Luis Pestana und Benoît Sinthon sind Maîtres de Cuisine in Fünf-Sterne-Hotels auf der Insel und beherrschen die Kochkunst nahezu perfekt. Während der eine eher zur Molekularküche neigt, experimentiert der andere mit Kochtraditionen. Das Verdienst beider: Sie verhalfen jüngst Madeira zu zwei weiteren Michelin-Sternen.
Die beiden Maîtres de Cuisine – der Madeirer Luis Pestana und der Franzose Benoît Sinthon – haben das Privileg, in den ersten Häusern am Platz zu kochen. Die Fünf-Sterne-Hotels „Belmond Reid’s Palace" und das „The Cliff Bay" liegen unweit voneinander entfernt. Eingebettet in große Gartenanlagen, thronen ihre Kochstätten majestätisch auf den Felserhebungen hoch über dem Meer. Die beiden „Les Chefs" praktizieren ihr Handwerk seit über zwei Jahrzehnten zwischen Tradition, französischer Schule und einer modernen, weltoffenen Kochphilosophie.
Luis Pestana / Restaurant William
Luis Pestana wirkt bescheiden und hält sich gern im Hintergrund. Bereits mit 16 begann er seine Kochlaufbahn. Im Reid’s kocht er bereits seit 27 Jahren: „Ich habe hier mein eigenes Kingdom – ein Privileg. Dieser Ort wird getragen von seiner Geschichte, die in meine Kreationen einfließt. Dabei verbinde ich meinen Geburtsort – das echte Madeira – mit der Noblesse des Hauses", sagt der King of the Reid’s. Vom Schotten und Weinhändler William Reid erbaut, feiert das Haus mit seiner eleganten, englischen Handschrift bereits sein 127-jähriges Bestehen.
Gastraum mit riesigen Fenstern
Servicequalität wird im William großgeschrieben. Das Team – genannt „the Reid’s-Family" – begleitet Pestana seit vielen Jahren. Das spürt der Gast. Das Restaurant wurde für den neuen Sternekurs völlig neu konzipiert. Der hell ausgestrahlte Gastraum wirkt mit seiner riesigen Fensterfront wie ein Tempel der Sachlichkeit. Die Rundtische mit Tischdecken aus dunklem Azur schwimmen auf dem meerblauen Teppich wie terrassenartig angeordnete Inseln. Die feinen Goldlinien in den Glasuntersetzern schaffen nachts eine Verbindung zum Hafen Funchals, über den sich die Lichter der Stadt wie ein warmer Goldregen ergießen. Auf der Insel des weltbekannten Madeira-Weins, der durch Erhitzung und Alterungsstufen zu seiner edlen Halbsüße kommt, wird er in der Luxus-Kochschmiede eher molekular eingesetzt. Er offenbart sich in Form von beschwipsten Trockenfrüchtchen oder hauchdünnen Gelee-Ummantelungen. Der zehnjährige Blandy’s Verdelho passt als Aperitif bestens zur fein-crispen Blätterteigumhüllung der Farinheira-Terrine (traditionelle Räucherwurst mit Weißwein und Paprika). Seine Espada-Rolle (Schwarzer Degenfisch) mit Fischrogen, knusprigem Fenchel und Belugakaviar-Soße lässt Herzen auf der Zunge zerschmelzen. Der madeirische Nationalfisch wird in 1.500 Meter Tiefe gefischt und wird volkstümlich eigentlich mit Bananen und Maracuja-Saft serviert. Senhor Luis ergänzt ihn gern mit einer Emulsion von gelbem Kürbis und einem Elementarteilchen feinen Kartoffelrisotto. Auch kleine Gewagtheiten dürfen auf der kulinarischen Spielwiese nicht fehlen. So wird der mit Rote-Bete-Mousse und Passionsfruchtschaum servierte Hummer mit bittersüßem Kakao berieselt. Der Rieb von schwarzen Trüffeln passt zum Gold-Bananen-Chutney und räkelt sich unter einer Haube von Bolo de Mel-Crumble (Honigkuchenkrümeln). Mit seinem Seitan Fragola auf Estragon und dem am Tisch destillierten Gemüsejus beweist der neu gekürte Sternekoch seine Affinität zum Feinstofflichen und nutzt durchaus auch Ingredienzien aus der normalen Küche. Die nach Intensität geclusterte Käseplatte im Reid’s kann sich schmecken lassen, obwohl Madeira keine eigene Käsekultur besitzt.
Beim Dessert vermählen sich Birne mit Karamell und Fleur de Sel und die Kastanien-Crème-brûlée wird sachte auf Anis-Sand gebettet. Gekocht wird im Reid’s vorwiegend mit Bioprodukten kleiner Produktionsstätten.
So stammt der Cidre-Essig, der sich sanft auf so manches Zartblatt legt, etwa von der Quinta Pedagogica in Prazeres, eine vom bekannten Dorfpfarrer Padre Rui geleitete Bioproduktions- und Hotel-Kooperationsstätte, wo verlorenes Kochwissen der Ureinwohner wiederbelebt wird. Und das ist ganz im Sinne des Madeirers, der den wichtigsten Teil des Kochens schon als Kind am Rockzipfel seiner Mutter und Tanten gelernt hat und diese Erinnerungen gekonnt als subtile Prisen in seine Kreation streut. Einen echten Pestana erkennt man übrigens an einem Würfelchen aus Tomaten-Confit, das stets rechts am Tellerrand platziert wird.
