Play-offs. Das Wort allein elektrisiert die Eishockey-Gemeinde. Spätestens mit Beginn des Viertelfinals am 16./17.März werden Spieler, Trainer, Funktionäre und Fans wieder richtig heiß laufen. Denn es gibt Eishockey im Zwei-Tage-Rhythmus.
Nach der Pflicht folgt die Kür, was im Eishockey bedeutet, der Hauptrunde, die sich vom letzten Sommer über Herbst und Winter bis ins jetzige Frühjahr zog, folgen die Play-offs, in der Szene kurz „fünfte Jahreszeit“ genannt. Bereits zum 24. Mal haben sich die Eisbären für diese entscheidenden Runden um die Meisterschaft qualifiziert. Was auf den ersten Blick als normal erscheint, hat in diesem Jahr einen besonderen Aspekt. In der vergangenen Saison waren die Berliner in eine tiefe Krise gestürzt, hatten nach den 52 Spielen der Hauptrunde in der Deutschen Eishockey Liga (DEL) nur den elften Platz belegt und zum ersten Mal nach 22 Jahren die Play-off-Spiele verpasst. „Uns allen war klar, so eine Saison darf uns nicht noch einmal passieren“, erinnert sich Eisbären-Geschäftsführer Thomas Bothstede an die Analyse vom vergangenen Sommer und ergänzt: „Bei unseren Fans und auch bei den Sponsoren gibt es die Erwartung, dass wir immer um die Meisterschaft mitspielen. An diesem Anspruch sind wir letztes Jahr zerbrochen.“ Trotzdem waren bereits Anfang Juli wieder 5.000 Dauerkarten verkauft. Und kein Sponsor war abgesprungen. Ein großer Vertrauensvorschuss.
Es wäre allerdings vermessen gewesen, zu erwarten, dass der tiefen Enttäuschung sofort ein neuer Höhenflug folgen würde. Auf Platz vier hatten sie intern gehofft. Das Gesicht der Mannschaft war durch zwölf neue Spieler allein im Sommer, stark verändert worden. Die hervorragende Ausgangsposition jetzt lässt wieder große Hoffnungen sprießen. „Wenn Du von Platz eins oder zwei in die Play-offs startest, kannst du niemanden erzählen, wir lassen die Saison jetzt mal in Ruhe austrudeln“, formuliert der gelernte Journalist Bothstede, der seit über einem Jahrzehnt im Eishockey-Business tätig ist. Diese Einschätzung teilt er mit den Spielern und mit Trainer Serge Aubin. Der Meistermacher der Jahre 2021 und 2022 lobt Ehrgeiz und Einsatzbereitschaft seiner Jungs. „Alle haben in den letzten Monaten hart dafür gearbeitet, um in die Play-offs zu kommen. Ich spüre, dass sie sich jetzt belohnen wollen.“ Stürmer Lean Bergmann, im zweiten Jahr im Team, hat noch keinen Meistertitel gewonnen und ist deshalb besonders heiß. „Die Chance ist riesig. Ich werde alles tun, sie mir nicht entgehen zu lassen.“ Die Play-offs garantieren in den kommenden Wochen rasanten Sport und große Emotionen. Das weiß kaum einer besser, als Sven Felski. 1.000 Spiele hat er zwischen 1992 und 2012 für den Club aus der Hauptstadt bestritten. „Was Schöneres als diese Alles-oder-nichts-Spiele kannst du nicht erleben“, sagt der heutige Geschäftsführer der Eisbären-Juniors. „Aber du musst körperlich topfit und mental sehr stark sein, denn es ist Stress pur“, erklärt der gebürtige Berliner Felski, der nie für einen anderen Verein gespielt hat und der deshalb von allen respekt- und liebevoll nur „Bürgermeister“ genannt wird. „Du hast in diesen sechs Wochen für nichts anderes Zeit. Du konzentrierst dich nur auf Eishockey“, ergänzt André Rankel, der mit sieben Titeln sogar einen mehr als Felski gewonnen hat und jetzt als Assistenztrainer seiner Sammlung einen weiteren hinzufügen möchte.
Lange Spiele vorprogrammiert
Die Viertel- und Halbfinalspiele und auch die Finale-Serie werden im Modus „Best of Seven“ ausgetragen. Das heißt, wer vier Spiele gewinnt, erreicht die nächste Runde. Im Idealfall bräuchte es nur zwölf, in der maximalen Version 21 Spiele, bevor der Deutsche Meister feststeht. Frühestens könnte das am 23. April sein, spätestens am letzten Tag des Monats.
Play-off heißt aber auch, ein Spiel kann lange dauern, auch mal über Mitternacht hinaus. Steht nämlich nach 60 Minuten kein Sieger fest, wird bis zum entscheidenden Treffer weitergespielt. Seit 2008 gibt es diese Regel in der DEL. Die Eisbären haben ihre Auswirkungen am 1. März 2017 in Straubing erlebt. 103 Minuten dauerte die Partie gegen den einheimischen Verein, bevor ihr Sieg feststand. Den Rekord allerdings stellten am 22./23. März 2008 die Kölner Haie und die Adler Mannheim auf. Sechs Verlängerungen waren nötig, bevor die Rheinländer nach 168:16 Minuten als Sieger feststanden. Weil Getränke und Verpflegung irgendwann aufgebraucht waren, mussten die Mannschaftsbetreuer zur nächsten Tankstelle eilen, um Nachschub zu besorgen. Es sind solche Geschichten, denen die Play-offs den Ruf des Außergewöhnlichen verdanken.
