod, sein Schicksal, seine begnadete Kunst, seinen überbordenden Einsatz für das Theater, seine Liebe zur deutschen Sprache." In dem Interview macht der Sohn keinen Hehl aus seiner Verehrung für seinen Vater. Er spricht von einem „großen, besessenen Schauspieler", von dessen scheinbar unerschöpflicher Kraft. „Ich bin tot nach einem Drehtag." Wie in all seine Rollen geht er gerade in diese mit all seiner Energie hinein. „Ich habe aus Erschöpfung gezittert und konnte nicht mehr schlafen. Die Rolle war mir wichtig", erzählt er später.
Der Film wird ein Erfolg und auch privat läuft es offenbar gut, Götz George heiratet 2014 seine langjährige Lebensgefährtin, die Journalistin Marika Ullrich.
Die Liste seines Schaffens ist mittlerweile lang, seine Auszeichnungen kaum mehr alle aufzuzählen. Doch Lob hört Götz George immer noch nicht gerne. Als ein „Stern"-Reporter 2013 anlässlich des Films über Heinrich George sein Werk hervorzuheben versucht, meint Götz George: „Was heißt denn Werk? Das ist kein Werk, das war eine berufliche Aufgabenstellung. Die habe ich mit großem Engagement und auch mit Talent und Können erfüllt. Und mit der kleinen Power, die immer unsichtbar war: meinem Vater."
Am 19. Juni 2016 stirbt Götz George im Alter von 77 Jahren an Krebs.