Trotz monatelanger Dürre haben die Berliner Wasserbetriebe keine Nachschub-Probleme. Obendrein zahlen die Hauptstädter im Bundesvergleich mit am wenigsten für ihr Trinkwasser, bei bester Qualität. Kann das wirtschaftlich sein?
Spätestens Mitte Juni rochen es dann auch die Berlin-Touristen in Unter den Linden, am Gendarmenmarkt oder in der Friedrichstraße. Ein leicht kloakiger Grundgeruch durchwehte die Innenstadt. Wer sein Fahrrad über einem Gully anschloss, merkte, woher der Gestank kommt. Berlin hatte mit durchschnittlich 750 Sonnenstunden (normal sind 430) seinen Jahrhundert-Frühling hinter sich und gilt damit als sonnenreichste Stadt Deutschlands. Das erklärt aber nicht den Gestank.
Noch nie hat es an Spree und Havel zwischen März und Juni so wenig geregnet wie in diesem Jahr. Das führte zum einen dazu, dass der Grundwasserspiegel absank. Müggel-, Wann- und Tegelersee schrumpften auf den Wasserstand eines heißen Sommers Ende August. Und zum anderen wird ohne Regen auch die Kanalisation nicht mehr durchgespült, der Unrat in den Rohren backt zusammen, auch die Rückhaltebecken fallen trocken. Die Folge ist dann der etwas strenge Geruch nach dem Parfum der Großstadt.
Berlin hat im Grunde Wasser genug
Berlin trocknet aus! Was für Meteorologen eine natürliche Trockenphase ist, erzeugt bei manchem Hobbyumweltschützer Panik. Es folgen Aufrufe zum Wasser sparen, Appelle, die Autowaschstraßen zu schließen, Wasser wiederzuverwerten. Doch dabei entgleiten den Damen und Herren der Wasserwerke die Gesichtszüge, denn wenn Berlin etwas in Hülle und Fülle hat, dann ist es Wasser. Darum geben die Wasserbetriebe der Stadt bei Trockenheit und Hitze genau den gegenteiligen Rat. „Wasser verbrauchen! Wir haben genug davon und in solchen Trockenperioden brauchen beispielsweise die Straßenbäume, aber auch die Abwasser-Infrastruktur Wasser", so Versorgungsexpertin Dörte Albers vom Wasserwerk Beelitzhof am Wannsee. „Berlin liegt mitten im Urstromtal, zwischen Dahme, Spree und Havel, dazu kommen die drei großen Binnenseen, abgesehen von den vielen, vielen kleinen Wasserflächen, die die Stadt durchsäumen, das ist unser Reservoir", erklärt Albers, die Wasserver- und -entsorgung von der Pike auf gelernt hat.
Das ist auch der Grund, warum die Wasserwerker an heißen Tagen rausfahren, einen Hydranten aufbauen und den Schlauch anschließen, um ihn dann in den nächsten Gully zu stopfen. Stundenlang läuft das frische Trinkwasser direkt vom Hahn in den Abfluss. Umgehend sind Anwohner da und beschimpfen die Wasserarbeiter. Die haben dann ihre liebe Not, bis das Publikum irgendwann mal begreift, dass ohne diese Wassernotversorgung der Gullys an heißen Tagen die Klärwerkpumpen zu kollabieren drohen und es dann tatsächlich eng werden könnte.
Ähnliche Rettungsaktionen in trockenen, heißen Zeiten werden übrigens auch den kleinen Seen, Teichen und Tümpeln der Stadt zuteil, die ohne Zulauf sind. Erst Ende Mai wurde der Fennsee im Volkspark Wilmersdorf mit einer Million Liter Frischwasser vor dem Kippen bewahrt, Anwohner hatten sich über den muffigen Gestank beschwert. Ein weiteres Sorgenkind war der Schäfersee in Reinickendorf. Dieser war Anfang Juni gekippt, tote Fische schwammen bäuchlings oben, die Anwohner konnten wegen des Geruchs ihre Fenster nicht mehr öffnen.