Benoît Sinthon / Restaurant Il Gallo d’Oro
Was Pestana in die Wiege gelegt wurde, erfährt der gebürtige Marseiller Benoît Sinthon wie eine Offenbarung, als er in den 90er-Jahren die Inselperle als seine Wahlheimat kennenlernt. 2004 übernimmt er als Chefkoch das Restaurant „Il Gallo d’Oro" (Der goldene Hahn) im Hotel „The Cliff Bay" – die neue TopAdresse der Insel. Bereits nach vier Jahren erkocht sich der Wahl-Madeirer den ersten Stern, der zweite folgt zehn Jahre später. „Ich hatte viel Freiheit, dem kulinarischen Konzept meine Handschrift zu geben. Da das Hotel noch jung ist, haben meine Gäste die Geschichte des Gallo d’Oro quasi mitgeschrieben," sagt Sinthon, der die Farben und Gerüche der Inselgärten, Hochebenen und Märkte in seinen Kreationen zu neuen Geschmackslandschaften transformiert.
Für den Mercado dos Lavradores, einen Wochenmarkt in Funchal, nimmt er sich viel Zeit. Sinthon liebt es, ausgiebig mit den Fischern und Händlern zu sprechen. Anonas, Tamarillos, Pitongas und die Agrumes, also Zitrusfrüchte, sind echte Gesundheitsbomben. Das exotische Fruchtbouquet der Insel mischt er gewieft mit Spitzenprodukten von der Iberischen Halbinsel und dem nahen Marokko, wo mit sinnlicher Würze und Süße nicht gespart wird.
Jahrhundertealte Kochtraditionen kombiniert der südfranzösische Weltenbürger aber auch mit der Zen-Kultur des fernen Japans. Beispielsweise sein Dashi aus Squid, Calamari und Ingwer ist ein Gedicht. Dahinter steht sein Grundsatz: „Das Produkt muss elegant, pur und natürlich bleiben. Die Kunst ist, ein Detail auszukoppeln und es gekocht, roh oder mariniert zu verändern." Seinen Respekt vor natürlichen Kreisläufen wie den Jahreszeiten manifestiert sich in einem hoteleigenen Gemüsegarten unweit der Anlage. Epidemisches trifft dort auf klassisches Basisgemüse.
Hohe Weinregale wirken wie Altäre
Der Gastraum des „Il Gallo d’Oro" ist sakral inszeniert. Portugals vergoldetes Wahrzeichen wacht wie ein patiniertes Relief über einem Gastraum, dessen Goldtöne ihn wie eine Abendsonnen-Flatrate zu erwärmen scheinen. Das Mattgold der Teppiche, Gardinen und Einlässe im Plafond liefern den Rahmen, goldene Amphoren die Akzentuierung. Die hohen, gläsernen Weinregale wirken mit ihrem Spektrum von über 300 Weinen – davon sind 85 Prozent portugiesische – wie önologische Altäre. Sie sollen den Gast für heimische Tropfen aus Lissabon, Porto oder Alentejo begeistern. Eine Glasvitrine mit dschungelartiger Vegetation hat die Anmutung eines fischlosen Aquariums mit Blick in eine grüne Parallelwelt. Geheimnisvolle Goldkugeln auf Tabletts entpuppen sich als dreistöckige Entrée-Gefäße. Der stilisierte Fußball ist eine Hommage an Champion Cristiano Ronaldo, Madeiras Volksheld und Ehrenbürger Nummer eins. Benoît Sinthon liebt das Spiel mit Manufaktur-Geschirr. Er sucht jedes Gefäß gemäß dem Rezept oder umgekehrt aus.
Bei Sinthon wird das Madeira-Gelee auch schon mal mit Blattgold aufgehübscht. Für die Partida de Cerejas, was so viel wie falsche Kirsche bedeutet, zaubert er eine mit echtem Kirschstil getarnte Foie-gras-Kugel, neben der ein mild-buttriger Briochewürfel kniet. „Manches muss man mit Humor auch mal verdrehen und überraschen", sagt Sinthon, dessen Favorit sein Coca-Cola-Sorbet mit Goldbananen-Mousse, Lakritz-Aroma und einem Klecks Ananas-Chutney ist. Neben der Silber- und Apfelbanane ist die goldene Variante Madeiras Bananenkönigin. Pralle Granny Smiths oder Wassermelonen gleiten als Gelee, Confit und Chutneys neben Espardate (Schwertfisch), Cavala (Makrele) oder Bacalhau (Kabeljau). Ein anderer interpretierter Inselklassiker ist der Espetata – ein Rindfleischspieß aus Lorbeerholz, den Sinthon mit kebab-formartigem Kartoffelpüree mit Lauch, Speck und Seta-Pilzen serviert.
In einem Holzkästchen räuchert ein Täubchen in Eukalyptusholz und Zimt. Währenddessen pochiert das „Oeuf à la neige", ein famoses Schnee-Ei aus Eiweiß mit Zucker, in Milch, um später im Karamellmantel auf einem Bett aus Anona-Granita zu schlummern. Der Mango-Flip-Flop, auf dem sich das Wort Paradies entschlüsseln lässt, enttarnt den Franzosen in seinem unbändigen Spieltrieb und einer Lebensfreude, die er ebenso wie sein Sternen-Inselbruder alchimistisch in seine Gerichte rührt, um dem Gast ein verklärtes Lächeln zu entlocken. Wenn der dann glückselig an seinem Ramos Pinto Porto Vintage nippt – ein in beiden Häusern beliebter Digestif –, ist das Werk vollbracht.
Auch wenn sich Tradition mit moderner Interpretationsvielfalt vermischen, erinnern Pestanas und Sinthons sternereife Kreationen am Ende doch an etwas, das nach Kindheit, Natur, Fernweh oder einfach nur nach Madeira schmeckt.