Türkis und Meeresblau, schneeweißer Sand aus Muscheln und Korallen, schwarz wie Vulkane, tropisch grün und blütenbunt: Französisch-Polynesien erfüllt tropische Inselträume. Fern vom Festland, mitten im Pazifik, liegen Tahiti und 117 weitere Inseln.
Weiße Wellenkämme eilen durch das dunkelblaue Meer. „25 Grad, 36 Minuten", sagt Capt’n Bligh alias Anthony Hopkins. Dann geht die Sonne unter. Am nächsten Tag ist Land in Sicht. Laut Drehbuch soll die Silhouette dort am Horizont Tahiti sein. Mit windgespannten Segeln, viel Gefühl und großem Filmorchester läuft die „Bounty" in die Cook’s Bay ein. Die liegt allerdings nicht vor Tahiti, sondern vor deren wunderschöner Nachbarin Moorea. Doch wer achtet schon auf solche Kleinigkeiten, wenn es hier wie da so aussieht wie in einem Fernseh-Werbespot für Schokoladenkokosriegel?
Je mehr sich das Schiff der Küste nähert, desto heller und türkiser wird das Wasser unter ihm. Und umso lauter hört man den Gesang der schönen Südseeinsulanerinnen, die sich am weißen Palmenstrand versammelt haben. Außer Blumenketten tragen sie nur etwas Bast. „Bitte legen Sie den Sitzgurt an", sagt die Flugbegleiterin und reißt die Passagiere aus dem Kinotraum. Vielleicht war es doch keine so gute Idee, sich im Flugzeug „Die Bounty" (USA, 1984) anzuschauen. Denn kaum etwas sonst hat das Südseeklischee so geprägt wie die fünf Verfilmungen (insbesondere „Die Meuterei auf der Bounty" von 1961 mit Marlon Brando) der Geschichte dieses legendären Segelschiffs. Unwillkürlich erwartet man in der Realität etwas Ähnliches, zumindest ein paar Blumenmädchen. Es ist nicht die „Bounty", sondern ein Airbus der Air Tahiti Nui, der soeben in Tahiti landet – 24 Stunden nach dem Start in Paris und kurzem Zwischenstopp in Los Angeles. Und statt leicht bekleideter Damen steht der korrekt gekleidete Chauffeur vom Shuttle-Service vor der Tür. Es ist schon spät. Die Begrüßungstänzerinnen haben Feierabend. Bald geht vorm Hotel die Sonne auf.
Mit dem Guide ins Inselinnere
Zum ersten Frühstück unter Palmen gibt es frische Mangos und herrlich süße, grüne Pampelmusen. Das erste Bad im endlos blauen Ozean, der erste Sonnenbrand in Französisch-Polynesien. Über fast vier Millionen Quadratkilometer erstreckt sich dieses Land im südlichen Pazifik. Wie Krümel schwimmen darin seine 118 Inseln und Atolle.
Die wichtigste und neben Bora-Bora wohl bekannteste ist Tahiti. Dessen größter Ort Papeete ist zugleich die Hauptstadt dieses Überseegebiets von Frankreich – eine wuselige Kleinstadt, die man schnell gesehen hat. Ein hübscher Hallenmarkt und ringsum viele Läden, ein hübsches Rathaus, ein paar Kirchen und offensichtlich stets verstopfte Straßen. Verwaltungs- und Bürogebäude, Cafés und Restaurants, am Rande große Supermärkte. 27.000 Menschen leben hier, und gefühlter Weise sind sie alle nett – auch wenn manche Typen ganz schön auf gefährlich machen.
Ein schwarzer Lockenkopf im feuerroten Lendenschurz steigt aus dem Jeep. Es ist der Inselguide Teiva, der seinen Gast zu einem Ausflug abholt – und ihm als erstes eine weiße Blume überreicht. „Man steckt sie hinters Ohr", erklärt er. Links bedeute ‚bin vergeben’. Wer einen Partner oder Abenteuer suche, trage die Blüte hinterm rechten Ohr. „Auf jeder Seite eine geht auch", ergänzt der Tahitianer grinsend.
Der Ausflug führt ins Inselinnere, das menschenleer und bergig ist und dank permanenter Wolkenhülle feucht und dicht bewachsen. Entlang des Papenoo, des längsten und wasserreichsten Flusses auf Tahiti, setzt sich die vulkangeprägte Tropennatur formenreich in Szene. Ringsum steile Gipfel, tiefe Täler, Wasserfälle, Regenwald. Ein Trekkingweg führt bis zum Kraterrand des 2.241 Meter hohen Mount Orohena hinauf und bietet atemberaubende Ausblicke. „Im Vergleich zur eng bebauten Küste lebt im Inneren Tahitis kaum ein Mensch. Nur Vögel, wilde Ziegen, wilde Schweine", so der Guide. Die Nachkommen der von den Europäern mitgebrachten Haustiere sind die größten vierbeinigen Bewohner Polynesiens. Besonders wilde Eber werden gern gejagt. Ihr Gebiss trägt der Bezwinger als Trophäe um den Hals – so wie Teiva.
Vom Interesse seines Gastes angefeuert, klemmt er sich die Hauer in den Mund und mimt die Bestie. „Das ist Haka", sagt der Tahitianer und zeigt mal eben, wie der rituelle Kampftanz funktioniert. Die Augen wild funkelnd, die tätowierten Muskeln angespannt, präsentiert er seine Axt. Dem guten Stück fehlt zwar die Klinge, doch niemand zweifelt daran, dass allein der reich verzierte Holzstiel ziemlich wehtun kann.