Die lange Play-off-Geschichte der Eisbären begann am 14. März 1997 mit dem Viertelfinalspiel gegen den Stadtrivalen Berlin Capitals. Der Einzug in die K.-o-Runden kam damals total unerwartet. In der Vorsaison war der Ostberliner Traditionsclub als Vorletzter nur knapp dem Abstieg entronnen. Ein Jahr später schafften es die Eisbären sogar bis ins Finale, unterlagen dort erst den Adler Mannheim. Der nächste Entwicklungsschritt gelang 1999 mit dem Einstieg der Anschutz Entertainment Group aus den USA. Das Unternehmen aus Los Angeles rettete den Verein zuerst vor dem Konkurs und stellte ihn danach auf solidere Füße. Die Eisbären etablierten sich danach Schritt für Schritt im deutschen Eishockey und zogen 2003 erstmals als Erster der Hauptrunde in die Play-offs ein. Sie scheiterten jedoch im Halbfinale und mussten erleben, wie der Hauptrunden-Sechste Krefeld Meister wurde. Im Jahr darauf starteten die Berliner erneut von der „Pole Position“ in die K.-o.-Spiele, unterlagen in der Finalserie jedoch den Frankfurt Lions. Mit bester Ausgangsposition zweimal gescheitert. Wünscht man sich da nicht eine Regelung wie im Fußball, wer nach Hin- und Rückrunde vorn liegt, ist Meister? „Nein“, sagt Sven Felski. „Als Eishockeyspieler weißt du von Beginn an wie es läuft. Dass die Saison bestätigt oder total auf den Kopf gestellt werden kann.“ Dann sagt er noch einen Satz, den ihm als junger Spieler ein Trainer mit auf den Weg gegeben hat. „Du musst verlieren, um zu lernen, wie man gewinnt“. Das lernten die Eisbären innerhalb von zwölf Monaten. Am 19. April 2005 wurde im legendären Wellblech-Palast in Berlin-Hohenschönhausen der erste Meistertitel ausgelassen bejubelt. In der damals üblichen Best-of-Three-Serie gelang mit 3:0-Siegen gegen die Adler Mannheim ein glatter Durchmarsch. Am gleichen Tag übrigens, als Joseph Ratzinger in Rom zum Papst gewählt wurde. Die Mannschaft war eine nahezu perfekte Mischung aus erfahrenen deutschen Spielern wie Sven Felski und Stefan Ustorf und aufstrebenden Nachwuchsspielern wie André Rankel, Florian Busch und Frank Hördler. Hinzu kamen die ehemaligen NHL-Cracks wie Steve Walker, Denis Pederson oder Mark Beaufait. Die Generation prägte über Jahre das Gesicht der Mannschaft, die bis 2012 weitere sechs Titel gewann. Von 2011 bis 2013 sogar drei in Folge.
Dramatische Play-offs im Jahr 2012
Aus dieser Glanzzeit der Eisbären sind viele spektakuläre Play-off-Spiele in Erinnerung geblieben. Das dramatischste fand 2012 statt. In der Halbfinale-Serie gegen die Adler Mannheim, gespielt im Best of Five-Modus, lagen die Berliner mit 1:2 hinten und in der vierten Partie auswärts nach 46 Minuten 2:5 zurück. Die Meisterschaft schien entschieden. In der Halle präparierte man schon die Sektflaschen für die Jubelfeier. Innerhalb von sieben Minuten schafften die Berliner noch den Ausgleich und nach vier Minuten der ersten Verlängerung den 6:5-Siegtreffer. „Es war sicher der schwierigste Tag meiner Karriere“, bekennt Sven Felski noch heute, mit dem Abstand von zwölf Jahren. Zwei Tage später, am 24. April gewannen die Eisbären Spiel fünf und den Titel. Was werden die Play-offs dieses Jahr bringen? Einen Sensations-Meister wie 2014, als sich der ERC Ingolstadt als Neunter der Hauptrunde den Titel sicherte? Bremerhaven und Straubing heißen bisher die Überraschungsteams der Saison. Oder setzt sich ein Favorit durch? Seit dem Ingolstadt-Coup vor zehn Jahren hießen die Champions am Ende immer München, Mannheim oder Berlin. Ginge es nach der Statistik, müssten die Eisbären triumphieren. Seit 2015 hat immer der Hauptrunden-Erste am Ende den Meisterpokal in die Höhe stemmen können. Aber jede Serie reißt einmal. Die Berliner gehen gut vorbereitet in die K.-o-Runden und werden wie alle Teams das bekannteste Ritual der Play-offs pflegen. Mit Beginn der entscheidenden Spiele wird nicht mehr rasiert. Frei nach dem Motto: Hast du einen großen Bart, ist die Serie lang und hart.