Eine Dauerbaustelle bleibt den Deutschen auch 2024 erhalten: das Thema Pflege. Trotz aller Reformen drohen die Kosten weiter durch die Decke zu gehen. Auch bei der Personalgewinnung kommt man nicht so richtig voran. Aber es gibt Hoffnung.
Beim Amts-Wiederantritt, diesmal für die Ampelregierung vor zwei Jahren, hat Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) die große Offensive bei der Personalgewinnung für die Pflegeberufe ausgerufen. Dazu ist er, unter anderem, extra nach Südamerika geflogen, um für die Schönheit des Pflegeberufs in Deutschland zu werben. Doch der Erfolg ist überschaubar und laut Überschlagrechnung können die Neuanwerbungen aus Südamerika oder dem asiatischen Raum nicht die Abgänge durch Verrentung ausgleichen. Genaue Zahlen zum bundesweiten Personalstand in der Pflege sind nur schwer zu erheben, da die einzelnen Pflegebereiche zu weit aufgefächert sind. Doch eines ist auch 2024 klar: Die Pflege ist weiterhin in der Mehrzahl „eine Aufgabe, die vor allem von den Angehörigen der zu Pflegenden aus dem familiären Bereich geleistet wird“, so der Geschäftsführer des Bundesverbandes Betreuungsdienste Thomas Eisenreich. „Das wird nicht anders gehen und dazu sind die Aufgaben auch viel zu groß und das gilt auch für die Zukunft“. Eine klare Ansage von Eisenreich, gegen die von der Politik immer gern verbreitete Hoffnung, dass die Pflege in Zukunft mit ausländischen Kräften, ambulant als auch stationär, bewältigt werden kann.
Wie gesagt, die bisherigen Erfolge bei der Pflegefachkräftegewinnung im überseeischen Raum in den letzten Jahren sind mehr als überschaubar. Der Grund für die Schwierigkeiten, ausländische Fachkräfte für den Pflegeberuf in Deutschland zu begeistern, sind vielfältig. Allein schon die Eingliederung der ausländischen Fachkräfte ist kompliziert und kollidiert immer noch mit dem deutschen Arbeitsrecht. Da geht es vor allem um die Anerkennung der beruflichen Abschlüsse der geworbenen Pflegekräfte, die je nach Bundesland, unterschiedlich geregelt wird. Dazu kommt die Sprachförderung, trotz aller Reformversprechen ist die Finanzierung bis zum heutigen Tag nicht eindeutig geklärt. Die Bundesagentur für Arbeit finanziert eigentlich die Deutschkurse. Doch auch 2024 gilt: Erst wenn der Pflegeabschluss aus dem Heimatland auch in Deutschland anerkannt ist, wird durch die Bundesagentur in Nürnberg gezahlt. Die Bundesländer versuchen damit weiter per Sonderprogrammen zu überbrücken. So bleiben dann die Kosten für die Sprachkurse größtenteils aber bei den zukünftigen Arbeitgebern hängen, die sie dann wiederum steuerlich absetzen können. Denn eine solche Sprachausbildung kostet viel Geld, ist allerdings ein Weg, den viele Pflegeinrichtungen mittlerweile eingeschlagen haben, um einem Personalengpass entgegenzuwirken. Der Personalschlüssel muss erfüllt werden, ansonsten müssen Stationen in der stationären Pflege geschlossen werden. Dadurch würde dann der entsprechende Träger weniger Geld einnehmen.