Blüten als Schönheitsmittel
Die beim Tanzen unerlässlichen Waffen sollen Kraft und Männlichkeit symbolisieren – genauso wie Gesichtsbemalung, Kopf- und Körperschmuck. Feinde zu beeindrucken und sich selber Mut zu machen, war der Zweck des aggressiven Haka, der früher in ganz Polynesien jeder Kriegshandlung vorausging und wichtiger Bestandteil vieler Zeremonien war. Teiva hat sich vom Posieren gut erholt und ist wieder ganz der smarte Guide, der jetzt einen Crashkurs in tahitianischer Naturkosmetik gibt. „Wenn deine Freundin mal keinen Lippenstift dabeihat, dann mach das hier", tönt er großspurig und malt dem Europäer mit Hibiskusblütenstaub und seinem Finger einen leuchtend roten Strich auf die Hand.
Dann knickt er den Stengel einer blauen Blume ab, presst den Saft heraus und macht damit den Farbstrich unsichtbar: „Und so kriegt ihr das Ganze wieder weg." Ohne lange zu suchen, pflückt er Blüten, Früchte oder Blätter und verwendet sie als Heil- und Schönheitsmittel. Das eine Kraut enthält ein Gel, das man zum Haare waschen nutzen kann, jenes hilft bei Mückenstichen, ein anderes bei Sonnenbrand.
Hellhäutige Europäer sollten sich am Strand von Papenoo lieber auf Lichtschutzfaktor 50 aus der Drogerie verlassen. So gebannt, wie hier wohl jeder den Surfern hinterherschaut, kann man sich bei dieser Sonnenglut schnell mehr als eine rote Nase holen. Der kleine Küstenort im Norden von Tahiti mit seiner spektakulären Brandung gehört zu den beliebtesten Tummelplätzen der Wellenreiter. Teiva, der hier geboren wurde, lernte das Surfen als Sechsjähriger von seinem Vater. „Ich war spät dran. Die meisten Kinder hier lernen es gleich nach dem Laufen", meint der 46-Jährige, der seine Fähigkeiten auf dem Surfbrett auch an seine Kinder weitergab. Seit Jahrtausenden ist der heutige Nationalsport in Kultur und Glauben seines Volkes fest verwurzelt, immer schon sowohl von Männern als auch Frauen praktiziert. Das Gleiche trifft auf Tatau – das Tätowieren – zu.
In westlichen Kulturen eher eine Mode, ist das Tragen dauerhaften Körperschmucks in Form von Mustern und Bildern in der Haut im südlichen Pazifik ein Ritual mit strengen Regeln und langen Traditionen. „Bei der ursprünglichen Technik wird ein Gemisch aus Wasser, Ruß und Kokosöl mit einem Holzkamm in die Haut geschlagen. Das tut ziemlich weh", berichtet Teiva. Heute verzichten die meisten Polynesier auf diese Qual und lassen sich ihre Tattoos mit zeitgemäßer Technik stechen.
Wichtig bleibe, was und wo es auf dem Körper platziert werde, so der Gästeführer. Dass dabei Spaß erlaubt ist, zeigt seine muskulöse Brust. Sie ziert ein Hai, das Schutztier der Familie. Erst lässt Teiva den schlanken Fisch auf seiner Haut nur etwas zucken, dann hebt er den Arm und pumpt ihn auf zu einem dicken Walhai. Ungetunten, aber echten Haien, kann man an den Küsten von Tahitis wunderschöner Nachbarinsel Moorea begegnen. Mit der Fähre ist man schon nach einer halben Stunde dort.
Haie ziehen ganz nah vorbei
Zwischen den beiden Schwesterninseln ist die Welt vor allem blau. Nur die Zackenberge von Moorea reißen – scharf wie Haifischzähne – einen grünen Streifen zwischen Ozean und Himmel. Das Wasser der Lagune ist so klar, dass sich selbst vom Boot aus die Kiemenklappen der Haie zählen lassen: fünf exakt auf jeder Seite.
Es sind wunderschöne, elegante Tiere, friedliche Schwarzspitzenriffhaie – wie Turina versichert – aber eben Haie und nicht viel kleiner als ein Mensch. Im Blutrausch, so der Guide und Skipper, seien sie durchaus nicht ungefährlich, ebenso, wenn man ihnen zu sehr auf die Pelle rücke. Der Anker sinkt zum nahen Grund. „Auf geht’s!" Das Wasser ist so flach, dass man fast hineinsteigen kann. Um besser zu sehen, rüsten sich die Schwimmer mit Schnorchel und Maske aus. Flossen sind nicht erlaubt. Ein paar Stachelrochen sind schon da. Nun kommen die Haie. Erst sind es vier, dann sechs, dann zehn. Die meisten ziehen unbeeindruckt in Endlosschleifen ihre Bahn. Zuweilen steuert einer direkt auf seinen Beobachter zu, um kurz vor ihm cool und lässig scharf zur Seite abzubiegen.
Im Gegensatz zu den Rochen, die regelrechten Körperkontakt suchen, haben die Haie keine Lust auf Menschen-Kuscheln. Der Respekt vor ihnen bleibt, doch die generelle Angst und das Klischee vom bösen Killermonster sind sehr schnell verschwunden. Bereits nach wenigen Minuten erwischt man sich beim Wunsch, die Hand zum Streicheln auszustrecken. „Lass es", spricht innerlich die Stimme der Vernunft. Ein Grinsen als Sympathiebekundung bleibt noch lange nach der Tour.