Berliner Trinkwasser wird aus dem Grundwasser gewonnen. Die Millionenstadt versorgt sich selbst – das ist weltweit einmalig. Vor allem an den Flussläufen und Seen sind im gesamten Stadtgebiet 800 Tiefbrunnen angebracht, die 50 bis 170 Meter (vergleichbar mit der Höhe des Funkturms) in die Erde reichen. Sollte es tatsächlich vier Monate nicht wirklich regnen, wäre die Wasserversorgung der Stadt trotzdem gesichert. Auch wenn an heißen Tagen der tägliche Verbrauch von 540 Millionen Litern schon mal auf 800 Millionen Liter und mehr steigt. Ist es also heiß, müssen die Wasserbetriebe ihre Pumpen hochfahren.
Der Sulfatgehalt im Wasser steigt
Das einzige, was die Wasserwerke aus dem Rohwasser noch rausfiltern müssen, sind Eisen und Mangan. Bei Sulfat wird es schon schwieriger. Eisen schadet zwar uns Menschen beim Trinken nicht, aber das Wasser wäre durch die oxidierten Schwebstoffe bräunlich. Damit wären alle Wasserverbrauchsgeräte im Haushalt innerhalb kürzester Zeit ruiniert und weiße Wäsche gäbe es in Berlin nicht mehr. Sulfat ist ein Schwefelsalz, das aus dem Braunkohletagebau in der Lausitz kommt. Es wird dann freigesetzt, wenn einstige Tagebaugebiete geflutet werden. In der Spree ist der Gehalt an Schwefelsalzen daher seit einiger Zeit deutlich gestiegen. Dieses Sulfat gelangt über die Brunnen auch ins Trinkwasser. Durchmischung mit schwefelarmem Wasser senkt derzeit noch den Sulfatgehalt. Er liegt nach Auskunft der Berliner Wasserbetriebe aktuell bei 117 Milligramm pro Liter, 250 Milligramm ist der Grenzwert.
Wie sich dieser Wert entwickelt, wird von den Wasserwerken genau beobachtet. Einer ihrer wertvollsten Mitarbeiter dabei ist nur 14 bis 23 Millimeter groß. Zusätzlich zu einem engmaschigen Netz aus verschiedenen Geräten und vielen chemischen, physikalischen und biologischen Labortests „arbeiten" nämlich Bachflohkrebse in einem sogenannten Toximeter. Dort haben sie nur einen Job: Sie zeigen an, wenn mit der Wasserqualität etwas nicht stimmt.
Werden die Flohkrebse unruhig und bewegen sich schneller als gewöhnlich, erfassen eingebaute Sensoren diese Bewegung. Die Bewegungsdaten werden sofort an eine Zentralstation übermittelt. Erkennt die Station, dass ein bestimmtes Level erreicht worden ist, schlägt sie Alarm. Dieses Frühwarnsystem hat einen unschätzbaren Vorteil: Fließt aus einer Leitung mal nicht die gewünschte Qualität, kann diese Leitung sofort gesperrt werden. Und das gibt erst einmal Sicherheit, bevor Laboruntersuchungen ergeben haben, ob und welches Risiko überhaupt an diesem Kontrollpunkt besteht.
Damit könnte auch ein Giftanschlag auf das Wasserversorgungssystem sofort aufgedeckt werden. Zwar sind alle Tiefbrunnendeckel alarmgesichert, auch die Wasser- und Klärwerke sind geschützt. Doch in Zeiten von Terror 4.0 wäre es leichtsinnig, so etwas auszuschließen.
Bei all dem Aufwand, hat Berlin dennoch einen der günstigsten Wasserpreise bundesweit. Der Liter kostet hier 0,5 Cent. Zum Vergleich: Ein Durchschnittshaushalt in Nordrhein-Westfalen muss im Jahr 300 Euro Wassergeld bezahlen, in Berlin sind es im Schnitt 173 Euro und die Preise werden wohl in Zukunft auch weiter moderat bleiben.
