Klassische Musik an einem Ort, wo zu DDR-Zeiten Atomwaffen lagerten – eine gute Woche lang treten Berliner und internationale Künstler in einem früheren Hangar auf. Seit 2001 lockt das Bebersee-Festival Musikfans in die Schorfheide.
Schnurgerade geht es auf der Panzerstraße durch Kiefernwälder, dann durch ein glänzendes Feld von Solarmodulen, bis man schließlich auf dem riesigen Rollfeld des früheren sowjetischen Militärflughafen Groß Dölln steht. Das entlegene Areal war zu DDR-Zeiten auf keiner Landkarte verzeichnet. Dabei waren hier einst bis zu 15.000 Soldaten untergebracht. Heute dient einer der grasüberwachsenen Hangars am Rand des Rollfeldes als Konzertsaal. Der Berliner Pianist Markus Groh veranstaltet hier jeden Sommer das Bebersee-Festival, eine Kammermusik-Reihe mit international renommierten Musikern.
Seit 2001 gibt es das Festival bereits – doch noch scheint es Musikern und Besuchern fast ein wenig unwirklich, dass jetzt klassische Musik an jenem Ort erklingt, wo einst Raketen lagerten. Der Aufführungsort im Spannungsfeld von Waldidylle und maroder Militärarchitektur ist das Markenzeichen des Bebersee Festivals, das in diesem Jahr vom 14. bis zum 22. Juli stattfindet.
Das Programm steht bei der aktuellen Ausgabe unter dem Motto „Wegweiser" – so heißt ein Lied aus dem berühmten Zyklus „Winterreise" von Franz Schubert. „Um unsere Bearbeitung der ‚Winterreise‘ gruppieren sich weitere Konzerte unter Titeln wie ‚Heimat‘, ‚Wegkreuzung‘, ‚In der Ferne‘ oder ‚Ankunft‘", erzählt Festivalleiter Markus Groh. „Damit greifen wir persönliche Fragestellungen auf, die zugleich einen aktuellen gesellschaftlichen Bezug haben."
Beim Bebersee-Festival erklingt eine Fassung der „Winterreise", in der die Singstimme von der Bratsche übernommen wird. Für den Wortanteil ist der Schauspieler Walter Sittler zuständig, bekannt durch Fernsehserien wie „Girl friends" und „Nikola". Er liest Briefe, Gedichte und Zeitungsberichte aus Schuberts Umfeld. Markus Groh, der hier Schuberts Klavierpart übernimmt, spricht von einem „Experiment, das gleichwohl einen roten Faden hat".
Der 48-Jährige tritt selbst regelmäßig im Hangar auf. Ansonsten gibt der Pianist, der 1995 den prestigeträchtigen Königin-Elisabeth-Wettbewerb in Brüssel gewann, weltweit Konzerte. Zudem lehrt er als Professor an der Universität der Künste in Berlin.
Zu Anfang hat er die Bebersee-Programmgestaltung allein betrieben. Seit einigen Jahren wird er dabei von der Geigerin Franziska Hölscher unterstützt, einer leidenschaftlichen Kammermusikerin. Neben ihrem Engagement für das Festival in der Schorfheide leitet sie die Kammermusikreihe „Klangbrücken" im Berliner Konzerthaus.
Benannt ist die Veranstaltungsreihe nach dem 300-Seelen-Dorf Bebersee, das am Rand des einstigen Flughafens liegt. Heute schätzen Feriengäste die Idylle im Biosphärenreservat Schorfheide-Chorin. Bis in die frühen 90er herrschte hier hingegen der Lärm des größten Militärflughafens Europas. Die Landebahn ist vier Kilometer lang, hundert Meter breit und anderthalb Meter dick.
In den ersten Jahren des Festivals verfiel man noch bei der Anreise geradezu in Endzeitstimmung, wenn man zwischen verfallenden Kasernen der Roten Armee zum Hangar anrollte. An dieser Stelle stehen heute die Solarfelder. Auch die Hälfte der 36 Hangars wird nun zweckentfremdet verwendet: hauptsächlich vom „Driving Center", das die Landebahn für Rennen und Fahrtrainings nutzt. Und deren ziemlich flott fahrender Kundschaft begegnet man schon bei der Anfahrt auf der schnurgeraden Landstraße 100.
