Jahresrückblick Saarland: 16 Monate Ungewissheit und noch kein Ende in Sicht: Der Autokonzern Ford hat die Nerven der Saarländer im ablaufenden Jahr und darüber hinaus arg strapaziert.
Vergangene Werbeslogans von Ford sind für die Medien ein willkommener Fundus, um die derzeitige Situation zu beschreiben. „Besser ankommen“, das wünschen sich wahrscheinlich alle Beteiligten an den Verhandlungen rund um das Ford-Werk Saarlouis: Ford selbst, Investoren, die Landesregierung, Betriebsrat und vor allem die Belegschaft. Dass Ford, einst gefeierter Industriepartner im Saarland, Arbeitgeber von vielen Tausend Saarländern und ihren Familien, das Land nun verlässt, schmerzt. Noch viel unverständlicher für viele aber ist, wie.
Nach Angaben des saarländischen Wirtschaftsministeriums laufen die Gespräche mit einem potenziellen Investor weiter. Alle drei Parteien – Land, Konzern und Investor – befänden sich weiterhin in „wertschätzenden und konstruktiven Verhandlungen, die noch nicht abgeschlossen sind“, so das Wirtschaftsministerium. Das vorrangige Ziel bleibe die Übernahme durch einen großen Investor, „da dies für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Ford in Saarlouis die beste Lösung darstellt, da sie die größtmögliche Beschäftigungssicherung bietet“. Daneben werden jedoch auch alternative Konzepte verfolgt, etwa eine Industriepark-Lösung. Dennoch sind die Sozialtarifvertragsverhandlungen zwischen Ford und der IG Metall im Oktober angelaufen, ungeachtet weiterer und noch laufender Verhandlungen über die Zukunft von Werk und Grundstück. Bis Februar soll ein Eckpunktepapier erarbeitet werden, in dem die Forderungen der Gewerkschaft mit dem Konzern festgezurrt sind. Scheitern die Gespräche, droht ein Arbeitskampf. Daneben muss der Normalbetrieb weiterlaufen, irgendwie.
Markus Thal, Betriebsratschef in Saarlouis, geht schon ein bisschen auf dem Zahnfleisch nach langen Monaten des Kampfes an vielen Fronten. Entschlossen aber bleibt er dennoch. „Muss ja.“ Auf die Frage, ob er nach den vergangenen Monaten der Nicht-Kommunikation von Ford noch Vertrauen in die Verhandlungspartner hat, bleibt er diplomatisch. „Die Entscheidungen sind nicht hier in Deutschland gefällt worden. Und wir sprechen hier mit der deutschen Geschäftsführung.“ Letztlich verantwortlich für die Schließung ist die Ford-Zentrale in Dearborn, Michigan, verantwortlich ist Jim Farley, der Vorstandschef von Ford, dem letzten der Autokonzerne, die auf Elektromobilität umsteigen. Die Gespräche verlaufen gut, sagt Markus Thal. Trotzdem wird mit harten Bandagen gekämpft.
In einem ersten Schritt seien Treueprämien vereinbart worden, außerdem die Übernahme von elf Jungfacharbeitern, damit diese nicht als Erste ihren Job im Werk verlieren und in den Pool der Nutznießer einer Vereinbarung mit dem Konzern aufgenommen werden. Ziel der Verhandlungen sei es, es für Ford so teuer wie möglich zu machen und dabei Lösungen für alle Generationen von Angestellten zu finden, so Thal.
Die Fragen, die geklärt werden müssen, sind komplex und zahlreich. 1.000 Arbeitsplätze will Ford in Saarlouis bis 2032 erhalten. Wer aber darf bleiben, welche Qualifikationen sind dafür nötig? Muss jemand zusätzlich qualifiziert werden? Dann all jene Parameter, die für diejenigen gelten, die nicht mehr weiterbeschäftigt werden: Welche Jahrgänge kurz vor der Rente könnten ausscheiden und welche Konditionen bekommen sie? Drei unterschiedliche betriebliche Altersvorsorgen gibt es bei Ford, auch diese werden in die Verhandlungen miteinbezogen. Wie hoch kann die Abfindung sein, wenn ich Ford vor dem Produktionsende 2025 verlasse, und wie hoch ist sie, wenn ich Ford am Produktionsende verlasse? Wie hoch sind die Boni, wenn ich Kinder habe? Oder wenn ich schwerbehindert bin? Wie sieht die Transfergesellschaft, die Weitervermittlung an neue Arbeitgeber aus? Welche Qualifizierungen sind nötig und wer bezahlt diese?
Schwierige Verhandlungen bei laufendem Betrieb
Alles hängt miteinander zusammen. „Deshalb sind Zwischenergebnisse schwierig zu kommunizieren“, sagt Thal. Klar ist nur, es geht um 2.850 Arbeitsplätze, die wegfallen werden. Immerhin, einiges ist schon festgezurrt, darunter Inflationsausgleichsprämien, Weihnachtsgeld und Transformationsgeld. Es bleibt ein schmaler Trost für Menschen, die wie Markus Thal schon teils seit Jahrzehnten in dem Werk arbeiten und nun innerhalb kurzer Zeit ihren Job verlieren könnten.
Dabei waren die Übergangsregelungen hin zu einem neuen Arbeitgeber für die Belegschaft zwischen Betriebsrat und Ford schon so gut wie ausverhandelt. „Bis zur letzten Septemberwoche hatten wir zwölf Wochen lang mit dem Ford-Management eine Betriebsvereinbarung verhandelt, die den Übergang zu einem neuen Investor regeln sollte. Dann kam die Information, dass der Investor zurücktreten wollte. Der Schock war groß, aber wir haben dann auch als Betriebsrat noch mal nachgefasst. Der Investor wollte mit uns als dem Betriebsrat persönlich sprechen. Bis dahin waren wir gar nicht involviert. Gemeinsam mit der Landesregierung und dem Ford-Management wurden dann im Oktober nochmals Gespräche mit dem Investor geführt. Mit dem Ergebnis, dass jetzt weiter verhandelt wird.“ Thal erhält fast täglich Updates. Alles ist also noch möglich, obwohl eine Lösung mithilfe eines einzigen Investors für das Gesamtgelände und das Werk zum jetzigen Zeitpunkt zunehmend unwahrscheinlich wirkt. Noch pokert Ford, will möglichst wenig zahlen, sowohl für eine mögliche Abfindung der Belegschaft oder für einen Investorenprozess als Übergang. Zumindest ist dieser Ausgang so unsicher, dass rein zeitlich Sozialtarifverhandlungen spätestens jetzt nötig sind, um diese rechtzeitig und vor allem für alle Beteiligten rechtssicher über die Bühne zu bringen.
Daneben gilt es den laufenden Betrieb weiterzuführen, während sich die Personaldecke ausdünnt, Menschen sich schon jetzt nach neuer Arbeit umsehen, Bereiche zusammengelegt werden, Vorgesetzte sich ändern. Und dann legte auch noch ein Brand Anfang November die Produktion für einige Tage lahm, die Werksleiterin ging. Ein Betrieb in Auflösung, wie es scheint, und gerade deshalb im Begriff, für einen würdevollen Abgang jedes Einzelnen zu kämpfen.