Der „Kuchenladen" gilt als Pionier einer neuen Feinbäckerei-Schule, die gänzlich auf Convenience und industrielle Tricks verzichtet. Dafür hat das Café in der Kantstraße Kuchen, Torten und Tartes in allen möglichen Kreationen zu bieten.
Es hat was von Gebirgspanorama: Gezwirbelte Sahnehauben, die von Schoko-Täfelchen und kandierten Kirschen getoppt werden. Auf einer dunklen Schokoraspel-Wolke auf einem „Kalten Hund" zieht ein Kirschkamm entlang. Busige, leicht angebräunte Merengue-Hauben bekränzen den Himbeerspiegel auf einer Milchreistarte. Ein erster Blick entlang der Gebäcktheke im „Kuchenladen" macht klar: Das würde eine Wanderung für geübte Alpinisten, wollten wir uns auch nur ansatzweise durch die Kuchen- und Tortenauswahl hindurchprobieren.
Ein Glück, dass ich schon so manches Mal dort konditert habe! Mein ewiger Liebling, der Manhattan Cheesecake mit Basilikumzucker und einer frischen Erdbeere obenauf, muss deshalb dieses Mal pausieren. Ich weiß, wie gut und erfrischend die kleine Kalorienbombe im rot-weiß-grünen Gewand schmeckt. Dass der Zucker immer kurz vor dem Einstellen in die Vitrine aufgestreut wird, erfahre ich von Uwe Gundelach bei diesem Besuch. „Sonst wird er grau", verrät der „Kuchenladen"-Geschäftsführer. „Wer eine Torte bestellt, bekommt ihn in einer Extra-Tüte dazu." Das Basilikum thront im Topf auf einem Bord. Er wird geerntet und mit Kristallzucker zusammen gemörsert, erfährt die Begleiterin, die sehr an der Backkunst und dem Tortenverzieren interessiert ist. Im „Kuchenladen" gibt es zwar nicht viel Raum, um zu lange in die Backstube oder in die Abteilung Tortenkunst hineinzuspähen. Aber es gibt Zeit zum Gespräch mit Uwe Gundelach, um Details zu den Kuchen und zum Café zu erfahren.
„Ehrliche" Produkte werden verarbeitet
Zum Beispiel, dass Inhaber Klaus-Dieter Heinemann und Uwe Gundelach beide aus der Gastronomie kommen, der eine Koch und Küchenchef, der andere Restaurantleiter war. Nach einem mehrjährigen Intermezzo mit einem eigenen Restaurant auf Bali kehrten die beiden nach Berlin zurück. Ihre Idee: Eine Backstube mit Kuchenverkauf würde ihnen Spaß machen und wohl auf Dauer lohnend sein. Sie eröffneten den „Kuchenladen" und hatten den richtigen Riecher. Vor gut zehn Jahren war eine Renaissance der guten, handwerklichen Kuchen und die Entwicklung Berlins zum Foodie-Hotspot keineswegs absehbar. Das kleine, cinderellabunte Café in der Kantstraße, zwischen Schlüter- und Bleibtreustraße gelegen, ist zweifellos einer der Vorreiter der neuen, qualifizierten Feinbäckerei ohne Convenience und industrielle Tricks in der Stadt. Die Milchreistarte mit Himbeeren und Baiser, ein viel geliebter Klassiker, ist Überraschungssieger beim gemeinschaftlichen Probieren: cremiger, aber noch al-dente-bissiger Milchreis, die Säure der Himbeeren und das unter angebräunten Spitzen noch weiche Baiser überzeugen uns in ihrem Zusammenspiel. Und das sogar, obwohl die Begleiterin und ich keine ausgewiesenen Milchreis-Fans sind – aber natürlich probieren wir alles, was uns angeboten wird.
„Wir sind richtige Seiteneinsteiger", erzählt Uwe Gundelach. „Unser Vorteil war, dass wir nicht wie Konditoren, sondern freier an die Sache herangegangen sind." Das ging am Anfang in der Produktentwicklung manchmal schief: „Der erste Versuch war für die Tonne, der zweite schmeckte, und das dritte Mal war’s was für den Tresen." Diese Zeiten sind längst vorbei. Das Team, das längst auch aus ausgebildeten Konditoren und Konditorinnen besteht, arbeitet nach wie vor nur mit „ehrlichen" Produkten wie vollfetter „33er Konditorsahne" und ausschließlich mit Butter. Das Kuchen- und Festtagstorten-Zauberwerk findet auf vergleichsweise wenigen Quadratmetern statt; der Zuschnitt einer klassischen Ladenwohnung mit zwei zusätzlichen Räumen gibt das vor. Erst zwei Jahre nach der Eröffnung im November 2008, als die Räume eines ehemaligen Antiquariats frei wurden, kam das Café mit seinen 32 Plätzen rechter Hand dazu.