In anderen Hangars gibt es Büros, Partyräume und Garagen oder eben Konzertsäle. Für gute Akustik sorgen die Betonrippen an den Innenwänden, die übermäßigen Nachhall verhindern. „In diesem Jahr ziehen wir erstmals in einen größeren Hangar um", erzählt der Festivalleiter Markus Groh.
Der in Berlin lebende Pianist kam Ende der 90er auf die Idee, in der damals abgeschiedenen Schorfheide Konzerte zu veranstalten. „Ich liebe die Stille, die grenzenlosen Wälder dieser Gegend", erzählt er. „Die ersten Konzerte fanden in der alten Fachwerk-Schule in Bebersee statt, die mein Onkel nach der Wende gekauft hatte." Später kam Groh auf die Idee, einen der Flugzeug-Hangars zu einer Konzerthalle umzubauen.
Kammermusik-Werke stehen in den nächsten Tagen auf dem Programm: von Beethovens „Kreutzersonate" über Schuberts Streichquintett bis zu Dvořáks „Dumky"-Klaviertrio. Ein weiterer Höhepunkt ist das erste Klavierquartett von Johannes Brahms. „Das habe ich mir gewünscht, weil es schon einmal und zwar beim ersten Bebersee-Festival 2001 auf dem Programm stand", erzählt Groh.
„Wegweiser" lautet das Motto
Daneben gibt es Unbekannteres, etwa das bei seiner Uraufführung aufsehenerregende Klavierquartett des gerade mal 17-jährigen Dvořák-Schülers Josef Suk. Auch Zeitgenössisches wird zu hören sein, zum Beispiel Kompositionen von Jörg Widmann und Fazil Say. Gut verständliche, nicht zu anstrengende Musik, so versichern die Festival-Organisatoren.
Die meisten der Künstler reisen aus Berlin an. „Die Hauptstadt hat sich in den vergangenen Jahren zu einer Klassik-Hochburg entwickelt", stellt Groh fest. „Immer mehr Musiker aus anderen Ländern nehmen hier ihren Wohnsitz."
Unter anderem kommen renommierte Musiker wie der Pianist Lars Vogt, die Geigerin Alina Pogostkina und der Cellist Maximilian Hornung. „Da unser Festival nicht so finanzkräftig ist, greifen wir bei den Gastmusikern vor allem auf private Kontakte zurück", meint Groh. „Meine Mitstreiterin Franziska Hölscher kennt zum Beispiel viele Leute in der jüngeren Streicher-Szene."
Das „Wegweiser"-Motto kommt in den einzelnen Konzerten immer wieder zum Tragen. Wenn im Abschlusskonzert mit dem Titel „Wegkreuzung" Beethovens „Kreutzersonate" erklingt, ist das zwar nur eine lautmalerische Koinzidenz, der Komponist schrieb sie für den französischen Geiger Rodolphe Kreutzer.
Ein echtes Überkreuzen findet aber im selben Konzert in einer der Rosenkranzsonaten des böhmischen Barockkomponisten Franz Biber statt. „Biber verlangt hier, dass die beiden mittleren Saiten der Geige vertauscht aufgespannt werden", erläutert Groh. „Da muss der Interpret vollkommen umdenken, auch der Klang ist ein anderer."
Auf kurzfristige Überraschungen sollte sich der Konzertbesucher durchaus gefasst machen: Änderungen des geplanten Programms sind bis zur letzten Minute möglich – Markus Groh will den Künstlern größtmögliche Freiheit bieten.
Auch das gehört zur besonderen Atmosphäre rund um den Hangar. Es geht familiär zu, man genießt die weite Sicht über die Landebahn hinweg in den sommerlichen Abendhimmel.
Nicht nur deswegen ist der Besuch des kleinen Musikfestivals in der Uckermark für viele ein Muss in den Sommerwochen. Die Gäste kämen etwa zu gleichen Teilen aus Berlin, der näheren sowie der ferneren Umgebung, erzählt der Festivalleiter. „Etliche übernachten vor Ort, um mehrere Konzerte zu besuchen." Aus dem Festivalbesuch wird so ein Mini-Urlaub, abends trifft man im einzigen Restaurant vor Ort vielleicht auf die Musiker, tauscht sich mit ihnen über das Erlebte aus. Auch das mache Bebersee so besonders, sagt Groh, denn wo sonst könne man hochkarätige Musik und internationale Künstler an einem so ungewöhnlichen Ort erleben – inmitten von Wäldern und Seen.
Das Bebersee-Festival findet vom 14. bis zum 22. Juli statt.
Infos und Tickets: www.bebersee.de