Wenn der Blutzucker bei schwangeren Frauen bestimmte Werte übersteigt, tritt Schwangerschaftsdiabetes auf. In diesem Zusammenhang ist ein umfassender Überblick über die damit verbundenen Risiken, Folgen und Behandlungsmöglichkeiten besonders wichtig.
Die Zahlen sind erschreckend: Fast jede siebte werdende Mutter in Mecklenburg-Vorpommern bekam 2021 die Diagnose Schwangerschaftsdiabetes gestellt. Das waren 70 Prozent mehr als noch im Jahr 2016, wie eine aktuelle Analyse eigener Daten der AOK Nordost aus diesem Sommer zeigt.
Die regionale Auswertung in Berlin und Brandenburg war der Anstieg etwas niedriger, deckt sich auch mit den Ergebnissen einer Studie des Robert Koch-Instituts (RKI), wonach der sogenannte Gestationsdiabetes auch bundesweit im Zeitraum von 2013 bis 2018 stark zunahm.
Die Tendenz wird zudem von Medizinerinnen und Medizinern wie Kerstin Runiewicz, Gynäkologin am AOK-Ärztehaus Centrum für Gesundheit in Berlin bestätigt. „Diese Entwicklung besorgt mich sehr. Denn ein Gestationsdiabetes bedeutet ein Risiko für den Verlauf der Schwangerschaft. Ich sehe immer mehr schwangere Patientinnen, die ein Risiko dafür mitbringen, zum Beispiel, weil sie übergewichtig beziehungsweise adipös sind oder weil sie sich zu wenig bewegen“, sagt die Gynäkologin. Und Professor Dr. Johannes Stubert vom Südstadtklinikum in Rostock macht ähnliche Erfahrungen. „Es hat extrem zugenommen. Bei uns hatten 19 Prozent der Frauen Gestationsdiabetes. Das macht uns große Sorgen“, sagt der Leitende Oberarzt im Bereich der Speziellen Geburtshilfe und Perinatalmedizin.
Die Ursache für die Zuckerkrankheit während der Schwangerschaft ist eine Störung des Blutzuckerstoffwechsels. Die Wirkung des körpereigenen Insulins lässt, bedingt durch die Hormone während der Schwangerschaft, nach. Ein Schwangerschaftsdiabetes stellt die häufigste Begleiterkrankung einer Schwangerschaft dar und kann zu ernsten Komplikationen für Mutter und Kind führen. Problematisch und schwierig ist, dass die Erkrankung praktisch keine Symptome zeigt. Die typischen Symptome einer Diabeteserkrankung wie starker Durst, häufiges Wasserlassen oder Müdigkeit sind bei einem Gestationsdiabetes mellitus nur sehr mild bis gar nicht ausgeprägt. Er tritt erstmals in der Schwangerschaft auf und kann mithilfe eines 75 Gramm oralen Glukosetoleranztestes diagnostiziert werden. Und auch wenn die Erkrankung häufig nach der Schwangerschaft wieder verschwindet, darf sie keinesfalls unterschätzt werden. Denn auch wenn sich der Blutzucker nach der Geburt wieder normalisiert, kann ein Schwangerschaftsdiabetes beispielsweise ein Vorbote für einen späteren Typ-2-Diabetes sein.
Die häufigsten Ursachen von Diabetes sind Veranlagung, Bewegungsarmut und ungesunde Ernährung
„Die grundlegenden Ursachen für Schwangerschaftsdiabetes sind die weitverbreitete Veranlagung zu Übergewicht, Bewegungsarmut und ungesunder Ernährung. Viele Menschen haben dadurch auch ein erhöhtes Risiko für das Auftreten eines Typ-2-Diabetes“, sagt Dr. med. Michael Fiedler, Ärztliche Leitung Diabetologie im Helios Klinikum Berlin-Buch.
