Jahresrückblick Saarland: In Ensdorf entsteht die weltweit größte Siliziumkarbid-Halbleiterfabrik. Für das Saarland Symbol der Transformation, für Deutschland und Europa ist es eine Leitinvestition von hoher strategischer Bedeutung.
Dunkle Wolken ziehen an diesem leicht verregneten Wintertag über den imposanten Kühlturm am stillgelegten Kohlekraft Ensdorf. Die äußeren Bedingungen sind eher trist. Und damit das genaue Gegenteil von dem, was sich weniger Meter weiter am 1. Februar 2023 abspielt.
Die Limousinen von Olaf Scholz und Robert Habeck parken am Fuß des stillgelegten Kohlekraftwerks. Die gleichzeitige Anwesenheit von Kanzler und Vizekanzler unterstreicht, dass es hier um sehr viel weitreichendere Dimensionen geht. Wenige Stunden vor der großen, internationalen Präsentation der geplanten weltweit größten Fabrik für Siliziumkarbid-Halbleiter hat EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen die Antwort der EU auf den US-amerikanischen „Inflation Reduction Act“ vorgestellt.
Für das Saarland wird die Chip-Fabrik ein echter Game changer, betont Saar-Wirtschaftsminister Jürgen Barke. Dass Wolfspeed dafür ausgerechnet das Gelände eines ehemaligen Kohlekraftwerks, das den alten Kern saarländischer Montanindustrie repräsentiert, ausgewählt hat, hat für das Saarland hohe Symbolkraft.
Das Land steckt mitten in einem massiven Umbruch, ist von allen Bundesländern wegen seiner wirtschaftlichen Struktur am schnellsten und weitreichendsten von der Transformation betroffen. Erst prägten Kohle und Stahl das Land, dann das Automobil. Das Aus für den Verbrennermotor trifft den Kern saarländischer Automobilindustrie. Die Stahlindustrie ist seit Jahrzehnten ständig krisenbedroht. Das Saarland kennt – und kann – Strukturwandel mit großen Umbrüchen. Auch das war für die Standortentscheidung ein wichtiges Argument. Wolfspeed-Chef Gregg Lowe hebt auch genau dieses Argument für die Standortentscheidung hervor. Das Saarland hat neben einer hoch qualifizierten industrieerfahrenen Arbeitnehmerschaft auch die unbedingte Ambition, auch diesen neuerlichen tiefgreifenden Strukturwandel, die Transformation, hinzukriegen. „Wir haben uns ins Saarland verliebt“, sagt Lowe, und das in einem Tonfall, der anzeigt, dass es nicht nur eine für Amerikaner bei solchen Präsentationen oft übliche Nettigkeitsfloskel ist.
Kanzler Scholz würdigt diese saarländische Mentalität ebenfalls. Ein Land mit Erfahrung in Umbrüchen, mit „Offenheit für Neues und Bereitschaft, Neues auch anzupacken“. Die Bundesregierung war früh in die Vorhaben mit einbezogen. Wirtschaftsminister Robert Habeck hebt die über das Saarland hinausreichende Bedeutung hervor. Das Land komme aus einer wirtschaftlich schwierigen Lage und sei gerade dabei, „den Kopf wieder aus dem Wasser“ zu bekommen, Wolfspeed ist auch für die ganze Republik – und europaweit – von großer symbolhafter Bedeutung.
Europaweit auch deshalb, weil es ein wichtiger Baustein der Lehren aus den zurückliegenden Jahren ist. Nachdem in der Pandemie durch weltweite Lockdowns Lieferketten zusammengebrochen waren, wurden Abhängigkeiten in der globalen Wirtschaft überdeutlich. Autos konnten beispielsweise wegen fehlender Halbleiter nicht ausgeliefert werden, extrem lange Wartezeiten waren an der Tagesordnung.
„Wir haben uns ins Saarland verliebt“
Die Abhängigkeit zu reduzieren, ist wesentlicher Bestandteil der EU-Politik, die nach dem russischen Überfall auf die Ukraine mit den entsprechenden Folgen noch einmal forciert wurde. Folgerichtig gehört das Projekt auch zu den „wichtigen Vorhaben von europäischer Bedeutung“, kurz IPCEI. Damit werden Projekte bezeichnet, die einen Beitrag zu den strategischen Zielen leisten und die Wettbewerbsfähigkeit der EU stärken, zudem die europäische Wirtschaft resilienter, also widerstandsfähiger machen, etwa durch Reduzierung der Abhängigkeiten in Lieferketten.
Zudem passt gerade diese Investition in eine Siliziumkarbid-Halbleiterproduktion ideal zu den Zielen des „Green Deal“ der EU. Mit diesen Halbleitern wird vor allem Elektromobilität einen deutlichen Entwicklungssprung machen können, unter anderem mit schnellerem Aufladen und größeren Reichweiten.
Für das Saarland selbst ist die Ansiedlung nach Überzeugung von Wirtschaftsminister Jürgen Barke (SPD) ein „echter Game Changer“ beim Abschied aus dem Zeitalter der Verbrennermotoren. Entscheidend dabei ist auch die strategische Zusammenarbeit mit ZF, einer der weltweit größten Automobilzulieferer. Bei ZF läuft die Transformation längst auf Hochtouren. Das Werk in Saarbrücken mit rund 9.000 Beschäftigten war lange Zeit führend bei Automatikgetrieben. Ende letzten Jahres dann die strategische Weichenstellung, dass ZF Saarbrücken zum Leitwerk in Sachen Elektromobilität wird.
Die strategische Beteiligung bedeutet in Praxis: Bei der Produktion in Ensdorf hat Wolfspeed die eindeutige Führerschaft, bei der Entwicklungs- und Forschungszusammenarbeit liegt die bei ZF.
Die SPD-Regierung im Saarland hatte im vergangenen Jahr einen drei Milliarden Euro schweren Transformationsfonds eingerichtet, um den Umbau der Saar-Wirtschaft zu einem klimaneutralen Industriestandort zu begleiten. Am Ende des Jahres wird der Landtag die geplanten Mittel aus dem Transformationsfonds noch einmal rechtlich auf sichere Basis stellen. Das war notwendig geworden nach einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Klima- und Transformationsfonds (KTF) der Bundesregierung, mit dem der Bund die Entwicklung begleiten wollte.
Mitte Juni hatte die EU offiziell genehmigt, dass die Bundesrepublik rund vier Milliarden Euro zur Förderung solche Projekte einsetzen darf. Die geplante Investition von Wolfspeed in Ensdorf dürfte bei einem Betrag von über zwei Milliarden Euro liegen, wofür das Unternehmen eine Förderung von etwa 25 Prozent erwartet, die von Bund und Land kommen sollen. Am Ende der prominenten Vorstellung wird Kanzler Scholz feststellen: „Die industrielle Revolution kehrt zurück nach Ensdorf“