Das größte Problem in der Pflege sieht Christine Vogler in der rein zeitlichen Belastung der Mitarbeiter
Ein Teufelskreis. Das gilt aber auch für die ambulanten Pflegeunternehmen, die zwar keine Stationen schließen müssen. Aber sobald ihnen Personal fehlt, verschlechtert sich die Auftragslage und es droht die Insolvenz. Dass der Pflegeberuf so unattraktiv hierzulande ist, wurde bislang auch immer auf die Bezahlung geschoben. Doch auch diese Argumentation ist nicht länger aufrechtzuhalten, denn in den vergangenen Jahren hat sich einiges getan, so die Präsidentin des Deutschen Pflegerates. „Die Bezahlung ist gut, aber die Arbeitszeiten sind gerade für junge Menschen, die eine Familie planen, nicht wirklich dankbar.“ Christine Vogler, seit 2021 ehrenamtlich Chefin des 1998 gegründeten Pflegerates und im Hauptberuf Leiterin des Berliner Bildungscampus Pflegeberufe bringt das Grundproblem abermals auf den Punkt. „Das größte Problem in der Pflege ist die rein zeitliche Belastung der Mitarbeiter. Pflege ist eben rund um die Uhr. Wer da noch ein kleines Kind zu versorgen hat, wird beides nicht wirklich verträglich unter einen Hut bekommen.“
Neue Arbeitszeitmodelle müssen also durchdacht werden, um den Beruf „noch attraktiver“ zu machen. Vogler legt gerade auf das „noch attraktiver“ großen Wert und wehrt sich gegen das verbreitete Vorurteil, Pflege sei kein schöner Beruf. „Wir dürfen uns diesen Beruf nicht kaputtreden lassen.“ Der Bereich der neuen Arbeitszeitmodelle ist in den letzten Jahren mehr oder weniger zu einem Selbstläufer geworden. Vor allem die Pflegedienste wollen so neue Kollegen locken. Darum ist der Anteil von Teilzeitkräften gerade in der Pflege so groß, Pflegeunternehmen haben längst begriffen, dass sie mit ausschließlichen Vollzeitmodellen keine Arbeitnehmer neu, oder zurückgewinnen können.
Doch das Urproblem bleibt: Die zu Pflegenden werden in den kommenden zehn Jahren erheblich mehr werden und die zur Pflege zu gewinnenden Arbeitskräfte weniger. Die Babyboomer gehen in Rente und viele von ihnen werden pflegebedürftig. Das heißt aber auch, dass die Kosten in den kommenden Jahren explosionsartig steigen werden. Zur Wahrheit gehört aber auch, dass die Kosten für die Träger der stationären und auch ambulanten Pflege bereits in den Jahren 2022 und 2023 durch die Decke gegangen sind. Auch bei der Betreuung der Hilfsbedürftigen ist die exorbitante Inflation nicht spurlos vorübergegangen, vor allem bei den Energie- und Verpflegungskosten. Die Folge: Die Zuzahlungen für die zu Pflegenden sind um bis zu 20 Prozent gestiegen. Die Präsidentin des Deutschen Pflegerates, Christine Vogler, kennt diese Herausforderung ist aber auf einem anderen Gebiet. Für 2024 ist sie zuversichtlich, was die mögliche Lösung einer anderen großen Aufgabe in der Pflege anbelangt: die Lockerung der Kompetenzeinschränkungen für Pflegekräfte. Die Pflegekompetenz der Fachkräfte soll endlich ausgeweitet werden. Das heißt, zukünftig könnten sie auch bislang ärztliche Aufgaben übernehmen. „Da geht es zum Beispiel um die Wundbehandlung. Bislang mussten wir dazu immer einen Arzt konsultieren, der dann die Behandlung durchgeführt hat. Oder die Folgebehandlung mit Medikamenten und die Beratung der zu Pflegenden. Das ist derzeit noch ein Eckpunktepapier was wir aushandeln konnten, aber allein, dass das da alles drinsteht, stimmt mich hoffnungsfroh, für die Endabstimmung in diesem Jahr“. Wobei Vogler auch eine Lanze für Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach bricht, was in diesen Tagen nicht sehr oft vorkommt. „Wir als Pflegerat haben einen guten Kontakt zu ihm, er nimmt uns ernst und in den Gesprächen merke ich immer, er verfolgt sehr genau, wo uns der Schuh drückt. Wir haben damit einen wesentlich besseren Kontakt zu Karl Lauterbach, als zu allen seinen Vorgängern und zu seiner Vorgängerin“. Doch was dann schlussendlich vom Pflegekompetenz-Eckpunktepapier stehen wird, entscheidet sich erst im Verlauf dieses Jahres.