Die Studie der AOK hat zudem einen Zusammenhang zwischen dem Auftreten des Schwangerschaftsdiabetes und dem Alter der werdenden Mütter festgestellt. Von den Frauen aus Mecklenburg-Vorpommern, die im Alter von 20 bis 29 Jahren ein Kind bekamen, erhielten nur 3,5 Prozent die Diagnose Gestationsdiabetes. Bei den 30- bis 39-Jährigen waren es schon rund 14 Prozent, bei den über 40-Jährigen sogar rund 24 Prozent. Ein weiterer Grund für die Zunahme der Diagnosen ist, dass laut einer Studie des Robert Koch-Instituts (RKI) inzwischen mehr Frauen auf Gestationsdiabetes getestet werden als früher. Nach einer Änderung der Mutterschafts-Richtlinien stieg die Screening-Quote demnach von 84 Prozent im Jahr 2013 auf 90 Prozent im Jahr 2018. Dieser Anstieg hat auch positive Effekte. Denn wenn die Krankheit frühzeitig erkannt wird, lassen sich Spätfolgen wie Frühgeburten verhindern.
„Bei Frauen ab 35 Jahren steigt das Risiko für Erkrankungen in der Schwangerschaft generell. Deshalb kläre ich die Frauen zunächst auf und berate sie über die Möglichkeiten der Früherkennung. Sie werden engmaschiger untersucht als jüngere Schwangere und wenn es aus präventiver Sicht sinnvoll ist, empfehle ich den Frauen gegebenenfalls den Lebensstil zu ändern und berate sie dazu“, erklärt Kerstin Runiewicz.
Bleibt Diabetes unbehandelt, erhöht sich das Risiko für eine Präeklampsie
In Deutschland haben alle Schwangeren Anspruch auf ein Schwangerschaftsdiabetes-Screening. Diese Untersuchung sollte zwischen der 24. und der 27. Schwangerschaftswoche stattfinden, so Fiedler.
Die Mutterschaftsrichtlinien legen dabei das Vorgehen für die Diagnose genau fest. Ein Arzt führt bei der Schwangeren zunächst einen Test mit einer Trinklösung durch, die 50 Gramm Glukose enthält. Dieser Test erfolgt unabhängig von Tageszeit und Nahrungsaufnahme. Wenn eine Stunde nach dem Trinken der Glukoselösung ein auffälliger Blutzuckerwert gemessen wird (>= 135 mg/dl oder 7,5 mmol/l), folgt der sogenannte „große“ Glukosetoleranztest. Für diesen wird bei der Schwangeren morgens nüchtern der Blutzucker gemessen. Anschließend trinkt sie eine Lösung mit 75 Gramm Glukose. Im Abstand von einer und dann zwei Stunden wird nochmals der Blutzucker bestimmt. „Auf Basis dieser drei Werte kann eine Aussage getroffen werden, ob ein Schwangerschaftsdiabetes vorliegt“, sagt der Mediziner aus Berlin-Buch. Der Übergang von einem leicht erhöhten Blutzuckerspiegel zu einem Schwangerschaftsdiabetes ist dabei durchaus fließend. Seine Kollegin Kerstin Runiewicz ergänzt: „Wenn ein Gestationsdiabetes vorliegt, ist es sinnvoll, ihn frühzeitig zu entdecken. Nur dann können rechtzeitig Maßnahmen ergriffen werden, um die Zuckerwerte der Mutter zu regulieren und den Stoffwechsel richtig einzustellen. Komplikationen können somit im besten Fall verhindert werden, zum Beispiel auch ein sehr hohes Geburtsgewicht des Kindes oder Anpassungsstörungen des Neugeborenen.“ Durch ein zu hohes Geburtsgewicht und weil die Babys häufig größer sind, kann es beispielweise zu Komplikationen bei der Geburt kommen. Auch das Risiko für eine Frühgeburt steigt. „Dicke Babys werden oft als propper und gut entwickelt wahrgenommen“, sagt Stubert, „aber der Schein trügt, denn sie haben oft Anpassungsstörungen wie Atemprobleme oder Gelbsucht nach der Geburt.“
Ein nicht behandelter Diabetes fördert zudem laut AOK das Risiko für eine Präeklampsie – umgangssprachlich als Schwangerschaftsvergiftung bekannt. Von einer Präeklampsie waren 2021 laut der AOK-Analyse 5,1 Prozent der schwangeren Frauen in Mecklenburg-Vorpommern betroffen. 2016 lag diese Quote bei 4,3 Prozent. Es ist also ebenfalls ein leichter Anstieg zu verzeichnen, er fällt aber weitaus geringer aus als beim Schwangerschaftsdiabetes. Auch bei der Präeklampsie ist ein Zusammenhang mit dem gestiegenen Durchschnittsalter der Schwangeren wahrscheinlich: Bei den 20- bis 29-Jährigen in Mecklenburg-Vorpommern war jede 24. Frau von einer Präeklampsie betroffen. Bei den über 40-Jährigen war es hingegen jede 16. Frau.