Denn die Sprecherin der Berliner Wasserbetriebe, Astrid Hackenesch-Rump, erklärt im Gespräch mit FORUM die niedrigen Wasserpreise auch mit der, in den letzten Jahren rasant gewachsenen Stadt. „Die Einwohnerzahl in Berlin geht seit Jahren immer weiter nach oben, damit bekommen wir als Wasserbetriebe immer mehr Kunden und das hilft uns natürlich, die Preise stabil zu halten", so Hackenesch-Rump.
Hinzu kommt noch ein weiterer Effekt, von denen andere Wasserversorger nur träumen können. Die Berliner Wasserbetriebe bräuchten nicht so viel Gewinn zu erwirtschaften wie ihre Schwesterunternehmen in anderen Regionen, so die Sprecherin. Das Land Berlin übt seit Jahren einen sogenannten Gewinnverzicht aus, der Senat will also mit den Einnahmen des Wasserversorgers nicht seinen Landeshaushalt auffüllen. Das führt zur Tarifstabilität trotz steigender Investitionen, denn Neubaugebiete müssen auch neu angeschlossen werden, ganz abgesehen von der Unterhaltung des vorhandenen Stadtnetzes.
Nach Volksentscheid sanken Wasserpreise
„Wir wollen bis 2023, also in den kommenden fünf Jahren, 2,3 Milliarden Euro in unsere Netze und Anlagen investieren. Dass dies nicht zu steigenden Tarifen führt, dabei hilft auch der Gewinnverzicht des Landes Berlins", so Hackenesch-Rump. Den Verbraucher freut es, denn er kennt auch andere Wasserzeiten und die sind keine 20 Jahre her. 1999 wurden die Wasserbetriebe von der damaligen Großen Koalition, unter dem Regierenden Bürgermeister Eberhardt Diepgen (CDU), in Teilen privatisiert. Es waren die neoliberalen Zeiten, wo deutschlandweit bei den Kommunen das Motto galt: „Wir verkloppen das Rathaus, mieten es zurück und machen damit Gewinn". Ein Irrtum, den nach dem Teilverkauf der Wasserbetriebe auch die Berliner in ihrem Portemonnaie schnell bemerkten. Denn die Wasserpreise stiegen zunächst deutlich an, was zu dem ersten erfolgreichen Volksentscheid in der Stadt führte. 2011 sprachen sich mehr als 660.000 Berliner für eine Rekommunalisierung, also einen Rückkauf des Wasserversorgers, aus. Der Senat musste die Anteile von RWE und Veolia zurückkaufen.
Die Rekommunalisierung war nicht nur für die Kunden sondern auch für die Wasserbetriebe ein Segen. Denn Deutschlands größter kommunaler Versorger kann so eine Menge Geld in die Forschung stecken. Die Abteilung Forschung und Entwicklung kümmert sich vor allem um die Qualitätssicherung, denn die Herausforderungen werden weiter steigen.
Bei den Vorschriften zur Reinhaltung gilt folgende Abstufung: Trinkwasser, Mineralwasser, Tafelwasser und zum Schluss kommt das Heilwasser, dort sind die Auflagen am geringsten. Selbst Arzneimittelrückstände können inzwischen herausgefiltert werden. „Das können wir mittlerweile sehr gut", so Dörte Albers vom Wasserwerk Beelitzhof.
Das ist aber eine Sache der Kläranalagen, die ebenfalls den Berliner Wasserbetrieben gehören. In einer Anlage passiert das auch bereits. „Durch die immer älter werdende Bevölkerung haben wir immer mehr Schmerzmittel- und Antidepressiva-Rückstände im Abwasser und die müssen natürlich raus." In Planung ist daher, auch andere Klärwerke entsprechend nachzurüsten. „Allerdings muss man sagen, unsere Messmethoden für die möglichen Rückstände werden immer feiner", gibt Dörte Albers zu bedenken. „Wenn Sie heute in der Mitte des Wannsees 100 Gramm Zucker reinschütten, haben wir diesen Zucker innerhalb von einer Stunde hier auf unseren Messgeräten in Beelitzhof."