Weil die Bundesregierung ihre Ziele hinsichtlich erneuerbarer Energie erreichen will, ist die Zahl der Windkraftanlagen im Saarland innerhalb von 15 Jahren von 31 auf 186 gestiegen. Viele Bürger fühlen sich übergangen.
Montagabend, 22 Uhr, in einem Gasthof in Sitzerath. Während ein Teil der Gemeinde gerade Kirmes auf einem Platz auf der gegenüberliegenden Seite der Durchfahrtsstraße feiert, sitzen die Mitglieder der Bürgerinitiative Windwahn beisammen und diskutieren den Stand der Dinge. An diesem Abend Ende Mai sind sie vorsichtig optimistisch – die Ortsvorsteherin habe kürzlich versprochen, beim Ministerpräsidenten vorzusprechen. Die Linke stellte eine Anfrage im Landtag mit der Forderung, kein viertes Windrad zu genehmigen. Doch wo liegt eigentlich das Problem der erneuerbaren Energiequelle? „Wir sind hier eine Nahtstelle zum Kreis Merzig-Wadern, wir sind eine Nahtstelle nach Rheinland-Pfalz und in dieser Folge kann der Höhenzug des Benkelberges von der Stadt Wadern, Ortsteil Wadrill, abgedeckt werden", sagt Stefan Stroh von der Bürgerinitiative. Auf dem anliegenden Felsenberg sollen ebenfalls Windräder entstehen und „hintendran sind die Gemeinden in Rheinland-Pfalz." Soll heißen: Sitzerath ist, schaut man sich im Ort um oder auf eine Luftaufnahme – umzingelt von Windrädern.
„Auflagen werden nicht eingehalten"
Wer in dem Teilort Nonnweilers unterwegs ist, sieht das Satellitenbild bestätigt. Gerade dann, wenn es dunkel wird, scheint es, als befinde man sich mitten in einem Windpark. Rot blinkend stehen die Windräder am Horizont gefühlt in jeder Himmelsrichtung. Was die Sitzerather Windgegner aber vor allem stört: 2015 noch hatte das Landesamt für Umwelt- und Arbeitsschutz den Bau von vier Windrädern in Sitzerath abgelehnt. Erst, als der Investor, die Firma Geres, Widerspruch gegen den Ablehnungsbescheid einreichte, genehmigte die Landesregierung den Bau von drei Windrädern unter strengen Auflagen. Die Initiative Windwahn mahnt aber, diese Auflagen würden nicht eingehalten. Michael Hilgers von Windwahn: „Das Problem ist, es darf nur an zwei Stellen gearbeitet werden, es wird aber an vier Baustellen gearbeitet. Außerdem gibt es ein Naturschutzgesetz, das die Wildkatzen schützt, die dort leben." Die GPS-Daten der Tiere habe die Initiative dem Landesamt für Umwelt- und Arbeitsschutz zur Verfügung gestellt. „Trotzdem hat das Umweltministerium eine Genehmigung zum Bau erteilt und verstößt damit gegen das Bundesnaturschutzgesetz."
Der Fall Sitzerath ist einer von vielen im Saarland. Immer wieder stehen Windkraftanlagen in der Kritik. Zuletzt sorgte der Unternehmer Edwin Kohl für Aufsehen. Er betreibt eine Pferdezucht in Perl. Direkt nebenan entstanden sechs Windräder. Kohls Kritik: Die Windräder würden die Pferde verschrecken. Informiert hätte Kohl darüber niemand, weshalb er die Konsequenz zieht, seine Firma aus Perl abzuziehen. Die Gemeinde verliert dadurch Gewerbesteuereinnahmen in Höhe von 600.000 Euro jährlich.
Für Aufsehen sorgte dieser Tage auch das Windkraftunternehmen Duno Air, das ähnlich wie Geres in Sitzerath zunächst keine Baugenehmigung für den Windpark Bous erhalten hatte. Doch der Widerspruch des Unternehmens hatte Erfolg. Seit dem 11. Juni rollen schwere Baumaschinen durch den Wald, der im sogenannten Wirkraum des Weltkulturerbes Völklinger Hütte liegt. Das bedeutet, dass die Unesco ihre finale Zustimmung geben muss, ob das Unternehmen die Windräder dort bauen darf oder nicht. Auch dort kämpfen die Anwohner gegen das Projekt. Sie sehen ihre Lebensqualität durch Windräder eingeschränkt. Auch der Landesverband Saar des Bunds für Umwelt- und Naturschutz (BUND) hat sich inzwischen eingemischt und fordert, beim weiteren Ausbau erneuerbarer Energie noch stärker auf die Umweltaspekte zu achten, Energiesparmaßnahmen umzusetzen und die Kommunen zu stärken, damit sie ihre Klimaschutzziele verwirklichen können. Viele Saarländer, die sich durch Windräder gestört fühlen, haben sich inzwischen unter dem Label „Gegenwind Saarland" zusammengeschlossen, sammeln Fakten, Rechtsprechungen und Medienbeiträge zum Thema.