Für die werdende Mutter steigt jedoch auch das Risiko für zahlreiche andere Erkrankungen wie Harnwegsinfektionen, vaginale Infektionen, Bluthochdruck, Geburtsverletzungen, Kaiserschnitt, Blutungen und Depressionen. Nach der Diagnose wird der Arzt die werdende Mutter beraten und das weitere Vorgehen erläutern, ihr zeigen, wie sie selbst ihren Blutzucker messen kann und mit ihr nötige therapeutische Maßnahmen besprechen. Und: Bei den allermeisten Frauen mit Schwangerschaftsdiabetes verläuft die Schwangerschaft ansonsten normal: Sie bringen ein gesundes Kind zur Welt.
Eine der Maßnahmen bei Schwangerschaftsdiabetes, und zwar die wichtigste, ist eine vitamin- und ballaststoffreiche Ernährung. „Von strengen Diäten während der Schwangerschaft rate ich ab“, erklärt Dr. med. Michael Fiedler. Ein spezifischer Ernährungsplan könne allerdings bei Bedarf mit dem behandelnden Arzt abgesprochen werden. Als Orientierung für eine gesunde Ernährung dienten die Regeln der Deutschen Gesellschaft für Ernährung, so Fiedler. Und er fährt fort: „Bewegung in der Schwangerschaft gehört – nach individueller Beratung durch den betreuenden Frauenarzt – unbedingt dazu. Wer vorher Sport getrieben hat, darf das auch weiterhin tun, nur maximale Belastungen sollten vermieden werden.“ Sofern keine Einwände durch den behandelnden Frauenarzt, die behandelnde Frauenärztin bestehen, sollte mindestens dreimal wöchentlich eine zügige Bewegung, vorzugsweise nach dem Essen, stattfinden.
„In nur wenigen Fällen kann auch die zusätzliche Gabe von Insulin notwendig werden“, sagt der Helios-Mediziner. Das sei aber nur bei etwa jedem fünften Schwangerschaftsdiabetes der Fall, so Fiedler. Ob eine Insulingabe notwendig ist, entscheiden der behandelnde Arzt, beziehungsweise die behandelnde Ärztin anhand der erhobenen Blutzuckerwerte sowie dem Ultraschallbefund des Kindes.
Sehr wichtig ist es, bereits im Vorfeld einer Schwangerschaft mit gesunder Ernährung und viel Bewegung einem Diabetes vorzubeugen. „Übergewichtige Frauen sollten bereits im Rahmen der Schwangerschaftsplanung eine Gewichtsabnahme anstreben“, sagt der Leiter der Diabetologie im Helios Klinikum Berlin-Buch. Eine lange Stillzeit verringert das Risiko für Mütter nach der Schwangerschaft, an einem Typ-2-Diabetes zu erkranken und auch das Auftreten eines erneuten Schwangerschaftsdiabetes.
Zudem unterstützen viele Krankenkassen die verschiedensten Präventionsmaßnahmen bei werdenden Müttern. „Durch das Vorsorgeprogramm ‚baby on time’ kann ich AOK-versicherten Risiko-Schwangeren kostenlos einen Blutzuckertest anbieten – und zwar unmittelbar, nachdem die Schwangerschaft festgestellt wurde. Wenn der Test zeigt, dass ein Gestationsdiabetes vorliegt, berate ich die Schwangere über die Erkrankung und wie sie mit einer Änderung ihres Lebensstils schon eine Verbesserung erreichen kann. Gleichzeitig erfolgt eine Überweisung an eine Diabetologie-Praxis. Dort kann gegebenenfalls eine Insulintherapie eingeleitet werden. Insulinpflichtige Schwangere werden dann auch in ein Perinatalzentrum eingebunden, um engmaschig betreut zu werden“, fasst die Gynäkologin am AOK-Ärztehaus Centrum für Gesundheit in Berlin mögliche Maßnahmen noch einmal zusammen. Doch eines ist trotz aller Früherkennung und medizinischer Maßnahmen auch klar, sagen alle Medizinerinnen und Mediziner übereinstimmend: Ohne Eigenverantwortung und aktive Mithilfe der Schwangeren wird es nicht gehen und können ärztliche Maßnahmen erfolglos bleiben.