Wie viele Kuchen und Torten ihren Platz in der langen Theke finden, lässt sich nicht genau abzählen. Innerhalb weniger Stunden sind die Lieblinge der Kunden ratzfatz weg, und schon wird aus den Kühlschränken nachgelegt. Espresso-Cheesecake folgt auf Altdeutschen Käsekuchen, üppig bestreuselte Altdeutsche Apfeltarte auf eine Tiroler Variante mit einer Decke aus knusprigen Nüssen und Kernen. Da wird es schwer, für Neues ein kühles Plätzchen zu finden. Denn verschwindet ein Kuchen aus dem Angebot, fragt garantiert ein Kunde gleich darauf nach seinem ganz persönlichen Favoriten. „Wenn den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern Neues einfällt, steht das nachmittags vorne im Verkauf", sagt Gundelach – Fantasie und Kreativität sind ausdrücklich erwünscht. Ein Oreo-Cheesecake zum Beispiel oder eine Papayatarte, auf der leuchtend orangefarbene Fruchtfächer auf Buttermilchsahne attraktive Werbung für sich selbst machen, könnten solche Erfindungen sein. Ob die „geologische Torte", wie der Feinschmeckerfotograf die „Sweet Vanille"-Buttercremetorte mit ihrem markanten Querschnitt bezeichnet, auch so eine Schöpfung ist? Wir vergessen zu fragen, sind wir doch mit Optik und Geschmack zu sehr beschäftigt. Die „Schieferschicht" aus Baumkuchen versteckt sich zusammen mit grob gehobelter Schokolade in der Vanille-Buttercreme. „Man hat immer was zum Beißen", lobt die Begleiterin. „Und immer schmeckt ein kleines bisschen Vanille durch." Jedenfalls ist die „Sweet Vanille", ebenso wie ein gebackener deutscher Käsekuchen, ein Favorit von Uwe Gundelach.
Der Kaffeetafel-Klassiker hat’s heutzutage bisweilen schwer in den Kuchentheken, ist doch sein frischkäsiger, amerikanischer Verwandter manches Mal bekannter. Im Käsekuchen halten sich Fluffigkeit und quarkige Schwere gebührend die Waage. Für mich sind Rosinen mit ihrer punktuellen Süße Pflicht – die „Kuchenladen"-Ausgabe schmeckt beinah so, wie der Käsekuchen von meiner Tante Hedwig. Kein einfaches Unterfangen, gegen den erinnerten Lieblingsgeschmack aus der Kindheit anzubacken! Doch das schafft das Team mühelos, und eine rosinenfreie Variante gibt’s selbstredend ebenfalls. Seit Kurzem kann außerdem ab 10 Uhr nicht nur Kuchen verspeist, sondern auch richtig gefrühstückt werden. Ein Sommermorgen auf den farbenfrohen Klappstühlen und Bistrotischen, die vor den Schaufenstern Spalier stehen, wird damit sogar an der viel befahrenen Kantstraße attraktiv.
Auftragstorten für Feiern sind das zweite Standbein
Der Morgen ist ebenfalls die Zeit der Tortenberatung. Die zart- oder intensivfarbig geschmückten Festtags- oder Anlasstorten für private oder geschäftliche Feiern sind das zweite Standbein des „Kuchenladens". Ob Jahreszahlen, essbare Blumen, Fotodrucke oder aufwendige Hochzeitstorten – in der Kreativabteilung wird verziert, was Fondant und allerlei Streuwerk, Spritztüllen, Formen und Farben hergeben. Auf einem Arbeitstisch warten bordeauxfarbene Schmetterlinge darauf, von Konditorin Antonella Tran auf einer Hochzeitstorte zum Flattern gebracht zu werden. Weiße Fondant-Masse wird gegenüber in eine Perlenschnur-Form gedrückt. Tortendesignerin Violeta Tanova gibt mit Feingefühl einer mehrstöckigen monochromen Hochzeitstorte den letzten Schliff. Obacht ist nicht nur beim Schmücken, sondern auch bei der Auslieferung und schon bei der Beratung geboten. „Man braucht viel Fingerspitzengefühl. Wer eine Torte schenkt, möchte seine Gefühle darin sehen", weiß Uwe Gundelach. Eine Dekortorte kostet ab 65 bis 100 Euro. „Viele möchten ihre ganze Lebensgeschichte auf der Torte zeigen. Die Alpen und das Klettern, Reisen nach New York und Barcelona sollen etwa darauf abgebildet sein."
Wir halten uns mit einem Mango-Cheesecake mit Mascarpone an eine vergleichsweise alltagstaugliche Tarte. Auch sie hat das, was die Kuchen, Torten und Tartes im „Kuchenladen" seit beinahe zehn Jahren kennzeichnet: viel Frucht, die Solidität des Mürbeteigs, frische Cremigkeit und immer ein Tick Säure als Konterpart. Zweifellos sind Torten wie die „Sweet Vanille" glücklich machendes Hüftgold, aber insbesondere die flacheren, französisch inspirierten Tartes sind deutlich leichter. Stück für Stück und Gabel für Gabel ist zu schmecken, was sich Gundelach und Heinemann vor mehr als zehn Jahren für ihren „Kuchenladen" vorgenommen hatten, dessen Namen sie sehr bewusst wählten: „Wir wollten keine hochtrabende Patisserie machen, sondern es sollten Kuchen sein, die so schmecken, wie man es von zu Hause kennt."