Tatsächlich genehmigt die Landesregierung inzwischen viel weniger Windkraftanlagen als noch vor einigen Jahren. Bis zum Jahr 2025 sollen 40 bis 45 Prozent des in Deutschland produzierten Stroms aus erneuerbaren Energiequellen kommen. Im Koalitionsvertrag der saarländischen Landesregierung ist das Ziel festgeschrieben, den Anteil bis 2020 auf 20 Prozent zu steigern. Derzeit liegt er bei 17 Prozent. Wie aus einer parlamentarischen Anfrage der Linken-Landtagsabgeordneten Dagmar Ensch-Engel hervorgeht, haben die Behörden im Saarland seit Februar 2017 keinen Bau von Windrädern mehr genehmigt. 24 Windkraftanlagen sind derzeit beantragt. Im vergangenen Jahr verabschiedete der Landtag ein Gesetz, das besagt, dass Windräder im Staatswald nur noch in Ausnahmefällen erlaubt sind.
Streitfälle wie in Bous könnten auch mit der Ausweisung von Konzentrationsflächen für Windkraftanlagen durch die Gemeinden zusammenhängen. Die Jamaika-Koalition aus CDU, Grünen und FDP (2009-2012) im Saarland hatte den Kommunen und damit den Städte- und Gemeinderatsmitgliedern die undankbare Aufgabe übertragen, Flächen für den Bau von Windrädern im Flächennutzungsplan auszuweisen. Dabei war an der einen oder anderen Stelle zu beobachten, dass saarländische Gemeinden Windkraftflächen möglichst in wenig besiedelten Gebieten am Rand der eigenen Gemeindegrenzen ausweisen. In Nachbargemeinden, haben die Anwohner im ungünstigsten Fall dann dort die Windräder vor der Haustür. Das sorgt mancherorts für Probleme.
Neues Umspannwerk sorgt für mehr Ärger bei den Anwohnern
Etwa in Sitzerath, wo nun auch ein Umspannwerk für den Strom der neuen Windräder auf dem Benkelberg genehmigt ist und für eine noch größere Baustelle sorgt. „Die Ortsvorsteherin hat vor der Genehmigung keinen Ton dazu gesagt", ärgert sich Sigrun Essenpreis von der Bürgerinitiative Windwahn. „Viele Lkw parken dort jetzt die ganze Landschaft voll." Das beeinträchtige nicht nur die Bewohner und Wildkatzen, sagt sie. In der Gegend lebten ebenso ein Schwarzstorch und Mopsfledermäuse, die laut Gutachten von Naturschützern durch neue Windräder beeinträchtigt wären. Einige Sitzerather behaupten, nachts von einem Surren der Windräder wach zu werden. Das Umweltministerium äußert sich unter Berufung auf das laufende Verfahren nicht zu der Frage, ob das geplante vierte Windrad entstehen wird. Allerdings betont Sprecherin Sabine Schorr, dass man die Sorgen der Bürger ernst nehme.
Sigrun Essenpreis würde sich aber mehr Informationen von den Behörden wünschen. Oft kämen sie erst nach einer Wartezeit von vier Wochen, ärgert sie sich: „Und dann sind schon so viele Tatsachen geschaffen worden, dass weitergebaut worden ist, dass wir immer nur hinterherhecheln können." Immerhin, freut sich Essenpreis, gebe es nun Unterstützung von der Linken-Fraktion im Landtag. Und mit ihrer Stimme wollen sich die rund 20 Bürger der Initiative weiter gegen das vierte Windrad in einem Wasserschutzgebiet wehren. Bis zum 22. Juni lief die Anfrage im Landtag ursprünglich. Inzwischen hat sich der Termin weiter nach hinten verschoben. Die Sitzerather müssen warten und sehen zu, wie die Masten der Windräder immer weiter in die Höhe wachsen. Es scheint ein langwieriger Prozess zu werden – wie vielerorts im Saarland.